Sieben Fragen an Sabina Naber

Das Foto zeigt Sabina Naber. Autorenfoto: Gmeiner-Verlag

Die Schriftstellerin Sabina Naber lebt in Wien. Sie studierte Theaterwissenschaften, Germanistik, Geschichte und Philosophie. Sie arbeitete als Schauspielerin, Regisseurin, Drehbuchautorin und als Journalistin, unter anderem beim ORF. Ihre Krimireihe um die Wiener Ermittlerin Maria Koubas ist im Rotbuch-Verlag erschienen und sie hat zahlreiche Kurzkrimis veröffentlicht. Ab Februar ermitteln „Katz und Mayer“ ganz neu in einer eigenen Reihe des Gmeiner-Verlages. Ihre Kurzgeschichte "Peter in St. Paul" aus "Mörderisch unterwegs", wurde 2007 bei der Criminale in der Pfalz mit dem Friedrich-Glauser-Preis 2007 für die beste Kurzgeschichte ausgezeichnet.

Sabina Naber ist gemeinsam mit Edgar Franzmann und Jan Zweyer Sprecherin des Syndikats, der Autorengruppe deutschsprachige Kriminalliteratur, außerdem ist sie bei den Mörderischen Schwestern. Sie ist Mitbegründerin und war von 2005 bis 2008 Leiterin der österreichischen Plattform Krimiautoren.at, aktuell sind dies die Autorinnen Clementine Skorpil und Veronika Grager.

Für Kriminetz beantwortete Sabina Naber sieben Fragen.

Kriminetz: In deinem neuesten Krimi, der im Februar im Gmeiner-Verlag erscheint, geht es um Marathon. Bist du zur Recherche selbst beim Wiener Marathon mitgelaufen?

Sabina Naber[lacht]: Ich finde es sehr spannend, dass man als Autor meist gefragt wird, ob man bestimmte Dinge im Roman selbst ausprobiert hat, eben jetzt Marathon laufen oder Spielsucht (letzter Roman) oder künstliche Befruchtung bzw. Reproduktionsmedizin (vorletzter). Jedoch wurde mir noch nie die Frage gestellt, ob ich schon jemanden umgebracht habe – das will wahrscheinlich aus Angst vor der möglichen Antwort niemand so genau wissen ... Aber es ist ja so, dass man als Autor nicht alles bis zur Endkonsequenz durchlebt haben muss, um darüber schreiben zu können. Als Ersatz dafür sind wir doch hoffentlich mit genügend Phantasie, Empathie und Kreativität gesegnet. Eine fundierte Recherche und hohes Einfühlungsvermögen sollten gute Ergebnisse bringen – insofern, als dass sich der Leser, der bei diesem Thema daheim ist, wiedererkennt und keine Fehler bemängeln muss.

Zum konkreten Fall: Nun, seit Jahren laufe ich regelmäßig im Park, aber mehr, um eine Grundkondition zu erhalten und um den Kopf frei zu bekommen. Ich bin diesbezüglich nicht so sehr der Wettkampftyp. Dennoch war ich einmal die Vierte in einer Staffel, und das waren dann immerhin 11,195 Kilometer. Ein prägendes Erlebnis, und etliche meiner Empfindungen sind im Roman eingeflossen, in zwei Erzählsträngen aus der Sicht von Läufern. Denn ob du quasi untrainiert mit 11 Kilometer an deine Grenze gehst oder trainiert mit über 42, ist im Grunde egal: Beide Personen empfinden auf den letzten Metern Kieselsteine als Felsbrocken und kaum merkbare Steigungen als Bergmassive.

Darüber hinaus habe ich einige Freunde, die Marathons gelaufen sind und mir viel erzählt haben. Und vor allem war mir mein Mann eine Recherchestütze, er hat insgesamt fünf absolviert.
Jenseits vom Laufen war ich als Zuschauerin oft dabei, um die Atmosphäre aufzusaugen, und ein paar Mal bin ich auch mit dem Fahrrad neben dem Hauptfeld hergefahren, was aufgrund von Fotostopps gar nicht so leicht war, denn auch das Hauptfeld hat eine ungeheure Geschwindigkeit.

Das wirklich Spannende am Marathon war für mich aber bald jener Punkt, den Läufer „Wenn der Mann mit dem Hammer kommt“ nennen, jener Abschnitt zwischen etwa 32 und 35 Kilometer, bei dem die Kohlehydratverbrennung auf Fettverbrennung umstellt und die Läufer unselige Schmerzen bekommen, nahe vor dem Zusammenbruch sind und alles in Frage stellen. Diese wirklich heftige Grenzüberschreitung wurde dann auch der Angelpunkt für meinen Roman, sowohl bezüglich Plot als auch für den mentalen Überbau. Mein Täter ist ein Mann, der aufgrund von Egozentrik keine Grenzen kennt beziehungsweise akzeptiert – fast ein Sinnbild für die derzeitige gesellschaftliche Entwicklung [lacht]. Und so begeht er auch den perfekten Mord – dessen Grundzüge sich in realitas übrigens ein Freund von mir während eines Halbmarathons ausgedacht hat. Ja, man gerät schon in andere Sphären, bei so einem Lauf …

Kriminetz: Mayer und Katz – was brachte dich auf die Idee zu deinem neuen Ermittlerduo?

Sabina Naber: Schwer zu sagen – wie so oft bei AutorInnen, sind Dinge plötzlich da. Ja, man kann sagen, Daniela Mayer saß eines Tages auf meinem Schreibtisch und hat „Hallo“ gesagt. Und Karl Maria Katz ist ihr natürlicher Gegenpol. Nun, wenn man aber diesen poetischen Ansatz einmal beiseiteschiebt, hat es das Auftauchen der Figuren sicher etwas mit meiner aktuellen Lebenswelt zu tun. Ich bin gerade in der glücklichen Lage, sowohl viel mit der Generation um die 30 Jahre als auch mit jener zwischen 50 und 60 zu tun zu haben. Sie repräsentieren zwei völlig verschiedene Welten – Sozialisation, Umgang mit Alltagsgegenständen, Hoffnungen und Träume, Musikgeschmack, Ausbildung, Lesegewohnheit, Medienkonsumation, etc. Und als erste war da Daniela Mayer, eine sehr begabte, aber auch pragmatische Endzwanzigerin, die zwar viel kann, weil ihr sonst im Kopf fad wird, aber immer so tut, als wolle sie ohnehin nur eine ruhige Kugel schieben. Ein bisschen entspricht das ihrem tatsächlichen Charakter, ein bisschen ist das eine Ausrede, weil sie keine besonderen Hoffnungen in die Zukunft setzt. Die Gesellschaft sagt ihr ja auch ständig, dass sie nichts erwarten braucht, weil alles zusammenbricht.

Ihr gegenüber steht Karl Maria Katz, der als Kind beziehungsweise Teenager noch die 68er-Revolution und deren Auswirkungen erlebt hat. Keine Ängste außer vielleicht jene vor dem Altwerden, ein Kämpfer und zugleich zutiefst sozialer, im Denken liberaler Mensch. Er erscheint Daniela wie ein Freak, dabei lebt er nur sein Leben, ohne jemanden anderen damit zu schädigen – übrigens ganz im Gegensatz zum egozentrischen „sein Leben leben“ des Täters.

Beim Schreiben hat mir dieser Generationenkonflikt, wenn es denn überhaupt ein Konflikt ist, ungeheuren Spaß gemacht – wahrscheinlich weil es auch ein notwendiger Gegensatz zum Überbauthema der Kouba-Romane ist, bei denen ich die Sprachlosigkeit in der Liebe und zwischen den Geschlechtern betrachte.

Kriminetz: Du bist – gemeinsam mit zwei Kollegen - Sprecherin des Syndikats. Was umfasst dein Aufgabengebiet?

Sabina Naber: Allgemein gesprochen ist meine Aufgabe ident mit den Zielen des Syndikats: den deutschsprachigen Krimi zu stärken und zu fördern. Konkret kümmern wir Sprecher uns um Fördermittel für Festivals, um die Sicherung des Fortbestands der Criminale, Mitgliederanliegen, Pressearbeit, Projekte wie Merchandising, die die Bekanntheit schüren, aber auch um Grundsätzliches wie das Urheberrecht und die derzeit herrschende Debatte darum oder die Zukunft des Buches, sprich, den Umgang mit der digitalen Welt. Es ist ein Netzwerken, Pläne schmieden und Projekte realisieren mit AutorInnen, Verlagen und Institutionen – genauer geht es leider nicht.

Kriminetz: Hast du wirklich in der Schule Latein gemocht? Gibt es dafür eine Erklärung?

Sabina Naber: Ja, das stimmt. In den ersten beiden Jahren (3./4. Gymnasium, in Deutschland 7. und 8. Schulstufe) war ich sogar ganz gut, aber dann hat die Faulheit der Teenagerin zugeschlagen … und die letzte Klasse war eine knappe Sache. Aber ich mochte meine Lehrerin sehr, wie wir alle, sie hatte eine natürliche Autorität, Stil und unendlich viel Wissen. Bei ihr haben wir nicht nur eben Latein gelernt, sondern auch die Auseinandersetzung mit Sprache an sich und deren Struktur, was mir bis jetzt hilft. Darüber hinaus hat sie uns auch sehr viel Geschichtliches und Mythologisches beigebracht und dadurch viel für das Leben an sich. Es war also nicht nur Latein, das ich, als phantastisch klare Sache, gemocht hatte, sondern es war der Unterricht im Gesamten. Ich hatte übrigens, aufgrund von Klarheit, auch gern Mathematik – bis auf die imaginären Zahlen, die ich zu lernen verweigert hatte.

Kriminetz: Du bist Mitbegründerin und Leiterin der österreichischen Plattform Krimiautoren.at. Gibt es „den“ österreichischen Krimi und falls die Antwort ja lautet, was ist das Besondere an ihm?

Sabina Naber: Den österreichischen Krimi – im Vergleich zum schwedischen, französischen, englischen usw, also allgemein gesprochen – den gibt es schon alleine dadurch, dass es den Staat Österreich gibt, als Bewohner dieses Landes österreichische Literatur schreiben. Das zweite ist die Sprache, denn Österreichisch ist so wie Schweizerdeutsch eine eigene Hochsprache, die durch das Österreichische Wörterbuch festgelegt ist. So viel zu den Tatsachen. Dennoch herrscht manchmal Verwirrung, vor allem in der Wahrnehmung der Rezipienten, sprich Kritiker und Leser – sei es, weil viele Österreicher in deutschen Verlagen veröffentlichen oder sei es, weil deutschsprachige Literatur einfach über einen Kamm geschoren und als deutsche Literatur bezeichnet wird, weil sie eben deutschsprachig ist.

Ich war einmal als Diskutantin zu einer Podiumsdiskussion geladen, die sehr interessant verlaufen ist. Denn bald ging es darum, ob – eben speziell im deutschsprachigen Raum – die Sprache oder das Umfeld die Zugehörigkeit prägt. Nun, ich denke, dass es gerade in der Nachkriegszeit bis in die Neunziger des vorigen Jahrhunderts ganz klar die österreichische Literatur gegeben hat. Deutschland und Österreich – von der Schweiz brauchen wir aus nachgenannten Gründen hier gar nicht erst reden – hatten als Staaten ein vollkommen unterschiedliches Selbstbild und auch andere Erfahrungen. Ich sage nur die Stichworte Täter oder Opfer im Krieg, besetztes Land oder Land zur Hälfte vom Eisernen Vorhang umschlossen, Wirtschaftswunder oder Beschaulichkeit, Aufarbeitung oder Selbstbetrug. Das prägt alles auch das Denken der Menschen. Natürlich gab es auch damals immer einen Austausch zwischen deutschsprachigen Literaten, trotzdem beeinflusst es das Schreiben, wie mein Umfeld tickt, solange ich dort lebe.

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs bzw. nach dem EU-Beitritt Österreich hat sich eine zusätzliche Variante aufgetan. Natürlich sind wir alle, Deutsche, Schweizer und Österreicher, noch immer von unserer Geschichte und dem daraus resultierenden Selbstbild geprägt, doch die Globalisierung mit der Angleichung von Kulturen, viele Erfahrungen durch Reisen und die Verstädterung haben bei manchen Schriftstellern neue Identifikationen hervorgebracht. So mancher Autor, der sich im Großstädtischen oder gar in einer Metropolregion verwurzelt sieht, wird sich viel aufgrund gleich gearteter Probleme mehr mit anderen „Stadtschreibern“ verbunden fühlen als mit Kollegen von Kleinstädten und Dörfern. Und manch einer wird sich sogar als Europäer fühlen und auch als solcher schreiben. Oder Regionen entdecken einander, weil die Staatsgrenze in ihrer Mitte an Bedeutung verloren hat. Die Verankerungsmöglichkeiten sind vielfältiger geworden.

Dennoch merke ich (womit wir zu eigentlichen Fragestellung kommen), dass zumindest die älteren Kollegen und meine Generation – vielleicht reicht das noch bis zu den jetzt Mittedreißigjährigen – anscheinend einen ganz eigenen, „österreichischen“ Umgang mit Sprache und Ausdruck an sich haben. Wir werden von anderen oft als schwarzhumorig, aber auch manchmal beinahe schelmisch empfunden, man sagt uns nach, dass wir die bösartigsten Dinge charmant durch die Blume vermitteln können, dass wir manchmal Sprachspielereien bis hin zur Arabeske lieben usw. Nun, man kann uns alle sicher nicht in einen Topf werfen, aber es wird wohl was daran sein. Woher das kommt – das würde jetzt zu weit führen. Aber innerhalb dieses „Vielleicht-Merkmals“ sind wir sehr unterschiedlich in Stil und Art der Geschichten.
Doch! In diesem Zusammenhang fällt mir noch ein Umstand ein, der eindeutig die Existenz österreichischer Literatur zumindest in sprachlicher Hinsicht beweist: Wir veröffentlichen ja, wie gesagt, viel in deutschen Verlagen, und wenn Lektoren noch nicht österreichgeprüft sind, verzweifeln sie oft an der Erkenntnis, dass die gleiche Sprache nicht immer dieselbe sein muss :))

Kriminetz: Die Stadt Wien fördert KrimischriftstellerInnen beispielsweise mit dem Leo-Perutz-Preis. Überhaupt hat man, wenn man von außerhalb nach Wien schaut, den Eindruck, Literaten seien in Wien willkommen. Ist dieser Blick richtig?

Sabina Naber: In der Wahrnehmung der Öffentlichkeit – ein klares Ja. Wir haben hier nicht nur den Leo-Perutz-Preis, sondern auch die exzellent besuchte jährliche, sehr groß angelegte Kriminacht, einen sehr belesenen Bürgermeister (Dtl.: Oberbürgermeister), der sich sogar öffentlich als Krimifan outet, und gut besuchte Lesungen. Generell wird derzeit der Literatur viel Augenmerk geschenkt, so begeistert alljährlich die Aktion „EineStadtEinBuch“, bei dem von Klassikern in einer Neuauflage 100.000 Exemplare verschenkt, immer rund um die Buchmesse in Wien. Und es gibt den „Buchliebling“, bei dem Leser ihr Lieblingsbuch in mehreren Kategorien wählen, dessen Verfasser dann bei einer großen Gala im Rathaus geehrt wird. Dazu kommen noch ein äußerst umtriebiges Literaturhaus und viele andere Veranstaltungen, die ich hier nicht aufzählen kann, sowie Stipendien. Nicht zu vergessen die sehr engagierten Buchhandlungen, derer wir hier viele haben und unter denen sich auch zwei reine Krimibuchhandlungen befinden. Ich hoffe sehr, dass sie sich weiterhin halten, gegen Internetkauf und große Ketten behaupten können – das wäre ihnen und uns und nicht zuletzt den Lesern zu wünschen.

Kriminetz: An welchem Projekt arbeitest du im Moment?

Sabina Naber: Es sind mehrere. An zwei Krimikurzgeschichten und an den Vorbereitungen für meinen nächsten Kriminalroman bei Gmeiner nächstes Jahr. Außerdem recherchiere ich für ein Sachbuch. Und wenn neben meinen Unterrichtsstunden in Schreiben und Sprechen noch Zeit bleibt, schreibe ich an einem Roman, der allerdings kein Krimi, sondern eine Art Epos ist – ein kleiner Genresidestep sozusagen.

Vielen Dank, Sabina Naber, für die Beantwortung der Fragen.

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