Dominik Graf drehte einen Western!

Regisseur Dominik Graf bei der Präsentation seines Polizeithrillers »Das unsichtbare Mädchen«.
Foto: © kriminetz.de

Er habe den Stoff von Anfang an als Western gesehen, sagte der renommierte und vielfach ausgezeichnete Regisseur Dominik Graf anlässlich der Präsentation seines Films »Das unsichtbare Mädchen« auf dem Festival des Deutschen Films auf der Parkinsel in Ludwigshafen: Der in Berlin geschasste Sheriff kommt in die Provinz nach Franken, will dort aufräumen und für Recht und Ordnung sorgen. Gleich am Anfang gibt es eine Szene im »Saloon«, durch den sich ein rote Linie zieht, die, so wird dem jungen Kommissar Tanner (Ronald Zehrfeld) erklärt, die Guten von den Bösen trennt. Wer allerdings die Guten sind und wer die Bösen, das bleibt zunächst unklar.

Am nächsten Tag überfährt Tanner fast die Leiche einer Frau, die am Straßenrand liegt. Für den leitenden Hauptkommissar Wilhelm Michel (Ulrich Noethen) ist der Schuldige schnell gefunden: Der Ehemann der Toten. Und als sich dieser nach dem Verhör durch Michel in seiner Zelle erhängt, ist der Fall auch schon abgeschlossen. Trotzdem beginnt Tanner zu ermitteln. Und schon bald findet er Zusammenhänge mit einem kleinen Mädchen, das vor elf Jahren spurlos verschwunden ist.

Der dem Drehbuch von Friedrich Ani und der bayerischen Journalistin Ina Jung zugrundeliegende Kriminalfall hat sich ganz ähnlich wenige Kilometer vom Drehort Hof tatsächlich ereignet, betonte Dominik Graf. Als er mit dem bekannten Münchner Krimi-Autor Friedrich Ani an einem Wirtshaustisch das erste Mal darüber sprach, habe Ani diese Geschichte schon fünf bis sechs Jahre umgetrieben. Da hatte Ina Jung bereits alle Details zu den damals beteiligten Personen, Zeugen, Verdächtigen und Kriminalbeamten zusammengetragen und Abschriften von den Zeugenaussagen besorgt. Ursprünglich wollte Sie dazu einen Dokumentarfilm machen, doch hat sich das Projekt leider zerschlagen.

Für Dominik Graf, der keine Spaß-Tatorte drehen möchte, sondern zeigen will, was in der Gesellschaft eigentlich los ist, war dieser Stoff genau der richtige. Denn für diese Aufgabe sei nichts so sehr geeignet, wie der Polizeithriller, die größte, funktionierendste Welterklärungsmaschine, die wir im Moment überhaupt haben, meinte Graf.

In den letzen Jahren habe das Verschwinden von Kindern dramatisch zugenommen, sagte Graf, und keiner weiß, wohin sie verschwinden. Da liefert der Film »Das unsichtbare Mädchen« einen durchaus plausiblen Erklärungsansatz. Zunächst deuten scheinbar zufällige Szenen deuten darauf hin, was dahinter stecken könnte: Ein etwa zehnjähriges Mädchen in einem Schwimmbad – vor dem Plakat einer Erotikmesse; Ein Foto der dreizehnjährigen Tochter eines Staatssekretärs im Arm des Innenministers…

Die Kulisse der Kleinstadt stellt dazu den Rahmen dar, in dem die archaischen Formen der Auseinandersetzung zwischen den Protagonisten wesentlich glaubwürdiger erscheinen, als z.B. auf der Leopoldstraße.

Hier trifft Kommissar Tanner (Ronald Zehrfeld) auf den pensionierten Hauptkommissar Altendorf (Elmar Wepper), dem der Fall damals auf Geheiß des Innenministers weggenommen wurde um die Leitung der Sonderkommission auf den wesentlich »effektiver« arbeitenden Wilhelm Michel (Ulrich Noethen) zu übertragen. Auch damals hat Michel den Schuldigen schnell gefunden: Und obwohl bis heute keine Leiche gefunden wurde und es weder eindeutige Blut- noch DNA-Spuren gab, wurde der geistig behinderte Emanuel Stock, genannt „Ecco“ wegen Mordes verurteilt.
Doch Joseph Altendorf und viele weitere Einwohner glauben nicht an Eccos Schuld, womit auch klar wird, was die rote Linie im Gasthof bedeutet, in dem unter einem Foto an der Wand steht: »Sina, Du wirst immer bei uns sein“«. Auch das ist eine Parallele zur Realität, in der inzwischen niemand mehr glaubt, dass der damals verurteilte angebliche Täter – ebenfalls ein geistig Behinderter – tatsächlich schuldig ist.

Im Film findet Tanner schließlich Spuren, die in das Rotlichtmilieu jenseits der nahen tschechischen Grenze führen; ein Staatssekretär taucht auf und dem Innenminister, der der gerne Ministerpräsident werden möchte, ist es gar nicht recht, dass in dem alten Fall gestochert wird. Und natürlich versucht Hauptkommissar Michel, der selbst politisch voran kommen möchte, weitere Ermittlungen durch Tanner zu unterbinden. Ulrich Nöthen spielt Michel »so richtig böse«, wobei ihm der fränkische Dialekt eine zusätzliche Gefährlichkeit verleiht, wie Graf auf die Frage nach der Rolle des Dialekts in diesem Film anmerkte.

2012 wurde Dominik Graf bereits den Grimme-Preis-Spezial für die Idee, Konzeption und Umsetzung des Formats »Dreileben« (drei miteinander verknüpfte Fernsehfilme, die im letzten Jahr ebenfalls auf dem Ludwigshafener Filmfestival zu sehen waren) sowie mit dem Hamburger Krimipreis 2012 für den Polizeiruf 110 »Cassandras Warnung« ausgezeichnet.