Sieben Fragen an Jürgen Carle

Das Foto zeigt Jürgen Carle.

Jürgen Carle ist beim Film. Obwohl seine Filme von sehr vielen Zuschauern gesehen werden, kann er meist unerkannt über die Straßen schlendern. Denn Jürgen Carle ist im Film nicht zu sehen. Er ist der Mann hinter der Kamera, er zeichnet für die Qualität der Bilder verantwortlich. Jürgen Carle hat an der Hochschule der Medien Stuttgart studiert und arbeitet seit 1985 für den Südwestrundfunk (vormals Südwestfunk). Als Kameramann hat er zahlreiche Fernsehfilme, Dokumentarfilme und Features begleitet. Neben vielen anderen Filmen wirkte er auch bei zahlreichen TATORT-Folgen und bei der Reihe Bloch mit. Im Jahr 2012 entstand in Berlin der Kurzfilm Dietrich & Riefenstahl unter seiner Regie und mit ihm als Kameramann. 2003 erhielt er den Deutschen Kamerapreis für seine Arbeit am Tatort 1000 Tode mit Eva Mattes.

Der Film Ein offener Käfig mit Jürgen Carle als Kameramann wird am 4. Juli 2014 mit dem Ludwigshafener Medienkulturpreis ausgezeichnet.

Jürgen Carle lebt in Baden-Baden und ist Vater einer Tochter.

Für Kriminetz beantwortete Jürgen Carle sieben Fragen.

Kriminetz: Die Entstehung eines Filmes ist ohne Teamarbeit nicht denkbar. Zu welchem Zeitpunkt steigt der Kameramann mit ein ins Team? Wenn die endgültig letzte Fassung des Drehbuches steht oder schon davor?

Jürgen Carle: Das ist von Film zu Film unterschiedlich. Wenn Projekte anstehen, die einen hohen Ausstattungsaufwand erfordern, kann es schon mal sein, daß ich sechs Wochen vor Drehbeginn schon die ersten Motivvorschläge des Szenenbildners mit dem / der Regisseur/in in Augenschein nehme. Normal ist ein Einstieg ins Projekt drei Wochen vor Drehbeginn. Motive finden, Drehbuch-Auflösung mit dem / der Regisseur/in, ggf. Testaufnahmen etc.

Kriminetz: Sonntagabend, 20.15 Uhr, TATORT-Zeit in vielen deutschen Wohnzimmern. Die Zuschauer holen sich „alte Bekannte“ quasi zu sich nach Hause. Was ist im Hause Carle? Schaust du den Film, den du abgedreht und vorab gesehen hast, bei der Erstausstrahlung nochmals an?

Jürgen Carle: Ich schau mir den Film bei der Ausstrahlung an, wenn ich Zeit habe. Man kann die Filme ja heute auch wunderbar zeitversetzt in der Mediathek abrufen. Meistens habe ich den fertigen Film schon vor der Ausstrahlung gesehen. Ich mache ja auch das Colormatching im Vorfeld mit einem Spezialisten, d.h. das gesamte Bildmaterial wird am Computer Take für Take angeglichen, was Farbe und Kontrast etc. betrifft. Für den Kameramann ist es auch wichtig zu sehen, wie der fertige Film über den Sender kommt! Also ob eventuell zu hell oder zu dunkel. Ausserdem ist es immer wieder eine schöne Erinnerung an die zum Teil auch sehr anstrengende Arbeit über sechs Wochen mit all den Kollegen und Menschen, die einem so begegnen während dieser langen Zeit.

Kriminetz: Ein Dreh erfordert von allen Beteiligten ein hohes Maß an Disziplin, Ruhe und Konzentration. Gibt es eine Anekdote, als diese Ruhe mal gestört wurde?

Jürgen Carle: Ja ... durchaus. Vor ein paar Jahren hatten wir für eine Tatortszene in einem Krankenhauszimmer zu drehen. Der Raum war eng, draussen war Hochsommer mit Wahnsinnstemperaturen und wir mussten aber die Fenster wegen des Tons geschlossen halten. Der Sauerstoffmangel hat uns allen schwer zu schaffen gemacht. Auch waren wir etwas übermüdet, speziell ich. Die Schauspieler Felix Klare, Richy Müller und Charly Hübner haben sich kaputtgelacht, als der Sekundenschlaf über mich kam und ich plötzlich fast die Kamera auf dem schweren Dolly umgeworfen habe. Es gab einen lauten Knall, es ist aber nix passiert. Wird heute unter schallendem Gelächter am Set noch gerne erzählt.

Kriminetz: In dem Kurzfilm „Dietrich und Riefenstahl“ wird Leni Riefenstahl mit den Worten zitiert, sie möchte nicht mehr nur vor der Kamera agieren sondern dahinter selbst Bilder formen. Hast du je Lust verspürt, vor der Kamera zu agieren?

Jürgen Carle: Nein, diese Lust habe ich nie wirklich verspürt. Allerdings war ich in meiner Jugend gerne auf der Schultheaterbühne als Schauspieler (durchaus erfolgreich) und es gab dann mal eine Idee diesen Beruf zu erlernen. Das war aber eine kurze Episode während meiner Phase der Selbstfindung in der Jugendzeit. Übrig geblieben ist ein grosser Respekt für die Kollegen, die vor der Kamera agieren.

Kriminetz: Hast du ein Vorbild oder gibt es einen Kollegen, dessen Arbeit du sehr schätzt?

Jürgen Carle: Es gibt so viele tolle Kameramänner/frauen, deren Arbeit ich schätze und die unter anderem fürs grosse Kino arbeiten. Auch gibt es etliche Fotografen und Maler, die mich in meiner Arbeit inspirieren und die Vorbilder sind. Keine Namen ... es sind so viele.

Kriminetz: Schlendert man als Gast durch Baden-Baden, gewinnt man schnell den Eindruck von Überschaubarkeit. Braucht man zu so einer Idylle manchmal Distanz?

Jürgen Carle: Das ist richtig. Baden-Baden bietet zwar viel nötige Ruhe und Natur. Das kulturelle Angebot ist aber überschaubar. Um dieser Beschaulichkeit immer wieder temporär zu entgehen, ist man aufgefordert kleine Fluchten in Metropolen zu unternehmen. Das tue ich auch regelmässig, vor allem nach Berlin.

Kriminetz: Angenommen, das Budget würde keine Rolle spielen. Welchen Film würdest du dann drehen wollen?

Jürgen Carle: Schwierige Frage. Das könnte ein grosser Spielfilm, aber auch ein Dokumentarfilm fürs Kino sein. Da ich ausschliesslich hochfrequent fürs Fernsehen arbeite, ist Kino immer noch ein spezieller Traum. Mal sehn ... vielleicht klappts ja noch. Die Grenzen verschmelzen immer mehr. Ein Film über das Leben und Schaffen eines grossen Künstlers, wie z.B. Gerhard Richter ... das könnte mir gefallen.

Vielen Dank, Jürgen Carle, für die Beantwortung der Fragen.

Zum Film Dietrich & Riefenstahl von Jürgen Carle

Kameramann Jürgen Carle bei der Arbeit.