Sieben Fragen an Jussi Adler-Olsen

Das Foto von Jussi Adler-Olsen wurde bei der Buchmesse in Frankfurt im Oktober 2012 aufgenommen. Foto: © Jürgen Schmid, Kriminetz

Die Thriller des dänischen Bestsellerautors Jussi Adler-Olsen erfreuen sich auch in Deutschland großer Beliebtheit. Insgesamt erscheinen seine Bücher, für die er viele Preise bekam, in über dreißig Ländern. Bislang liegen in deutscher Sprache vier Bände mit Fällen des Sonderdezernats Q vor: „Erbarmen“, „Schändung“, „Erlösung“ und „Verachtung“ sowie der Roman „Alphabethaus“. Für „Erbarmen“ erhält der Autor den diesjährigen Barry Award in der Kategorie „Bester Roman“. Seit 1997 wird der US-amerikanische Literaturpreis jährlich in sechs Kategorien vergeben. Frühere Preisträger waren unter anderen Stieg Larson, Val MacDermid und Ken Bruen. Wer Jussi Adler-Olsen live erlebt, lernt einen Autor kennen, der sich offen und sympathisch dem Publikum präsentiert und ohne jede Attitüde ist.

Für Kriminetz beantwortete Jussi Adler-Olsen sieben Fragen.

Kriminetz: Sie sind an einem Ort aufgewachsen, der den meisten Menschen ziemlich ungewöhnlich erscheint. Was war das für ein Ort?

Jussi Adler-Olsen: Sie meinen sicher, weil mein Vater als Arzt in psychiatrischen Kliniken gearbeitet hat. Nun, das Leben unter geistig behinderten Menschen, die manchmal Tobsuchtsanfälle hatten, hat schon einen bedeutenden Einfluss auf mein Leben und meine Schriftstellerei gehabt. Während meiner aufregenden und außerdem sehr glücklichen Kindheit konnte ich viel über Einfühlungsvermögen und gespaltene Persönlichkeiten lernen: Wie Gut und Böse so gut in jedem Menschen zusammen leben und vor allem wie die Gesellschaft beeinflussen kann, welcher dieser Teile die Handlungen eines menschlichen Wesens bestimmt.

Kriminetz: Der Ermittler Ihrer Krimis, Karl Mørk und vor allem sein Assistent Assad sind beide ungewöhnliche Menschen. Gab es für die beiden reale Vorbilder?

Jussi Adler-Olsen: Zu der Figur des Carl hat mich ein Patient einer psychiatrischen Anstalt inspiriert, den ich traf, als ich sechs Jahre alt war. Er wurde Mørk genannt. Ich lernte ihn als eine sehr liebenswürdige Person kennen, aber er war ein Mörder – so lernte ich schon sehr früh, dass Gut und Böse in einer Person vereint sein können. Darüber hinaus spiegelt Carl Mørck eine Menge meiner persönlichen Charaktereigenschaften wider. Mein Taufname war Carl Valdemar Jussi Henry Adler-Olsen. Und so ist Carl natürlich auch ein Teil von mir. Im Grunde bin ich faul und beneide Carl für die Fähigkeit, einfach die Füße hochlegen zu können und ein Nickerchen zu machen. Genauso wie Carl fällt es mir auch leicht, kreative Ideen zu entwickeln und beide sind wir sehr direkt. Wir reden beide nicht um den heißen Brei herum, wenn wir eine Botschaft rüberbringen wollen.

Was Assad anbelangt, so wurde der auf der Grundlage eines einzigen Satzes entwickelt, den mein guter Freund und Übersetzer Steve Schein zu mir sagte, als ich ihn einmal anrief. Ich sagte ihm, dass ich ihn vermisste und oft an ihn dachte. Und dazu meinte er: „Hey Jussi, das ist fantastisch. Zwei Seelen in einer Brust. Ich denke AUCH immer an mich.“ Auf der Grundlage dieses einfachen, unerwarteten und fröhlichen Ausspruchs erschuf ich die außergewöhnliche Figur Assad. Er ist genau so wie Don Quixote's Kumpan Sancho Panza: Sehr lebendig und dynamisch, voller Energie und derjenige, der jede Geschichte voran bringt. Das Team von Carl and Assad kann ähnlich verstanden werden wie das von Sherlock Holmes’ and Dr. Watson, aber am Ende ist Assad doch nicht ganz so wie Watson. Assad ist der eigentümliche Putzmann, der Carl hin und wieder hilft und der etwas wunderlich zu sein scheint. Aber er ist tatsächlich ein hochintelligenter Mann mit viel Humor, kombiniert mit wesentlich brillanteren Polizeikenntnissen als erwartet. Assad ist ein Katalysator für Carl. Er ist derjenige, der es schafft, diesen faulen, desillusionierten und ausgepowerten Kriminalkommissar dazu zu bringen, seinen Job wieder machen zu wollen und Interesse an seinem Umfeld zu entwickeln. Gleichzeitig ist Assad ein hervorragendes Beispiel eines Immigranten der mit ihm in so vieler Hinsicht auf Augenhöhe verkehrt und keinerlei Furcht vor dem Aufeinanderprallen der Kulturen hat. Assads lange Geschichte, die im Laufe der Serie nach und nach aufgedeckt wird, ist mindestens so aufregend, düster und unvorhersehbar wie die von Carl.

Kriminetz: In Ihren Krimis geht es immer auch um gesellschaftliche Themen. In „Verachtung“ ist es der menschenverachtende Umgang mit jungen Frauen, die sich in der Zeit, in der sie lebten, unangepasst verhielten oder aber Opfer ihrer Lebensverhältnisse und ihres gesellschaftlichen Umfeldes waren. Wie wurden Sie auf die Insel Sprogø, die „Insel für ausgestoßene Frauen“, aufmerksam?

Jussi Adler-Olsen: Als Kind wuchs ich im nördlichen Teil von Jütland auf und wir reisten jedes Jahr mehrere Male nach Seeland um Verwandte zu besuchen. Und jedes einzelne Mal wenn wir Sprogø passierten erwähnte mein Vater die armen Frauen dort. Als junger Praktikant hatte mein Vater an einem Ort gearbeitet, wo diese Frauen eingewiesen wurden und er vergaß nie das Schicksal dieser Frauen, die Ungerechtigkeit und den Missbrauch der Stellung eines Arztes. Im Grunde hat sich mein Vater für die gesamte Ärzteschaft geschämt und dafür, dass eine solche Institution je existiert hat.

Kriminetz: Gibt es Ihrer Ansicht nach etwas Verbindendes zwischen Dänen und Deutschen?

Jussi Adler-Olsen: Ja, sicherlich. Auf den ersten Blick sind die Deutschen sehr formell und korrekt. Aber im Kern sind die Deutschen genau so fröhlich wie die Dänen und haben einen großartigen Sinn für Humor.

Kriminetz: In Ihren Büchern beschreiben Sie Personen, die tiefe Abgründe in sich haben. Kann ein Mensch etwas an sich haben, was Sie daran hindern würde, ihm gegenüber zu treten?

Jussi Adler-Olsen: Wir alle verwenden den Begriff des Bösen in erster Linie, wenn es darum geht, dass jemand eine Tat unter bestimmten Umständen (gerechtfertigt oder nicht) vorsätzlich begangen hat Aber meiner Meinung nach kann Böses auch unabsichtlich getan werden. Zum Beispiel von einem Politiker, der einem Krieg zustimmt oder einer Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, die Rassismus unterstützt. Natürlich gibt es einen Unterschied im Wesen des Bösen, je nachdem, ob man selbst eine Straftat begeht oder ob jemand im Zuge der Redefreiheit ein Opfer der Redefreiheit wird. Aber das Ergebnis ist oft das gleiche. Man könnte in den erwähnten Beispielen vom absolut Bösen bzw. vom relativ Bösen sprechen. Und so ist das Böse; niemand kann es genau definieren und niemand weiß, ob es eine angeborene Eigenschaft ist. Und das ist einer der Gründe, warum dieser Begriff so faszinierend ist.

Kriminetz: Wird es bald eine Verfilmung ihrer Romane geben?

Jussi Adler-Olsen: Derzeit wird von der Film-Produktionsgesellschaft Zentropa das erste Buch aus der Reihe des Sonderdezernat Q verfilmt. Dieser Film wird im nächsten Herbst in dänischer Sprache erscheinen.

Kriminetz: Wenn Sie einen Wunsch frei hätten für die Gesellschaft in Dänemark, was würden Sie den Dänen wünschen?

Jussi Adler-Olsen: Im Augenblick sehe ich unsere Gesellschaft als eine, die sich in einer Art Schwebezustand befindet. Ich sehe ein Land dessen Einwohner sich angestrengt versuchen, sich wieder in eine friedensliebende, fürsorgliche und einfühlsame Gesellschaft zu verwandeln und ihre Entscheidungen gewissenhaft und wohlbedacht zu treffen. Aber da sind wir noch nicht. Es wird Zeit brauchen, um die Kluft der Meinungsverschiedenheiten zu überbrücken. Ich hoffe wir schaffen das sehr bald.

Vielen Dank, Jussi Adler-Olsen, für die Beantwortung der Fragen.

Das Interview wurde in englischer Sprache geführt. Die Fragen von Kriminetz übersetzte Barbara Zeller.

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