Sieben Fragen an André Georgi

Kriminetz traf André Georgi bei der Frankfurter Buchmesse 2014, wo er seinen Thriller "Tribunal" vorstellte. Foto: © Jürgen Schmid

André Georgi hat fast dreißig Drehbücher, darunter für den TATORT und Bella Block geschrieben. Zu den Verfilmungen der Kurzgeschichten von Ferdinand von Schirach, die auf wahren Kriminalfällen beruhen, VERBRECHEN und SCHULD, hat er mehrere Drehbücher beigetragen.
Der studierte Philosoph und Germanist lebt in Bielefeld, er wurde 1965 in Kopenhagen geboren.
Mit Tribunal, erschienen im Suhrkamp-Verlag, hat André Georgi nun erstmals einen Roman geschrieben. Jasna Brandic ist Topermittlerin des Tribunals in Den Haag, das gegen einen international gesuchten Kriegsverbrecher ermittelt. Er ist der Hauptverantwortliche für ein Massaker und für Massenvergewaltigungen im ehemaligen Jugoslawien. Doch Jasnas Kronzeuge wird in ihrem Beisein ermordet. Dadurch gerät das gesamte Verfahren in Gefahr. Jasna reist daraufhin selbst ins ehemalige Jugoslawien.

„Tribunal“ ist in der Kategorie „Debüt“ für den Friedrich-Glauser-Preis 2015 nominiert.

Für Kriminetz hat André Georgi sieben Fragen beantwortet.

Kriminetz: Sind Sie des Drehbuchschreibens müde? Oder wollten Sie mit dem Roman eine für Sie neue Art zu schreiben ausprobieren?

André Georgi: Nein, nicht müde, gar nicht. Ich schreibe ja weiterhin Drehbücher und tue dies sehr gerne. Die Arbeit im Team macht Spaß, es gibt schnelles Feedback und ich habe das Glück meistens tolle Regisseure und Schauspieler zu haben. Aber ich bin sehr viel mehr von der Literatur und von Büchern geprägt als von Filmen – ich liebe den Klang eines gut geschriebenen Textes und Prosa hat Möglichkeiten, die dramatisches Schreiben nicht hat: Den Blick in das Innere einer Figur, der sich nicht über ihr Handeln vermittelt, zu werfen, Zeitraffungen und –dehnungen, Erzählerkommentare – und eben der „Sound“ und der Rhythmus der Sprache, der mir sehr wichtig ist.

Kriminetz: Sie haben sich in „Tribunal“ für die Schilderung realer Verbrechen, wie sie auch im Zusammenhang im Rahmen von Berichterstattung über Krieg und Bürgerkrieg durch die Medien gehen, entschieden. Durch diese Nähe zur Realität wirkt ihr Thriller weitaus brutaler, als wenn man als Leser von fiktiven Verbrechen liest, die man getrost der Fantasie des Autors zuschreiben kann. Hatten Sie keine Sorge, Ihre Leser und Leserinnen damit zu erschrecken?

André Georgi: Nein. Die Wahrheit über diesen Krieg – über jeden Krieg – ist nun mal erschreckend und ich halte nichts vom Eskapismus. Ich habe eigentlich gar nicht darüber nachgedacht, was Leserinnen und Leser dazu denken würden. Ich versuche das zu schreiben, was mich berührt und was bei mir, in mir haften bleibt und dann hoffe ich sehr, dass das auch für Leserinnen und Leser interessant ist. Anders kann ich nicht arbeiten. Was mich aber sehr umgetrieben hat, war die Frage, wie ich Gewalt darstellen kann und sollte. Auf gar keinen Fall wollte ich Gewalt um ihrer selbst erzählen, um irgendwie äußere Spannung zu erzeugen, wie es das Genre nun mal gerne tut. Das wäre für mich eine „Gewaltpornographie“, die dem Thema und den Opfern dieses Krieges nicht gerecht wird.

Kriminetz: Was war der Auslöser, sich für dieses Thema zu entscheiden?

André Georgi: Den einen Auslöser gab es nicht, es waren eher viele. Für mich sitzen die Bilder des Jugoslawienkrieges, der Schock, dass es nach der euphorischen Zeit der Wiedervereinigung plötzlich mitten in Europa solch einen Krieg mit einer solchen Verrohung gab, immer noch tief. Ich habe damals in Berlin gelebt und eines Tages lag in unserem Hausflur ein Toter – erschossen und ein Opfer der serbisch-kroatischen Auseinandersetzung. Das ist lange her, aber als ich nach einem Thema gesucht habe, habe ich gemerkt, wie sehr mich diese Bilder, diese Ereignisse eines Staatenzerfallskrieges immer noch berühren. Das Thema hat mich nicht losgelassen und im Laufe der Recherche immer mehr gepackt. Natürlich ist es schrecklich, voller Brutalität. Aber es war es Wert, soviel Arbeits- und Lebenszeit dort hinein zustecken. Das Thema musste erzählt werden.

Kriminetz: „Homo homini lupus est.“ Es scheint so, als würde der Mensch immer wieder darauf zurückfallen, dass er des Menschen Wolf sei. Die Decke der Zivilisation ist letztendlich ziemlich dünn?

André Georgi: Ich fürchte ja – auch wenn diese Aussage vielleicht ein bisschen zu einfach klingt. TRIBUNAL ist aber gar nicht so sehr ein Buch, das dem nachgeht, wie Krieg den Wolf im Menschen hervorlockt, obwohl es auch davon erzählt. TRIBUNAL ist eher eine Nachkriegsgeschichte, die zeigt, wie schwer es ist, den Wolf wieder einzusperren. Aber auch, wie stark Rechtfertigungen des Krieges und seiner Notwendigkeit weiterexistieren. Ehemalige Kriegshelden sind zwar international gesuchte Outlaws, aber sie werden real vom Großteil der Bevölkerung gedeckt und leben fiktional in kriegslegitimierenden Heldengeschichten ihres Landes weiter. Zum Großteil sind die übrigens völlig uneinsichtig. Der Krieg ist zwar vorbei, aber er existiert in den Köpfen weiter und beileibe nicht nur als Trauma! Es gibt verurteilte Kriegsverbrecher, die 300 Seiten starke Autobiographien verfasst haben, die auf ein „Ich hatte recht und würde es wieder tun!“ hinauslaufen. Der Krieg beginnt in all den kriegslegitimierenden Diskursen oberhalb der Decke der Zivilisation und nach seinem Ende lebt er dort auch weiter.

Kriminetz: Haben Sie sich beim Schreiben der Drehbücher zu der Verfilmung der Kurzgeschichten von Ferdinand von Schirach mit ihm abgestimmt oder hatten Sie völlig „freie Hand“?

André Georgi: Bei Adaptionen gilt für mich das oberste Primat der Vorlage – der Drehbuchautor muss sein Ego völlig heraushalten und die Vorlage so stark wie irgend möglich machen, das hat gar nicht so sehr mit Ferdinand von Schirach persönlich zu tun, sondern mit seinen Texten. Insofern hat der Drehbuchautor überhaupt gar keine „freie Hand“. Allerdings ist es sehr schwer, einen literarischen Text filmisch adäquat umzusetzen – es gibt notorische Übersetzungsprobleme, wenn eine Geschichte von einem zum anderen Medium wechselt: Jede Geschichte braucht dann einen anderen dramaturgischen Zugriff. Und das für mich Besondere bei der Verfilmung von VERBRECHEN und jetzt von SCHULD ist es eben, dass die Dramaturgie jeder einzelnen Geschichte anders und besonders ist. Darin wiederum liegt die Freiheit und das Eigene, das der Drehbuchautor einbringt. Wenn das Publikum sagt: „Ja, es ist genauso wie in der Vorlage!“ hat der Drehbuchautor alles richtig gemacht. Das ist das Paradox der Adaption literarischer Texte: Das Verschwinden des Drehbuchautors hinter der Vorlage ist die größte Arbeit. Ich muss den Text der Vorlage mit meiner eigenen Stimme singen, aber niemand darf hören, dass es meine Stimme ist. Adaptionen – wenn sie gut sind – sind schwer zu schreiben und ein unterschätztes Genre.

Kriminetz: Als Drehbuchautor agiert man quasi „hinter den Kulissen“. Nun, als Romanautor, treten Sie bei Lesungen in direkten Kontakt zu Ihrem Publikum. Genießen Sie das? Was nehmen Sie aus diesen Begegnungen mit?

André Georgi: Ich hatte – erstaunlich – genau zwei Lesungen bisher! Das hat mich verblüfft, denn ich hatte mich eigentlich auf die Begegnung mit den Leserinnen und Lesern sehr gefreut. Ich weiß nicht woran das liegt. TRIBUNAL ist ein Debüt, das wird beim nächsten Roman sicher anders.

Kriminetz: Darf sich der geneigte Fernsehzuschauer auf weitere Filme, die auf Ihren Drehbüchern basieren, freuen?

André Georgi: Klar! Da kommt vieles – das aber jetzt noch nicht an die Öffentlichkeit kann, weil ein Film immer platzen kann. Die nächsten Filme, zu denen ich die Drehbücher geschrieben habe, sind drei der sechs Folgen aus von Schirachs SCHULD: SCHNEE, DIE ILLUMINATEN und VOLKSFEST. Das letzte ist mein persönlicher Lieblingsfilm, weil die Geschichte hart ist und nahe geht und weil er in seiner Zeitstruktur sehr interessant ist – ein gutes Beispiel, wie eine Form sich aus dem Stoff heraus ergeben muss und dann auch nicht als formale Spielerei wirkt, sondern wirklich die Geschichte unterstützt.

Vielen Dank, André Georgi, für die Beantwortung der sieben Fragen.

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