Kein Familienidyll - Wir Monster

Mehdi Nebbou als Sarahs Vater Paul in "Wir Monster". Foto: © Martin Menke / Ester.Reglin.Film.

Der Gesichtsausdruck des Teenagers auf der Rückbank des Autos spricht Bände. Sarah ist mit ihrem Vater Paul unterwegs, sie soll ins Ferienlager. Paul selbst ist mit einer neuen CD und mit seiner Freundin, einer Sängerin, beschäftigt. Die Mutter von Sarah, Christine, hat einen Urlaub für sich mit dem neuen Partner gebucht. Sarah fühlt sich von beiden abgeschoben und hat einen Plan, ihre Eltern wieder zusammenzubringen. Denn wenn sie sich beide um sie sorgen müssen, wäre das nicht ein verkettender Umstand?

Sie bittet ihren Vater, anzuhalten, ihre Freundin Charlie habe sich spontan dazu bereit erklärt, sie ins Ferienlager zu begleiten. Kurz darauf steht der Vater allein im Wald, umringt von hohen Bäumen und ruft nach den beiden Mädchen. Doch nur Sarah ist da, klammert sich viele Meter hoch über dem Stausee verzweifelt an ein Geländer. Charlies Rucksack treibt auf dem Wasser. Sarah erklärt ihrem verstörten Vater während der Weiterfahrt, sie habe die Freundin im Streit mit Absicht ins Wasser gestoßen. „Es war kein Unfall, Papa.“ Die Hand des Vaters klammert sich ums Lenkrad. Kann er wirklich zur Polizei gehen? Würde seine Tochter eine Haftstrafe unbeschadet überstehen? Nun entwickelt auch der Vater einen Plan.

Doch Sarah haut wieder ab und dieses Mal steht Paul suchend und rufend alleine zwischen Häuserschluchten.

Was passiert mit den Eltern, außer gegenseitiger Schuldzuweisung? Die gemeinsame Sorge eint nicht, Brüchigkeiten werden aufgedeckt. Die künstlich herbei geführte Ausnahmesituation kittet nichts, diese Familie hält nichts zusammen. Die Monster werden frei gelassen, die Geschehnisse entwickeln eine nicht vorhersehbare und nicht planbare Eigendynamik. Erst Mal los gelassen, werden sie nicht wieder eingefangen. Die Decke der Zivilisation ist oft erschreckend dünn. Die Metamorphose des Unansehnlichen zur Schönheit, in einzelnen Bildern immer wieder eingestreut durch die sich verpuppende Raupe, die zum Schmetterling wird, findet in umgekehrter Reihenfolge statt. Am Ende trocknet der Falter seine Flügel. Andernorts werden sie gebrochen.

Ausnahmslos alle Beteiligten überzeugen durch ihre schauspielerische Leistung. Es geht unter die Haut, wie sich im Gesicht der Lebensgefährtin (gespielt von Britta Hammelstein) die Geschehnisse spiegeln, die sie zwar nicht sieht und von denen sie zu ahnen scheint. Sie singt um ihre Liebe, die sie festzuhalten versucht. Sie singt auf der Bühne jenes Lied, das Paul für seine Tochter schrieb und das er ihr nie vorsang.

Wer lieber seichte Unterhaltung konsumieren möchte, sollte diesen Film besser nicht anschauen. Denn dieser Film hat Tiefgang und schafft es, zu berühren. Es geschieht das mit einem, was man sich nach dem Besuch eines Theaters oder Kinos optimaler Weise wünscht: Die Beschäftigung damit hält an.

Regie führte Sebastian Ko, das Drehbuch schrieb Marcus Seibert. Kamera: Andreas Köhler, Schnitt: Nicole Kortlüke. Die wunderbar passende Filmmusik ist von Dürbeck & Dohmen. Folgende Schauspieler wirkten mit: Mehdi Nebbou, Ulrike C. Tscharre, Janina Fautz, Ronald Kukulies, Britta Hammelstein, Daniel Drewes, Marie Bendig u. a. Produziert wurde „Wir Monster“ von Ester.Reglin.Film in Koproduktion mit WDR, ARTE.

„Wir Monster“ läuft in der Reihe „Lichtblicke“ beim 11. Festival des Deutschen Films in Ludwigshafen.