Sieben Fragen an Angela Mohr

Die Schriftstellerin Angela Mohr

Angela Mohr, geboren in Stuttgart, hat sich die Welt wegen eines Sprachfehlers in ihrer Kindheit und Jugend von Anfang an schreibend erschlossen. Nach ihrem Theater- und Literaturstudium war sie in den verschiedensten Berufen tätig, unter anderem als Heilpraktikerin. Die Schriftstellerin lebt mit ihrer Familie im Rhein-Neckar-Kreis und ist als organisatorische Leiterin einer Freien Schule tätig. Ihre Romane erscheinen im Arena-Verlag.

Mit einem ihrer Schreib-Projekte war sie für den Feuergriffel nominiert, Mannheims Kinder- und Jugendstadtschreiber-Stipendium.

Für Kriminetz beantwortete Angela Mohr sieben Fragen.

Kriminetz: Du veröffentlichst Romane und Thriller für Jugendliche. Ist das nicht weitaus schwieriger, als für Erwachsene zu schreiben?

Angela Mohr: Ja und nein. Jede Zielgruppe hat ihre Herausforderungen, Schwierigkeiten und Schönheiten. Für Jugendliche zu schreiben bedeutet für mich vor allem die Verpflichtung, innerlich nicht abgeklärt oder gar zynisch zu werden. Alles ist das erste Mal, neu und aufregend, himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Wenn man nicht gern mit Jugendlichen zusammen ist, oder diese extremen Gefühlszustände nicht mag, sollte man besser nicht für Jugendliche schreiben.
Da ich mich aber nur äußerst ungern auf Genres oder Zielgruppen festnageln lasse, sei an dieser Stelle auch gesagt: ich schreibe auch für Erwachsene und plane, künftig hier mehr zu veröffentlichen.

Kriminetz: In deinem Thriller „Vergiss nicht, dass du tot bist“ ist jemand hinter Sabina, die ein neues Herz bekommen hat, her. Was war der Auslöser, dich mit dem schwierigen Thema Organtransplantation zu befassen?

Angela Mohr: Die Geschichte eines Mädchens, die in einem Sachbuch (kurz) erzählt wird. Dieses Mädchen bekam ein Herz transplantiert und war mit der Tatsache konfrontiert, dass sie über Träume und andere Wahrnehmungen den (unentdeckten) Mord an ihrer Spenderin aufklären konnte. Das hat mich sehr fasziniert. Gerade das Herz ist ja nicht irgendein Organ, das ist symbolisch enorm aufgeladen.

Kriminetz: Sabina geht einen nicht einfachen Weg, um mit einem neuen Herz zu leben. Konntest du dich während deiner Recherchearbeit mit Transplantationspatienten austauschen?

Angela Mohr: Leider gab es, nachdem ich mit dem Schreiben begonnen hatte, diese Organspendeskandale in Deutschland. Das machte das Buch zwar sehr aktuell, aber es war nicht ganz leicht, mit Betroffenen zu sprechen. Die Meisten wollten sich nicht (mehr) zu dem Thema äußern. Das habe ich natürlich respektiert, auch wenn es die Recherche leider erschwert hat. Zum Glück hat sich der technische Leiter des Transplantationszentrums Heidelberg Zeit für mich genommen, ebenso der Vorsitzende eines Transplantiertenvereins. Erst auf Lesungen, und auf Veranstaltungen wie beispielsweise dem deutschen Tag der Organspende in Stuttgart, wo ich als Rednerin eingeladen war, habe ich dann mehr Menschen kennen gelernt, die auf der Warteliste stehen, transplantiert sind oder jemanden zur Organspende frei gegeben haben. Ich habe diese Menschen alle als ganz besondere Persönlichkeiten kennen gelernt. Besonders gut erinnere ich mich an einen Vater, der seine vierjährige Tochter zur Organspende frei gegeben hat und nun weiß, dass dadurch vier andere Menschen leben können. Die große Kraft und Bescheidenheit dieses Mannes haben mich sehr beeindruckt.

Kriminetz: Dein Roman „Ada“ beschreibt das Leben in einer sehr engen, kontrollierten Welt, die strengen hierarchischen und patriarchalischen Regeln unterliegt. Zugang zu Bildung gibt es keine. Man denkt beim Lesen an Amish-People, die sich der technisierten Welt verweigern und unter ganz einfachen Bedingungen leben. Ist es dir schwer gefallen, diesen Roman zu schreiben?

Angela Mohr: „Ada“ war streckenweise wirklich eine regelrechte „Tour de Force“ für mich. Da ich selbst in einer christlichen Sekte aufwuchs, konnte ich mich weniger von der Hauptfigur distanzieren, als es mir sonst möglich ist und ich habe das Schreiben wie eine komplikationsreiche Geburt erlebt. Meine Lektorin war mir eine sehr hilfreiche Hebamme bei dieser intimen Geschichte. Ich habe zwar auch viel recherchiert – nicht nur über die Amish-People, auch über viele andere Gruppierungen, die sich stark abschotten, dennoch war ich für dieses Buch tatsächlich selbst meine Hauptquelle – eine ungewöhnliche Situation, die ich so noch nicht hatte.
Trotzdem - oder vielleicht gerade deswegen - ist „Ada“ mein Herzensbaby, ein ganz besonderes Buch. Und aus den Rückmeldungen kann ich schließen, dass sich die fehlende Distanz offensichtlich als große Authentizität niederschlägt. Wenn das gelungen ist, hat sich doch jede Wehe gelohnt. :-)

Kriminetz: Das Dorf, in dem Ada und die ihrigen leben, wird durch einen Wald von der „Welt“ getrennt, in der die angeblich Sündigen, die „Nicht Auserwählten“ leben. Es scheint eine Art kollektiver Gehirnwäsche zu sein, der Ada und die anderen Dorfbewohner ausgesetzt sind?

Angela Mohr: Ich antworte mal ganz provokant: Nein. Sie haben lediglich einen anderen Referenzrahmen.
Was ich damit sagen will: Die Idee, es gäbe gehirngewaschene Menschen und solche, die selbstständig und unabhängig von ihrer Umwelt über ihr Gehirn verfügen könnten, ist doch eine Illusion. Jeder Mensch setzt sich seine Moralvorstellungen, seine Handlungsoptionen, sein Gefühl dafür, was „richtig“ und „falsch“ sei, aus der Welt zusammen, in der er sich befindet. Das ist sogar lebensnotwendig.
Aber es gibt Fragen, die ich schon spannend finde: Was passiert mit einem Menschen, dessen Weltbild sich nicht halten kann und zusammenstürzt? Davor haben wir ja alle eine Heidenangst, wir klammern uns krampfhaft an unsere Welt- und Selbstbilder und feinden jeden an, der ihnen etwas antun will, nur um vielleicht unangenehmen Wahrheiten nicht ins Auge sehen zu müssen.
Ada erlebt diesen Konflikt, der sie in ihren Grundfesten erschüttert: sie hat bedingungslos geglaubt und vertraut und nun soll das alles falsch sein? Das ist zu groß, das darf nicht sein, daran hält sie bis zum bitteren Ende fest.
Und eine andere Frage: wie viel ist ein Mensch bereit, für die (scheinbare) Sicherheit einer Gemeinschaft zu geben? Wie viel kognitive Dissonanz ist er bereit, auszuhalten? Es erfordert ja eine enorme Hirnleistung, all die Widersprüche, die sich in einer extremen Gruppierung ergeben, auszuhalten, ohne wahnsinnig zu werden. Eigene Gedanken und Empfindungen, die der offiziellen Lehre zuwiderlaufen, müssen dann unterdrückt werden, am besten so weit, dass man sie gar nicht mehr wahrnimmt. Die beste Lüge ist immer noch die, die man selbst für die Wahrheit hält.
Und noch eine spannende Frage: Wann kommt der Punkt, an dem ein Mensch bereit ist, die Gefahr des Außenseiterseins, vielleicht sogar eine Lebensbedrohung auf sich zu nehmen? Wann ist man bereit, lieber eine schmerzhafte Wahrheit anzusehen, als weiterhin in der Lüge zu leben?
Das sind die Dinge, die mich dabei interessieren. Das sind keine Randgruppenthemen, die betreffen jeden.

Kriminetz: Willst du mit deinem Roman „Ada“ Aussteigern aus Sekten Mut machen, diesen Weg zu gehen?

Angela Mohr: Ich möchte allen Menschen Mut machen, ihren Referenzrahmen zu überprüfen, auch wenn es Angst macht. Ich möchte Mut machen, Ideen, scheinbare Wahrheiten und Autoritäten anzuzweifeln, die sonst niemand um einen herum anzweifelt. Auch, wenn man dann vielleicht erstmal alleine ist.
Und: Ja. Natürlich möchte ich allen Aussteigern aus Sekten Mut machen, aber auch die Augen dafür öffnen, dass es ein schmerzhafter Weg ist. Die Idee: jetzt bist du ausgestiegen, jetzt kommt die Freiheit, ist auch eine Illusion. Der eigentliche Weg Adas beginnt auf der letzten Seite des Romans.
Wenn alles zusammengebrochen und man bereit ist, es als unabänderlich hinzunehmen, fangen die Aufräumarbeiten erst an. Für jemanden, der von Kindesbeinen an in einer solchen Gruppierung aufgewachsen ist, ist das eine Herkulesarbeit. Gott ist tot und der kleine, nichtswürdige Mensch soll sich auf sich selbst verlassen? Das ist kaum auszuhalten. Die größte Gefahr ist dann, gleich dem nächsten Messias in die Arme zu laufen, weil alles andere unaushaltbar ist.

Kriminetz: An welchem Thema arbeitest du momentan? Willst du das deinen Lesern schon verraten?

Angela Mohr: Im Sommer erscheint mein viertes Jugendbuch. Das Projekt war für den Feuergriffel nominiert und ich freue mich sehr, dass es mit dem Arena-Verlag nun verwirklicht wird: Eine Road Story quer durchs Neckartal bis in den tiefsten Odenwald, mit zwei durchaus schrägen Vögeln, die versuchen, irgendwie ihrer Vergangenheit davonzulaufen. Natürlich gelingt ihnen das nicht so recht, sonst wäre es ja kein Roman ;-) … Es wird dabei viel um Sprache und Sprachlosigkeit gehen, ein Thema, das mich schon seit sehr vielen Jahren intensiv beschäftigt.

Kriminetz: Vielen Dank, Angela Mohr, für die Beantwortung der sieben Fragen.

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