Sieben Fragen an Rainer Wittkamp

Das Foto zeigt Rainer Wittkamp. Foto: Cornelia Haese-Deymer

Der Schriftsteller Rainer Wittkamp studierte Kunstgeschichte, Theaterwissenschaft und Soziologie an der Freien Universität Berlin, wohin es ihn nach dem Verlassen seiner Geburtsstadt Münster zog. Schon während seines Studiums arbeitete er als Regieassistent mit Regisseuren wie Jean-Jacques Annaud, Rainer Werner Fassbinder, Eberhard Itzenplitz oder Nicholas Meyer. Ende der 80er kam dann das Schreiben hinzu. Neben Artikeln für Stadtmagazine entstanden Kurzprosa, szenische Texte und Beiträge für Filmbücher. Seit 1994 trägt er mit Drehbüchern zur Fernsehlandschaft bei, unter anderem schrieb er für die beliebten Krimi-Serien Die Wache, SOKO Leipzig und SOKO Wismar .

Mit Schneckenkönig veröffentlichte Rainer Wittkamp im März 2013 seinen ersten Kriminalroman. Kalter Hund, erschienen im April 2014 im Grafit-Verlag, ist bereits der zweite Fall mit dem Berliner LKA-Ermittler Martin Nettelbeck.

Für Kriminetz beantwortete Rainer Wittkamp sieben Fragen.

Kriminetz: In „Kalter Hund“ spielt ein libanesischer Clan eine Rolle. Wie hast du recherchiert? War das nicht gefährlich?

Rainer Wittkamp: Ich habe mich dem Thema „libanesische Clans“ auf mehreren Wegen genähert. Zuerst auf dem üblichen Weg, der Recherche bei Google, Wikipedia etc. Dann habe ich mit meinem langjährigen Fachberater, einem ehemaligen Polizeibeamten, der inzwischen als Anwalt arbeitet und mich seit zwanzig Jahren bei meinen Drehbüchern und Kriminalromanen berät, einzelne unklare Aspekte besprochen. Parallel dazu habe ich mir vor Ort, in denjenigen Berliner Bezirken, in denen die Clans besonders aktiv sind, selbst ein Bild gemacht. Ich habe die Atmosphäre in ihren Restaurants, Cafés, Bordellen und Lebensmittelläden auf mich wirken lassen, die Menschen beobachtet, die für die Clans arbeiten. Da ich mich dort nur als Gast bzw. Kunde aufgehalten habe und eher unauffällig aufgetreten bin, fühlte ich mich eigentlich die meiste Zeit sicher.

Kriminetz: Ist Berlin überall so ungemütlich oder gibt es auch einige idyllische Fleckchen, in denen so etwas wie ein „normales“ Leben frei von Bandengewalt möglich ist?

Rainer Wittkamp: Die Clans agieren besonders stark in Neukölln und im Wedding, stellen einen echten Machtfaktor dar, was den dort lebenden Menschen auch bewusst ist. In ihrem Einflussbereich haben sie Gegenstrukturen zur offiziellen Ordnung entwickelt. Es besteht dort eine Parallelgesellschaft, mit clanbestimmten Verhaltensregeln und Gesetzen, bis hin zu einer eigenen Gerichtsbarkeit. In diesen beiden Bezirken kommt es auch immer wieder zu einer „sichtbaren“ Brutalität, wie z.B. zu offenen Straßenschlachten zwischen verfeindeten Clans. In den meisten anderen Berliner Bezirken sind die Clans nur sehr selten offen präsent und in der Regel auch nicht durch gewalttätige Aktionen. Dort fallen sie eher im Zusammenhang mit „befreundeten“ Nicht-Clanmitgliedern auf, wie z.B. durch die Freundschaft zwischen Bushido und dem Abou-Chaker-Clan oder ihren Kontakten zu „hochseriösen“ Kurfürstendamm-Anwälten. Der normale Berliner außerhalb Weddings oder Neuköllns führt aber selbstverständlich ein völlig normales Leben, in dem diese spezielle Bandenkriminalität keine Rolle spielt.

Kriminetz: Was ist für dich die größte Herausforderung beim Schreiben von Kriminalromanen?

Rainer Wittkamp: Als Autor interessieren mich vor allem komplexe, vielschichtig konstruierte Geschichten, die man auch im Genrebereich schreiben kann. Gerade in der Kriminalliteratur gibt es dafür viele herausragende Beispiele. Differenzierte mehrsträngige Geschichten verfügen häufig über ein größeres Figurenarsenal, zielen weniger auf eine Identifikation des Lesers mit der Hauptfigur. Dadurch besteht die Gefahr, dass der Autor seine Leser durch scheinbar zu große Komplexität verliert. Ich versuche hier gegenzusteuern, dem Leser die Romangestalten einprägsam darzustellen. Mit wenigen Worten Figuren mit hohem Wiedererkennungswert zu zeichnen, ihnen anschaulichen Namen zu geben, um dem Leser so ein Wiedererkennen in späteren Szenen zu erleichtern. Bei einem größeren Figurenarsenal hat die Identifikation des Lesers mit der Hauptfigur natürlich nicht die Bedeutung wie in einer einsträngig konstruierten Erzählung, er muss sich auf wechselnde Identifikationsfiguren einlassen. Deshalb versuche ich ihn durch dichtgebaute und überraschende Szenen bei der Stange zu halten.

Kriminetz: Martin Nettelbeck liebt Musik. Welche Rolle spielt Musik im Leben des Autors?

Rainer Wittkamp: Eine sehr wichtige, ein Leben ohne Musik ist für mich nicht vorstellbar. Wobei ich sie unter Stimmungsgesichtspunkten auswähle, gezielt als Stimulans verwende. Ich höre fast den ganzen Tag Musik, schreibe auch Großteils damit und habe stilistisch keinerlei Berührungsängste. Ich höre Klassik aus allen Epochen, Folk, Jazz, sämtliche Rockrichtungen, Easy-Listening, Chansons, World, Industrial, House, zeitgenössische Avantgardemusik usw. Früher habe ich auch selbst Musik gemacht, bis Anfang Zwanzig Posaune gespielt und diese Leidenschaft meinem Kommissar Martin Nettelbeck gegeben. Wie bei ihm hat aber auch bei mir das Talent leider nicht für eine Profikarriere gereicht.

Kriminetz: Vor wenigen Wochen hast du dich als Krimi-Stipendiat auf der Insel Juist aufgehalten. Hast du mit der Insel eine „neue Liebe“ gefunden?

Rainer Wittkamp: Nein, eher eine „alte Liebe“ wiederentdeckt. Ich habe vor sechzehn Jahren schon einmal einen vierwöchigen Urlaub auf Juist verbracht und mir damals erfolgreich das Rauchen abgewöhnt. Dadurch ist ein starkes Band entstanden. Juist ist definitiv meine Lieblings-Nordseeinsel. Meine Lieblings-Ostseeinsel ist Rügen, meine Lieblings-Südseeinsel Bora Bora, nur bei den Westseeinseln habe ich mich noch nicht festgelegt.

Kriminetz: Kannst du als Wahlberliner noch Witze über den Flughafen hören?

Rainer Wittkamp: Aber sicher, sie zielen ja schließlich nicht auf „uns“ Berliner, sondern auf bestimmte Politiker- und Managertypen und auf die verquere Art, in der in Deutschland Großprojekte ähnlicher Dimension immer wieder aufgrund deren „Kompetenz“ grotesk scheitern.

Kriminetz: Du hast soeben an der Criminale in Nürnberg / Fürth teilgenommen, dem Krimifestival des SYNDIKATS. Wie wichtig ist der Austausch mit KollegInnen für dich?

Rainer Wittkamp: Sehr wichtig. Man gibt sich gegenseitig nützliche Informationen, tauscht sich über berufliche Belange aus, erörtert, wie jener Agent ist, was vom Verlag XYZ als Garantiesummen gezahlt wird, etc. Mir kommt es - neben dem gleichfalls wichtigen sozialen Aspekt - bei Treffen dieser Art vor allem auf den berufsständigen Austausch an. Gespräche über schreibtechnische Fragen, Figurenaufstellungen, Perspektiven der Heldenreise, Schreibblockaden und ähnliches sind nicht so meine Baustelle. Aber zugegeben, bei der Criminale überwiegt vielleicht doch um winzige Promillepünktchen der soziale Aspekt, wenn man das nächtliche Barleben in die Waagschale wirft. Denn da ist das Syndikat unangreifbar. Ach was: Da müssen wir deutschen Crimewriter uns vor niemanden verstecken. Weder vor den Kolleginnen und Kollegen der Crime Writers' Association, noch vor den Mystery Writers of America. Das sind wir deutschen Krimiautoren eindeutig Weltklasse! Da sprengen wir sogar den Regionalkrimirahmen easy, locker und mit links - und zwar nächtelang :-)

Vielen Dank, Rainer Wittkamp, für die Beantwortung der Fragen.

Link zur Website

Zum Beitrag des RBB über Rainer Wittkamp (Krimitipp)