Sieben Fragen an John Katzenbach

Das Foto zeigt John Katzenbach. Foto: © Jürgen Schmid, Kriminetz

Der international erfolgreiche amerikanische Thriller-Autor John Katzenbach verfasste bisher zwölf Romane, den ersten im Jahr 1982. Nun, dreißig Jahre später, erschien sein aktueller Thriller „Der Wolf“ in deutscher Übersetzung bei Droemer. John Katzenbach war auf mehrtägiger Lese-Tour quer durch Deutschland, auf der vorletzten Station las er bei Thalia in Mannheim, bevor es weiterging nach München, in die für den Abend ausverkaufte BMW-Welt.
Die Kriminetz-Redaktion traf John Katzenbach im Foyer seines Mannheimer Hotels, wo er für ein Interview zur Verfügung stand. Das im Renaissance-Stil erbaute Hotel, das sich direkt an Mannheims Jugendstil-Anlage rund um den Wasserturm befindet, empfängt den Gast mit einem Flair von Germany, wie es Gäste aus Übersee vermutlich erwarten. So nahmen wir denn Platz in den großen champagnerfarbenen Ledersesseln und sprachen mit einem Autor, der im Gespräch offen und mit großer Freundlichkeit auf sein Gegenüber zugeht. John Katzenbach gefiel es, dass Kriminetz im Interview sieben Fragen stellt, da viele dieser Zahl eine mystische Bedeutung zusprechen.

Für Kriminetz beantwortete John Katzenbach sieben Fragen

Kriminetz: Sie befinden sich heute hier in Mannheim auf der vorletzten Station Ihrer momentanen Lesereise durch Deutschland. Konnten Sie einen kleinen Eindruck von den Städten erheischen, in denen Sie während der letzten Tage gelesen haben?

John Katzenbach: Ja! Ich finde alle deutschen Städte wirklich faszinierend, denn nirgendwo in der Welt gibt es eine solche Mischung aus alt und neu. Was ich interessant finde ist, dass jede Stadt ihren eigenen Charakter, ihr eigenes Flair hat. Ich weiß nicht, ob es am deutschen Charakter liegt, aber die Menschen hier sind sehr freimütig und freundlich. So bekomme ich durchaus ein Gefühl für die Städte, in denen ich gelesen habe.

Dazu kommt, dass der Kontakt zu meinen deutschen Fans sehr herzlich ist. Die deutschen Leser sind einfach wundervoll, sie verstehen die psychologischen Abläufe und erfassen die emotionalen Nuancen. Es ist eine Freude, hier zu sein.

Kriminetz: Ihr Name klingt nach deutschen Wurzeln. Ist in Ihrer Familie bekannt, wer Ihrer Vorfahren wann nach Amerika auswanderte? Oder liegt das schon sehr weit zurück?

John Katzenbach: Für Amerikaner ist es sehr lang her, doch für Deutsche ist es wie gestern. Meine Familie wanderte vor dem Unabhängigkrieg im 18. Jahrhundert von Deutschland nach Amerika aus. Sie kamen aus einer Stadt hier ganz in der Nähe: Katzenbach.
Es ist witzig, grade vor wenigen Wochen habe ich es jemand erzählt. Es gibt da eine berühmte Geschichte über einen meiner Ur-ur-ur-…-Ahnen: Der lebte in New Jersey. In der Nacht, in der George Washington den Delaware überquerte, unterhielt mein Ahne alle britischen Offiziere bei einer großen Party auf der alle schrecklich betrunken waren und von der er irgendwie plötzlich verschwand. Und dann tauchte er einige Tage später wieder auf der Seite von Washington auf. Bis heute ist nicht bekannt, ob er nur deshalb auf der Party war, weil er die Briten mochte, oder ob er ein Spion von George Washington war, der dort eingeschleust wurde. Wir in der Familie bevorzugen natürlich die Geschichte, dass er als Spion dort war.

Kriminetz: Die Märchen, welche die Brüder Grimm zu ihrer Zeit in Europa gesammelt haben, finden sich in vielen deutschen Haushalten. Haben Sie auch Ihren Kindern die Geschichten von Rapunzel und Rotkäppchen vorgelesen?

John Katzenbach: Viele Menschen fragen mich nach meiner Beziehung zu Grimms Märchen. Interessanter Weise ist die Antwort auf Ihre Frage: Nein! Ich las sie meinen Kindern nicht vor, ich las sie selbst. Es ist verwunderlich, aber es ist so. Meine Beziehung zu Grimms Märchen ist die eines Erwachsenen.

Viele Menschen [in den USA (Anmerkung der Redaktion)] kennen ja nur die bereinigte Disney-Version von Rotkäppchen, in der das Rotkäppchen davon kommt. Aber was ich faszinierend finde ist, dass die Story ja schon von den Gebrüdern Grimm verändert und abgemildert wurde, weil sie dachten, dass die die ursprüngliche Geschichte zu düster und zu grausam war. Und wenn die damals schon dachten, die Geschichte sei zu düster, kann man sich vorstellen, wie das heute gesehen wird.

Wie jedes Märchen hat ja auch Rotkäppchen eine moralische und eine psychologische Komponente. Die moralische Komponente ist ganz einfach die Botschaft an die kleinen Mädchen: Riskiert nichts, sonst passieren euch böse Dingen.

Bei dem psychologischen Faktor dreht sich alles nur um den Wolf. Der Wolf ist die eigentlich interessante Figur. Er ist smart und will eine Verbindung aufbauen und Rotkäppchen nahe sein. Und mein Wolf spricht darüber. Er könnte alles tun was er will. Aber Nein, er muss sich mit ihr verbinden. Das ist ein außerordentlich interessantes psychologisches Bild in einem Märchen über einen modernen Serienmörder.

Kriminetz: Sie waren früher Gerichtsreporter und haben bei dieser Arbeit viele Facetten menschlichen Seins kennen gelernt, aus denen Sie sicherlich bei Ihrer schriftstellerischen Arbeit schöpfen. Gehen Sie heute noch manchmal zur „Inspiration“ als Zuhörer zu einem Prozess?

John Katzenbach: Das hat mich schon lange niemand mehr gefragt. Nein, das mache ich nicht mehr. Die Wahrheit ist, wenn man die Welt mit den Augen eines Schriftstellers betrachtet, ist alles Theater, ein psychologisches Abenteuer.

Um sicherzustellen, dass meine Bücher realistisch sind, achte ich sehr darauf, dass keine Figur in dem Buch etwas tut, was ich mir nicht vorstellen könnte auch selbst zu tun. Sogar die Bösen. Dadurch wirken die auf beiden Seiten agierenden Figuren für den Leser wahrhaftig.

Bei der Recherche für einen Roman brauche ich nur so viel zu recherchieren, um die Geschichte präzise erzählen zu können. Aber wenn ich wieder zu meinen journalistischen Wurzeln zurückgehen würde, wäre ich durch die Recherche zu sehr gebunden. Und dann würde dabei kein lebendiger Roman sondern eine Reportage herauskommen.

Kriminetz: Einige Ihrer Bücher wurden verfilmt. Hitchcock ist unter anderem dafür berühmt, dass er in kleinen Szenen seiner Filme selbst zu sehen war. Ist das bei Ihnen auch der Fall? Sind Sie in einem Ihrer Filme zu sehen?

John Katzenbach: Bisher wurden vier meiner Bücher verfilmt und der fünfte Film wird gerade gedreht. Als mein erster Film (»Das mörderische Paradies«) gemacht wurde, nahm mich der Produzent, der ein guter Freund von mir wurde, zur Seite, und fragte mich: »Möchtest Du gerne im Film zu sehen sein und irgendwo durch das Bild spazieren?« »Ja, klar«, hab ich gesagt. Doch dann meine er: »Aber Du musst eines bedenken: Mit Statisten wird umgegangen wie mit Rindviechern. Wenn Du also für einen Tag behandelt werden willst wie eine Kuh auf dem Weg zum Schlachthof, dann kannst Du gerne als Statist auftreten. Wenn nicht, wirst Du hier in einem Stuhl mit deinem Namen drauf sitzen und jeder wird dich wie einen König behandeln.« Und dann habe ich doch den Stuhl vorgezogen. Aber meine Frau hat darauf bestanden, Statistin zu sein. Und daher ist sie in einer Szene am Ende des Films, als sich eine Menge Reporter um Kurt Russel und Muriel Hemingway drängen, einmal voll im Bild.

Es ist schwierig, wenn das eigene Buch verfilmt wird. Denn der Produzent und der Regisseur wählen die Szenen nach ihrer Wirkung auf der Leinwand aus, machen alles mögliche, damit in dem Film »etwas passiert«. Und dadurch geht dann die Psychologie der Geschichte verloren. So war z.B. die Figur des amerikanischen Colonels McNamara in »Das Tribunal« für das Buch nur von mittelmäßiger Wichtigkeit. Aber weil sie von Bruce Willis gespielt wurde, wurde daraus eine große Rolle gemacht. So werden Dinge dann geändert. Und der Film spricht eine dann eine völlig andere Sprache als meine Bücher.

Ich liebe Filme und gebe selbst den Film-Kurs »Journalists in Film«. Und weil ich in der Vergangenheit so frustriert war, weil die Aussage meiner Bücher im Film verloren ging, habe ich, als ich vor etwa 6 Jahren von einem jungen australischen Regisseur wegen der Verfilmung von »Die Anstalt« gefragt wurde, darauf bestanden, dass ich das Drehbuch selber schreibe. Seitdem habe ich eine Menge Arbeit hineingesteckt und es ist mit Australien immer wieder Hin und Her gegangen. Und jetzt sind wir so weit, dass der Hauptdarsteller gesucht wird. Da sind einige im Gespräch und ich bin gespannt, wer es schließlich wird. Und natürlich bin ich auch gespannt, ob sich meine Ideen als stichhaltig herausstellen werden oder ob es bei meinem Drehbuch genauso ist wie bei den anderen. Aber ich bin sehr optimistisch.

Dabei muss man natürlich folgendes berücksichtigen: Wenn ich ein Buch schreibe, bin ich allein, dann sind es meine Story und meine Figuren. Aber bei einem Drehbuch ist das viel schwieriger, weil jeder mitreden will.

Kriminetz: Die drei vom „Wolf“ bedrohten Opfer in Ihrem aktuellen Psychothriller sind – jede auf ihre Art - einsame Frauen. Ist es die Einsamkeit, die so verletzbar macht?

John Katzenbach: Es ist ein Teil davon, aber so einfach ist es nicht. Dazu kommen noch ihre Schwäche und ihre Unsicherheit. Sie zweifeln an ihrem eigenen Leben. Und genau da holt sie der Wolf ab. Das einzige was für sie sicher ist, ist, dass der böse Wolf sie umbringen will. Der Wolf kreiert für jedes der drei Opfer ein eigenes maßgeschneidertes Szenario und beendet damit auf einzigartige Weise ihre Schwäche. Sie werden quasi zu Soldaten, die um ihr Überleben kämpfen.

Die drei Frauen sind verschiedenen Alters, sie ergänzen einander, wobei die jüngste die härteste ist. Jede kann etwas mit den anderen teilen und hat besondere Kenntnisse und so entsteht eine interessante Dynamik.

Ich versuche bei jedem Buch den Plot mit viel Originalität auszustatten. Die Leser sollen erkennen, dass das Buch von mir ist und dass es anders ist als die vorigen.

Kriminetz: „Der Wolf“ ist ein nicht eben erfolgreicher Schriftsteller, der mit einem letzten großen Coup auf sich aufmerksam machen will. Was hat es auf sich mit der Angst davor, lediglich gewöhnlich zu sein?

John Katzenbach: Es ist nichts so niederschmetternd wie das Gefühl, dass man etwas hätte erreichen können, es aber nicht geschafft hat. Und daraus entsteht ein sehr motivierender Antrieb für den Wolf, der fühlt, dass er mehr Erfolg hätte haben müssen. Und damit kann sich auch jeder identifizieren. Jeder hat wohl schon mal so empfunden. Der einzige Unterschied ist: Wir haben nicht das Ziel, drei Frauen auf unterschiedliche Weise an einem Tag zu ermorden, aber der Antrieb ist verständlich. Eine meiner Lieblingsstellen im Buch ist die, wo der Wolf am Anfang sagt: Sie werden an mich denken wie an Billy the Kid und sie werden Lieder über mich schreiben!
Mein Ziel ist, dass der Leser sich nicht nur mit den drei Opfern, den drei Rotkäppchen identifiziert, sondern auch mit dem Wolf.

Vielen Dank, John Katzenbach, für die Beantwortung der Fragen.

Das Interview wurde in englischer Sprache geführt. Die Fragen von Kriminetz übersetzte Barbara Zeller.

Zur offiziellen deutschsprachigen Website des Autors John Katzenbach

Das Interview mit John Katzenbach führte Claudia Schmid. Foto: © Jürgen Schmid, Kriminetz