Sieben Fragen an Claudio M. Mancini

Das Foto zeigt Claudio M. Mancini. Foto: © Susan Grünefeldt

Claudio Michele Mancini lebt in Deutschland und Italien. Der Schriftsteller mit deutscher Mutter und italienischem Vater war nach seinem Psychologie-Studium als Dozent und Unternehmensberater international tätig. „La Nera“, erschienen bei Knaur, ist bereits sein dritter Mafia-Roman.
Claudio Michele Mancini beantwortete sieben Fragen für Kriminetz.de.

Kriminetz: Mit „La Nera“ hast du bereits deinen dritten Mafia-Roman veröffentlicht. Wie bist du zu dem Thema „Mafia“ gekommen und im Besonderen auf eine Frau, die einen Clan anführt?

Claudio M. Mancini: Ich habe eine hohe Affinität zur Mafia, zumal ich in dieses Umfeld schon von Jugend auf sehr genau kenne und schlimme Dinge erlebt habe. Die Medien haben das Bild des Mafioso leider bis ins Folkloristische verzerrt. Figuren wie Don Vito Corleone gibt es heute nicht mehr. Und der Mafioso ist nicht nur brutal und geldgierig, er hat eine andere Seite. Die Gefährlichsten von ihnen haben mit dir dieselbe Schule und dieselbe Universität besucht und sitzen im Gottesdienst neben dir. Wenn man so will, sind meine Bücher auch so eine Art Abrechnung mit realen Personen. In meinem letzten Roman LA NERA hat mich Giuseppina Sansone besonders inspiriert, eine Frau, die zeitweise bis zu 30 Killer beschäftigte. Sie war gewissermaßen die Vorlage für meinen Roman.

Kriminetz: „La Nera“ ist beinahe noch grausamer als die männlichen Paten, jegliche menschliche Regung ist ihr abhanden gekommen. Muss sie beweisen, dass sie eigentlich „der bessere Kerl“ ist, um in den Kreisen, in denen sie sich bewegt, akzeptiert zu werden?

Claudio M. Mancini: Frauen machen heute in der Mafia Karriere und sind in vielen Fällen die wahren Hardliner der Cosa Nostra. Sie füllen die Lücken, die geschnappte oder ermordete Gangsterbosse in der Welt des organisierten Verbrechens hinterlassen. Frauen steigen auf in der Ehrenwerten Gesellschaft, sie arbeiten als Bosse im Rauschgifthandel, verwalten kühl und kompetent Milliardensummen aus Drogen- und Waffengeschäften. Natürlich müssen sie sich in einer archaischen Männerwelt beweisen und durchsetzen, aber sie agieren auch erheblich raffinierter. Nicht zuletzt sind der Schutz der Familie und das Auskommen ihrer Kinder eine starke Motivation. Die letzte spektakuläre Verhaftung erfolgte am 22. Juni 2012 in Neapel, eine Mafia-Patin, wie sie brutaler kaum sein konnte.

Kriminetz: Sophia weigert sich zum großen Verdruss ihrer Schwiegermutter, Kinder zu bekommen. Sie will keinen Sohn gebären, der wiederum jemanden rächen muss. Ist diese Weigerung ein ambivalenter Versuch, das System, in dem sie ansonsten perfekt mitspielt, aufzubrechen?

Claudio M. Mancini: Sophia – genannt La Nera -, ist schwer traumatisiert, das geht aus meinem Roman deutlich hervor. Männer sind für sie nur noch Mittel zum Zweck, ihre Ziele zu erreichen und durchzusetzen. Und sie nutzt die Macht. Ein Aufbrechen des mafiosen Systems steht völlig außerhalb ihrer Denkkategorien. Solche Überlegungen wären im übrigen auch aus vielen Gründen völlig unrealistisch. Einen, der wesentlichen Gründe möchte ich dennoch nennen: Die Mafia ist Bestandteil der sizilianischen Kultur und tief in der Gesellschaft und in den Traditionen Süditaliens verankert. Es gibt nur zwei Institutionen, die in der Bevölkerung als gesellschaftliche Basis dienen: Die Kirche und die Mafia. Weder in der einen noch in der anderen Institution gibt es die Möglichkeit, straflos auszuscheren. In letzter fällt die Strafe allerdings erheblich drakonischer aus!

Kriminetz: Beim Lesen des Romans bekommt man den Eindruck von gründlicher Recherchearbeit, auch über die Antimafiabehörde. Es war sicher schwer, Informationen zu bekommen?

Claudio M. Mancini: Wer die Mafia verstehen will, muss in die Seele des Mafioso vordringen. Ohne gute Kontakte auch keine authentische Insider-Informationen. Mit Ermittlern, Staatsanwälten oder Richtern kann man natürlich leichter Kontakt aufnehmen als zu den Mafiosi. Glücklicherweise verfüge ich über sehr gute Verbindungen. Unter meinen Freunden sind hohe Carabinieri-Offiziere und auch Staatsanwälte. Sie haben mir die Wege in die Behörden geebnet. Nichtsdestoweniger reichen meine Verbindungen auch hinein zur sogenannten ehrenwerten Gesellschaft.

Kriminetz: Italien ohne Mafia – ein unrealistischer Traum?

Claudio M. Mancini: Ja…! Völlig unrealistisch! Der italienische Generalstaatsanwalt Roberto Scarpinato hat es vor einem halben Jahr in ARTE so formuliert. Die Mafia hat längst ganze Staaten unterwandert, und in einigen Ländern hat die wirtschaftliche Bedeutung der illegalen Märkte die der legalen bereits abgelöst. Würde man die Mafia völlig zerschlagen können, würde der Staatshaushalt Italiens binnen kürzester Zeit zusammenbrechen.

Kriminetz: Wie gefährlich ist es, einen Roman über die Mafia zu veröffentlichen? Ist der nächste Sizilien-Urlaub gestrichen?

Claudio M. Mancini: Das kann ich nicht beurteilen, weil ich solche Emotionen völlig verdränge. Und nein, ich bin den ganzen September wieder in Sizilien, schließlich sammle ich für meinen nächstes Werk IL BASTARDO wieder Material. Außerdem ist es ausgesprochen anregend, Arbeit und Urlaub miteinander zu verbinden.

Kriminetz: Die Schilderung des Taschenräuber- und Kriminellenmilieus in der Hafenstadt Genua ist so überaus lebendig, bist du selbst auch schon Mal beklaut worden?

Claudio M. Mancini: Ja, in Neapel. Doch das ist lange her. Meine Frau Susan dagegen hat ganz andere Erfahrung gesammelt, die ich heute noch als Wunder bezeichne. Sie hatte in Neapel, im Stadtteil San Stefano, - also im Straßenlabyrinth der Camorra - ihre Handtasche bei strömenden Regen verloren. Unsere Reise wäre damit zu Ende gewesen, denn darin verwahrte sie alle Ausweise, Geld, Kreditkarten und Reisedokumente. Ein freundlicher Herr hat uns die Tasche ins Hotel nachgetragen. Nichts hat gefehlt. In Italien gibt es also nicht nur Mafiosi.

Kriminetz: Vielen Dank, Claudio M. Mancini, für die Beantwortung der Fragen.

Claudio M. Mancini: Ich danke dir, liebe Claudia und ich freue mich auf meine Leser.