Stephen King im Circus Krone

Die Schlange vor dem - ausverkauften - Circus Krone war auf beiden Seiten schon eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn sehr lang, wurde aber zügig durchgelotst. Früh gekommen zu sein, lohnte sich für mich: es war nämlich freie Platzwahl (bis auf den reservierten Bereich), und ich ergatterte einen Sitz hinter dem Tonmischpult, mit einem guten Blick auf das Lesepult/die Arena.

(Ein Wort zum Zirkus Krone in München: das letzte Mal war ich während meiner Kindheit hier, tatsächlich anläßlich einer Zirkusvorstellung. Deswegen hatte ich die Größenverhältnisse völlig anders in Erinnerung! :) )

Der Leseabend begann pünktlich, was mir immer sympathisch ist. Denis Scheck moderierte - was hieß, er stellte Fragen, übersetzte die wichtigsten Antworten auf Deutsch, wobei dem Gelächter und Applaus nach die Mehrheit der Anwesenden genügend Englisch verstand, um Stephen King zu folgen. Die Struktur des Abends war: Gespräch, von King vorgelesener Ausschnitt aus seinem neuen Roman "Doctor Sleep", Gespräch, von David Nathan (der auch die deutsche Hörbuchfassung liest) vorgetragener (anderer) Ausschnitt aus "Doctor Sleep", Gespräch, drei eingereichte Fragen aus den sozialen Netzwerken, drei Direktfragen aus dem Publikum (die Frau und der Mann am Tonmischpult hatten vorher Handmikrophone an fleißige Läuferinnen verteilt). Dabei kam die Gesprächssituation locker und entspannt rüber. Denis Scheck war ein hervorragender Moderator, nicht nur, weil offensichtlich Kings Bücher gründlich gelesen hatte (wenn jemand aus der Einleitung aus einem Kurzgeschichtenband zitieren kann, ist er ein Fan), sondern, weil er auf allzu banale Fragen a la "wo haben Sie Ihre Ideen her?" verzichtete und selbst Sinn für Humor an den Tag legte. So sagte er bei der Einführung dem versammelten Publikum: "Im Grunde sind wir hier in der gleichen Situation wie in "Misery". Unser Lieblingsautor ist uns in die Hände gefallen, und wir können mit ihm machen, was wir wollen." Zwischendurch sagte Stephen King einmal, da Denis S. nicht nur moderierte, sondern gleichzeitig auch übersetzte, was er, King, nie fertigbrächte, verdiene er seinen eigenen Applaus. Nun habe ich schon mehrfach Lesungen von internationalen Spitzenautoren erlebt, die ähnlich strukturiert waren wie diese - A.S. Byatt bespielsweise, oder Isabel Allende - aber King war der erste, der daran dachte, den Moderator/Übersetzer so zu würdigen, und ich denke, das sagt einiges über ihn als Person.

Stephen King: hat immer noch volles, aber inzwischen eisgraues Haar, lebhafte Mimik und Körpersprache beim Erzählen und Beantworten von Fragen (meine Fotos geben ein wenig davon wieder), ist sehr schlagfertig, neigt im Gegensatz zu vielen von uns Autoren nicht zu "ums" und "ähms" beim öffentlichen Reden, und wiewohl er sagte, er würde nicht oft Signierungen und Lesungen machen, hat offensichtlich Übung im Antworten auf persönliche Fragen auf eine Weise, die ehrlich ist, aber nichts allzu Persönliches preisgibt. Ich meine das positiv, nicht negativ: Menschen, die a la Realityshows jederzeit Intimdetails offenbaren, sind mir ein Graus. Um an einem Beispiel zu illustrieren, was ich meine: da Alkoholismus sowohl in "The Shining" als auch "Doctor Sleep" eine zentrale Rolle spielt (er taucht auch in anderen King-Romanen auf, aber weniger zentral), und Stephen King selbst Alkoholiker war ("ist", sagte er, da man nie aufhört, es zu sein, auch nicht, wenn man Jahrzehnte trocken ist - das ist ein Teil des AA-Programms, sich dessen bewußt zu sein, daß die Krankheit einen nie verläßt), fragte ihn der Moderator natürlich danach. Einer der beiden vorgelesenen Ausschnitte war die Stelle in "Doctor Sleep", in der Dan Torrance, der erwachsen gewordene Danny, seinen moralischen Tiefpunkt erreicht, was ihn danach veranlaßt, Hilfe zu suchen. (Es ist eine packende und erschütternde Szene, die mich übrigens auch ein wenig an eine Folge in der zweiten Staffel von "Breaking Bad" erinnerte, eine Serie, die King nach eigenem Bekunden begeistert mitverfolgt hat.) Denis Scheck fragte also, ob King ein ähnliches Erlebnis wie Danny hatte, und wenn ja, welches.

Darauf S.K. : Look, every addict reaches a point where you know you can't live like this any longer. And you either reach out for help, or you die. And that's what happened to me.

Was die Frage beantwortete, aber gleichzeitig vermied, mit 3000 Leuten ein Intimdetail aus seinem Leben zu teilen. Übrigens sagte er an einer anderen Stelle hinsichtlich autobiographischen Elementen in Werken, man solle diese niemals überbewerten: "You can't trust writers to write anything but fiction. You know one is lying when his mouth moves."

(Da meiner Erfahrung nach der Akt des Erzählens unvermeidlicherweise fiktionalisiert, auch wenn man nur berichtet - man betont hier einen Satz, läßt dort eine Geste weg, etc. - , hat er da meiner Meinung nach recht.)

King hat eine trockene, etwas heisere Stimme, die mich ein wenig an den von ihm geschätzten Bob Dylan erinnerte, nur mit einem ganz anderen Sprachrhythmus: die Pointen, z.B. als ihn Denis Scheck nach seinen zwei Gespräche mit Stanley Kubrick fragte, kamen mit einem exzellenten Timing. Die Kubrick-Anekdoten sind einigen sicher schon vertraut, aber da die erste einen der Gründe illustriert, warum Kubricks Verfilmung und Kings Buch so antipathisch zueinander sind: King war gerade dabei, sich zu rasieren (um 7.00 morgens, und mit einem Kater), als ein Anruf aus England kam, mit Meister Kubrick persönlich am Apparat, der wissen wollte: "Don't you think the belief in ghosts is basically optimistic?"
King: ...Why?
Kubrick: Because it implies a life after death. That's great.
King: But Stanley, what about hell?
Kubrick: I don't believe in hell. If ghosts exist, they've got to be happy to be still around. They live forever!
King: Well, be that as it may, some of those ghosts may not want to be around forever. I don't think their issues would just go away after death. And I can't imagine them being happy just because they still exist.

Die andere Stelle aus "Doctor Sleep", die King selbst vorlas, schilderte übrigens Dan dabei, wie er (der inzwischen, trocken, in einem Hospiz arbeitet) einem Sterbenden hilft, in seinen Tod hinüber zu gleiten, eine sehr humane und, ohne sentimental zu sein, tröstende Szene, denn ich denke, die Furcht, im Augenblick unseres Todes allein zu sein, ist etwas, das uns alle plagt, völlig unabhängig vom jeweiligen Glauben.

Um Kings Selbstironie zu illustrierten, hier ein Beispiel, als die Fragen über Facebook kamen - eine lautete: "You've often written about traumatized children who can't trust adults. Did something like this happen to you?"

SK: "You know, this question sooner or later keeps coming up at interviews, and it's usually a polite version for 'What the hell fucked you up so badly you come up with this stuff?' Well, I may have been traumatized as a child, but if so, I can't remember and must be repressing it so it goes straight into my subconscious. Which is good. Because while other people pay their psychiatrists a hundred - what is it here, Euros? - per hour, I deal with it by writing, which means a lot of other people pay me."
Er wurde auch nach Serien wie "Revolution" gefragt, die keine Verfilmungen seiner Werke sind, aber einige Elemente benutzen, oder Figuren nach seinen Charakteren benennen (in "Revolution" gibt es eine Figur namens "Flagg"): "I see it as a homage and am both amused and flattered. You see, I belong to the first generation of writers who got their first fictional impressions via film, not books. The first story I ever experienced was my mother taking me to watch "Bambi". And I gotta tell you - never mind Wes Craven and Freddy Krueger, the true horror was unleashed by Walt Disney!"

(Fußnote: King ist nicht der einzige, der den Tod von Bambis Mutter als größten Kindheitsschrecken schildert. *g*)

Nachdem Denis Scheck diese Antwort übersetzt hatte, sagte King, ihm gefalle die deutsche Art, "Bambi" auszusprechen. (Die Amerikaner sagen "Bähmbi".) "It was originally a German book, wasn't it?"
"Austrian", erwiderte Denis Scheck. "But we like to incorporate them from time to time."

Mit dem etwas schuldbewußten Gelächter, was diese Bemerkung auslöste, fand die Veranstaltung ihren Abschluß, und ich beeilte mich, vor den übrigen tausend aus dem Circus Krone herauszukommen. (Angesichts der Zuschauerzahl gab es keine Signierstunde, was auch vorher angekündigt worden war.) Das waren nur ein paar kurze Einblicke in einen rundum gelungenen Abend. Ich hoffe nur, das Wetter bleibt heute trocken - als Amerikaner in Europa hat Stephen King nämlich vor, Burgen zu besichtigen, ehe es für ihn weiter nach Hamburg geht!

Tanja Kinkel auf facebook und auf twitter