Sieben Fragen an Niki Stein

Regisseur und Drehbuchautor Niki Stein (Nikolaus Stein von Kamienski). Foto: © Hendrik Heiden

Niki Stein (Nikolaus Stein von Kamienski) studierte zunächst Volkswirtschaft in Bonn und Hamburg, später Filmregie bei Hark Bohm und Alexander Mita an der Universität Hamburg.
Bereits 1984 gewann der damals Dreiundzwanzigjährige auf dem Europäischen Kurzfilmfestival in Berlin den Hauptpreis für „Vorsicht Sepp!“, den er gemeinsam mit Jacki Engelken gedreht hatte.
Der in Essen gebürtige Regisseur und Drehbuchautor realisierte bis heute über 40 Filme, wie Vater, Mutter, Mörder! (2011), Rommel (2011), Der Tote im Eis (2012) und Dr. Gressmann zeigt Gefühle (2013). Darunter sind auch etliche Folgen der Reihe TATORT. Im Herbst 2014 fanden in Stuttgart und Baden-Baden die Dreharbeiten zum TATORT des SWR Der Inder statt, bei dem Niki Stein Regie führte und das Drehbuch schrieb.
Er arbeitet auch als Theaterregisseur, beispielsweise bei Iphigenie am Staatstheater Mainz und ist Dozent und Schauspiellehrer.

Die Liste der Auszeichnungen, die Niki Stein erhalten hat, ist lang. So wurde er 6 Mal für den Grimmepreis nominiert, erhielt unter anderem den Deutschen Fernsehpreis für „Bestes Drehbuch“ , den Bayerischen Fernsehpreis für "Bester Film/Beste Regie", den FIPA Grand Prix d´Or und Goldener Gong.

Für Kriminetz beantwortete Niki Stein sieben Fragen.

Kriminetz: Ihr kürzlich im Auftrag des SWR abgedrehter TATORT„Der Inder“ hat eine Großbaustelle namens „Gleisdreieck“ zum Thema. Sie führten nicht nur Regie, sondern schrieben auch das Drehbuch für diese Folge der beliebten Reihe. Was hat Sie daran gereizt, dieses Thema umzusetzen?

Niki Stein: Hinter der Großbaustelle verbirgt sich natürlich das Bahnhofsprojekt „Stuttgart 21“. – Erst einmal war ich skeptisch, dass man vor diesem Hintergrund einen Tatort machen kann. Und eigentlich ist die Sache mit dem Bahnhof ja auch schon durch. – Aber als ich dann mitbekam, dass immer noch jeden Montag ca. 2000 Stuttgarter vom Rathaus zum Bahnhof marschieren, um gegen „Stuttgart 21“ zu protestieren, begann mich die Sache zu reizen. – Nicht der Bahnhof ist das Thema, sondern die Menschen, die sich darüber erregen. – Welche Ängste, Sorgen, Befindlichkeiten stecken hinter dieser seit Jahren andauernden Aufwallung. Das hat mich interessiert.

Kriminetz: Stuttgart 21 ist politisch umstritten. Wird in „Der Inder“ dazu eine Position eingenommen?

Niki Stein: Wir sagen nicht, das Projekt ist richtig, oder das Projekt ist „vom Teufel“. – Ehrlich gesagt sehe ich mich auch nicht in der Lage, darauf eine klare Antwort zu geben. Ich frage mich nur, woher diese Wut vieler Bürger gegen eine doch eigentlich gute Sache kommt. – Dass Stuttgart seit Jahren ein Verkehrsproblem hat, muss jedem einleuchten. Und die Bahn ist eine Zukunftstechnologie, kein Autobahnausbau, oder eine Wiederaufbereitungsanlage. Woher kommt das? – Ich glaube, es hat etwas mit einer wirklich tiefen Krise unserer Gesellschaft zu tun, nicht nur in Stuttgart. Da paart sich ein allgemeiner Frust über Fremdbestimmung durch die Politik mit Zukunftsangst, mit dem Wunsch Ordnung zu schaffen in einer Welt, die man nicht mehr versteht. – Die Aufweichung der Blöcke, die Globalisierung, das grenzenlose Informations- und Akklamationspotential des Internets, das alles verwirrt die Menschen mehr, als dass es sie befreit. – Die Kommissare in unserem Stück stehen da stellvertretend für den Wunsch nach Orientierung. Sie sollen Ordnung schaffen, wo keiner mehr durchblickt.

Kriminetz: Stricken Sie in der Folge auch am komplizierten Privatleben der Ermittler Lannert und Bootz, dargestellt von Richy Müller und Felix Klare, weiter?

Niki Stein: Nein, ehrlich gesagt finde ich das Private in den diversen Tatorten langsam ausufernd. – Ich selbst habe das mal losgetreten, als ich meinen Frankfurter Kommissaren Sänger und Dellwo eine plausible Geschichte mitgeben wollte: Geerdete Polizisten, die eben nicht in schicken Lofts wohnten und teure Autos fuhren. – Jeder, der mal in deutsche Mordkommissionen schnuppern durfte, weiß, dass das alles mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat. – Auch die Geschichten werden ja immer idiotischer. Ich finde, dass es höchste Zeit wird, dass sich der TATORT wieder am Leben orientiert, anstatt Filmlegenden zu zitieren. Für mich ist das Eskapismus.

Kriminetz: Bei einer Theateraufführung können anders als beim Film keine Szenen wiederholt oder herausgeschnitten werden. Schmerzt das manchmal? Wenn Sie merken, da wäre noch „eine Kür“ drin?

Niki Stein: Nein, ich drehe erst, wenn ich es gut finde: Als Zuschauer, wie in einem Theaterparkett. – Im Theater wird ja oft zerprobt. Am Ende wissen die Schauspieler nicht mehr, was sie eigentlich spielen auf der Bühne. – Wichtig ist, dem Schauspieler eine klare Vorstellung von seiner Rolle zu geben. Dafür gibt es Methoden, im Film, wie auf der Bühne, die sich gar nicht so sehr unterscheiden.

Kriminetz: Sie nahmen letzte Woche an der Veranstaltung in der Berliner Humboldt Universität „Runder Tisch. Forderungen der UrheberInnen an den Gesetzgeber“ teil. Müsste das bestehende Urheberrecht konsequent angewendet werden oder besteht zusätzlich Bedarf zur Nachbesserung durch den Gesetzgeber?

Niki Stein: Wir haben ein gutes Urheberrecht, das leider in jüngster Zeit verteidigt werden muss, gegen die „Umsonstkultur“ der so genannten „Netzgemeinde“, Europäische Regulierungswut, vor allem aber gegen die Herren des Netzes, die „Gatekeeper“ Google, Facebook & Co. – Leider lässt sich die Politik viel zu oft blenden von diesem so coolen, hippen „Neuland“. Und die Netzgemeinde kapiert nicht, dass sie den Interessen von Multis dient. Es geht ja nicht darum, dass wir Urheber das Netz kommerzialisieren wollen. Es geht nur darum, dass nach wie vor unser legitimes Recht anerkannt wird, dass wir von der Auswertung unserer Werke leben können. – Denn machen wir uns nichts vor: In spätestens zehn Jahren wird es Fernsehvollprogramme, wie wir sie jetzt kennen, aber auch eine Kinolandschaft, nicht mehr geben. – Die Verwertung audiovisueller Werke wird fast ausschließlich im Netz stattfinden. Deswegen ist es höchste Zeit über Erlösbeteiligungen der Urheber nachzudenken. – Bisher streichen das die „Gatekeeper“ über Werberlöse und Verkauf der über die Nutzer erhobenen Daten selber ein.

Kriminetz: „Die schöne neue Welt“ der Überwachung und des Ausspionierens ist längst Realität. Viele von uns hinterlassen täglich eine Leuchtspur ihres Handelns im Netz. Über jeden von uns existieren Datensätze - Grund zur Angst?

Niki Stein: - Absolut: Die Welt hat sich total verändert. Warentausch, Kommunikation findet fast ausschließlich im Netzt statt. - Kids verabreden sich zum „Chatten“ am Computer und nicht mehr im Jugendclub. Partner werden im Netz gesucht und nicht mehr beim Tanztee. – Wir digitalisieren uns komplett. Und dieses Verhalten wird registriert, verwertet und benutzt, um uns zu manipulieren. – Da erfüllt sich der alte Traum vom gläsernen Kunden, aber auch der Traum von der manipulierbaren Masse zu politischen Zwecken. – PEGIDA ist ein Netzphänomen, entstanden auf Face-Book, genährt durch Vorurteile und Halbwahrheiten. – Die digitale SA ist plötzlich zum Greifen Nah. – Angesichts solcher Entwicklungen ist die NSA für mich nur ein Ärgernis am Rande.

Kriminetz: Die Stadt Frankfurt hat mehrere Gesichter. Neben dem Bankenviertel gibt es Ecken und Nischen, die nicht unbedingt dazu einladen, sie alleine zu durchstreifen. Was mögen Sie an Frankfurt?

Niki Stein: Ich lebe seit zwanzig Jahren in Frankfurt. Erst wollte ich, aus Berlin kommend, sofort wieder weg. Inzwischen kann ich mir keinen besseren Ort vorstellen in Deutschland: Weltoffen, international und mitten in Europa. – Ein bisschen weniger Autos, weniger Ellenbogen, mehr Raum für Kinder wären wünschenswert. Aber selbst da tut sich was. Und was die hässliche Seiten angeht: Frankfurt hat ein Gesicht. Das unterscheidet es von den meisten deutschen Städten, von Hamburg und Berlin einmal abgesehen. Das macht es filmisch so interessant, besonders im Kontrast. – Aber selbst unser so verrufenes Bahnhofsviertel wandelt sich. – Ich sag jetzt nur ganz leise: „Leider“.

Vielen Dank, Niki Stein, für die Beantwortung der sieben Fragen.

Claudia Schmid hatte Niki Stein bei Dreharbeiten zu "Der Inder" kennen gelernt. Zum 14. Festival des deutschen Films in Ludwigshafen am Rhein kam er mit seinem neuen Film. Foto: © Jürgen Schmid, Kriminetz