Im Gespräch mit Alexander Horn

Das Foto zeigt Alexander Horn. Foto: © Jürgen Schmid, Kriminetz

Alexander Horn hat einen äußerst spannenden Beruf. Dieser ist jedoch für viele mit Klischees behaftet, die hauptsächlich von amerikanischen Fernsehserien stammen, in denen Profiler ermitteln. Alexander Horn ist Polizeilicher Fallanalytiker, er berät Sonderkommissionen der Polizei. In seinem im Droemer Verlag erschienenen Buch Die Logik der Tat beschreibt er seine Arbeit und rückt einiges an Vorstellungen über seinen beruflichen Alltag zurecht. Viele der im Buch vorgestellten Fälle kennt man aus der Berichterstattung in den Medien in den letzten Jahren.

Alexander Horn wurde 1973 im bayerischen Bad Tölz geboren. Der Kriminalpolizist war Mitbegründer des Täterprofilings bei der Münchner Mordkommission. Seit 1998 leitet er die Dienststelle für Operative Fallanalyse der Polizei in Bayern.

Kriminetz traf Alexander Horn zum Interview bei der Frankfurter Buchmesse.

Kriminetz: Bei dem Begriff „Profiler“ denkt man unwillkürlich an amerikanische Serien, in denen ein Psycho-Profi unter Zeitdruck der Polizei zu Hilfe geht. Meist hat die Persönlichkeit des Profilers selbst einige Kanten. Was war ihr persönlicher Werdegang zum Profiler?

Alexander Horn: Ich bin Kriminalbeamter und dabei den ganz normalen Weg gegangen, der bei der Polizei in Bayern üblich ist. Angefangen habe ich bei der Schutzpolizei, dann habe ich zur Kriminalpolizei gewechselt. Dort war ich erst Ermittler im Dezernat für Gewaltdelikte. Als wir mit einem Pilotprojekt zur Fallanalyse begannen habe ich zum Morddezernat gewechselt und mich tiefer mit der Materie auseinander gesetzt. Was das eigentlich ist und wie das funktioniert. Vor siebzehn Jahren, als ich damit anfing, gab es den Ausbildungsgang noch nicht, wir mussten selbst schauen, wer macht das und wie macht er das. Da mussten wir damals zunächst einen Überblick bekommen.

Kriminetz: Haben sie eine Ausbildung als Psychologe absolviert? Müssen Sie sich „in den Täter“ hinein versetzen können?

Alexander Horn: Nein, das habe ich nicht. Bei uns ist es so, dass wir im Team arbeiten. Es gibt dabei Kriminalbeamte wie ich einer bin, und dann haben wir Kollegen, die waren beispielsweise als Brandermittler oder bei der Spurensicherung tätig oder bei den Sexualdelikten.
Ich habe bei mir im Team auch einen forensischen Psychologen, der in den letzten zehn Jahren Sexualstraftäter therapierte. Wir haben verschiedene Wissenshintergründe, haben aber noch mal alle eine gemeinsame Ausbildung, in der Wissen zur Fallanalyse vermittelt wird.
Die Ausbildung zum polizeilichen Fallanalytiker dauert noch einmal drei Jahre. Hierbei wird Wissen zur Psychologie, Psychiatrie, Rechtsmedizin und Kriminologie vermittelt.

Kriminetz: Was ist dran am Mythos vom genialen Serienmörder?

Alexander Horn: Der geniale Serienmörder wird gerne in den Filmen und Büchern entsprechend dargestellt. Es ist aber tatsächlich so, dass Menschen, die diese außergewöhnlichen, auch monströsen Delikte begehen, nicht diese Monster sind, die man sich vorstellt. Genau das ist ein Teil des Problems, dass man sich das eben häufig anders vorstellt. Man denkt, dem sieht man das an und dem würde man das zutrauen, an dem ist irgendetwas anders. Was wir erleben, ist aber vielmehr, dass viele sagen, nachdem ein Serientäter ermittelt ist, dem hätte ich das nie zugetraut, der war ja so nett und hilfsbereit und so weiter. Weil diese Menschen teilweise in einer Art doppelter Buchführung leben. Vieles davon ist scheinbar normaler, als es den Anschein hat.

Kriminetz: In Ihrem Buch taucht im Zusammenhang mit der Persönlichkeitsstruktur von Tätern der Begriff „Ausgestanztheit“ auf. Was bedeutet das?

Alexander Horn: Ich versuche zu erklären, dass manche Störungen, grade sexualisierte Störungen, eigentlich nicht zum üblichen sonstigen Leben des Täters passen. Das heißt, es handelt sich um ein normales und angepasstes Leben. Ich wähle im Buch das Beispiel des kanadischen Offiziers der Luftwaffe, der wirklich ein normales Leben führte und wie ausgestanzt diese sexuelle Perversionsentwicklung durchlief und dies innerhalb kürzester Zeit lebte. Innerhalb von zwei Jahren, vom Einbruch in Wohnungen mit Unterwäscheklau bis hin zu Sexualmorden. Und grade bei ihm war es so, dass sein Umfeld relativ deutlich sagte, dass kann überhaupt nicht sein, das muss ein Justizirrtum sein. Es war wirklich etwas, was nicht zu dem Rest der Persönlichkeit gepasst hat.
Es gibt Aspekte, die sind wirklich wie ein Fremdkörper und passen nicht zum restlichen Leben, sie sind deshalb wie ausgestanzt.

Kriminetz: Nach dem sogenannten „Maskenmann“, der mehrere Kinder missbraucht und getötet hatte, wurde jahrelang gefahndet. Als er schließlich gefasst wurde und mehrere Morde gestand, hat er sich bei seiner Übergabe im Gefängnis, bei Ihnen bedankt. Was ging in diesem Moment in Ihnen vor?

Alexander Horn: In dem Moment ging gar nicht soviel in mir vor, weil ich noch unter der Anspannung der gesamten Vernehmungssituation stand, die zwei Tage anhielt. In dem Moment hat man gar keinen freien Kopf, da ist man noch viel zu beschäftigt. Es dauert ein paar Tage, bis das bei einem ankommt und man realisiert, dass der Fall nun ermittlungstechnisch zunächst abgeschlossen ist.

Kriminetz: Rastern Sie alle Personen, denen Sie begegnen? Würden Sie in Ihrem eigenen Umfeld einen Psychopathen erkennen?

Alexander Horn: Das kommt darauf an, wie gut er als Psychopath ist! Ich glaube schon, dass ich einen geschulteren Blick für Menschen habe, vor allem wenn es in Richtung Psychopathie geht. Einfach aus dem Grund, weil ich dieses Entstehungsbild und die Eigenschaften dieser Menschen ganz genau kenne. Es würde mich aber nicht wundern, wenn es den einen oder anderen gäbe, der sich geschickt verhält und seine Persönlichkeit anpasst.

Kriminetz: Sie versuchen, sich während der Suche nach einem Täter ein möglichst genaues Bild von ihm zu machen. Verifizieren Sie dieses Bild nach dem Zugriff auf einen Täter – etwa durch ein Gespräch - oder ist der Fall mit der Verhaftung, wenn die Kollegen übernommen haben, für Sie erledigt?

Alexander Horn: Nein, der Fall ist damit nicht erledigt. Zwei Sachen sind für uns sehr wichtig: Wir evaluieren natürlich unsere Arbeit. Wir wollen wissen, wie treffsicher waren wir mit unserem Täterprofil oder wo haben wir den anders eingeschätzt, als er tatsächlich war. Insofern ist das rein prozessorientiert für uns wichtig. Und dann ist für uns wichtig, dass wir in der Forschung weitermachen. Das heißt, wir gehen zum Teil natürlich auch ins Gefängnis und in die Psychiatrie und befragen diese Täter nach der Verurteilung. Einfach deshalb, um zu lernen. Warum hat sich der Täter so und nicht anders entschieden, wenn er verschiedene Optionen hatte. Das sind alles Fragestellungen, die ganz wichtig sind.

Kriminetz: Welche Methoden setzen Sie ein für die Erstellung eines Profils?

Alexander Horn: Wir haben eine eigene Methodik, mit der wir arbeiten. Wir rekonstruieren im ersten Schritt alles, was der Täter getan hat. Das ist ein ganz wichtiger Schritt. Wenn wir hier einen Fehler machen, biegen wir falsch ab. Nach der sauberen Rekonstruktion schauen wir uns die einzelnen Verhaltensweisen an, jede für sich. Wie hat er Gewalt angewandt? Wie war sein Verhalten gegenüber dem Opfer? Und dann versuchen wir die Frage nach dem Alter zu klären. Das sind Faktoren, die eine Rolle spielen, wobei es immer auf das individuelle Verhalten des Täters ankommt. Hier gibt es verschiedene Ansatzpunkte, zum Beispiel, wie stressresistent ist er. Im Endeffekt müssen wir aber immer individuell beurteilen. Natürlich kann man sagen, ein Sexualmörder ist im Durchschnitt 28 Jahre alt. Aber wir hatten auch schon einen vierzehnjährigen und einen zweiundsiebzigjährigen Täter. Deshalb müssen wir immer individuell beurteilen.

Kriminetz: Kommen auch statistische Methoden zum Einsatz?

Alexander Horn: Für die Einzelbewertung kommen diese nicht zum Einsatz, aber etwa bei der Überlegung, wie häufig bestimmte Verhaltensweisen vorkommen. Und deswegen betreiben wir auch eigene Forschung. Wir haben eine Studie gemacht, bei der wir untersuchten, wie oft ein Verhalten in einem Zeitraum von dreißig Jahren zu finden ist. Wenn das dann zwei Mal vorkommt, dann ist das natürlich aussagekräftig um zu sagen, das passiert sehr selten. Dafür hilft uns die Statistik, aber nicht für die unmittelbare Ableitung. Es ist wirklich am individuellen Einzelfall orientiert.

Vielen Dank, Alexander Horn, für das Gespräch.

Kriminetz-Redakteurin Claudia Schmid traf Profiler Alexander Horn zum Gespräch bei der Frankfurter Buchmesse. Foto: © Jürgen Schmid, Kriminetz