Sein blutiges Projekt
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August 1869: Ein verschlafenes Bauerndorf an der Westküste Schottlands wird von einem brutalen Dreifachmord erschüttert. Der Täter ist rasch gefunden. Doch was trieb den 17-jährigen Roderick Macrae, Sohn eines armen Pächters, dazu, drei Menschen auf bestialische Weise zu erschlagen? Während Roddy im Gefängnis auf seinen Prozess wartet, stellen die scharfsinnigsten Ärzte und Ermittler des Landes Nachforschungen an, um seine Beweggründe aufzudecken. Ist der eigenbrötlerische Bauernjunge geisteskrank? Roddys Schicksal hängt nun einzig und allein von den Überzeugungskünsten seines Rechtsbeistandes ab, der in einem spektakulären Prozess alles daransetzt, Roderick vor dem Galgen zu bewahren. Sein brillanter Spannungsroman offenbart Graeme Macrae Burnet als außergewöhnliche neue Stimme im Genre des psychologischen Thrillers. Mühelos versetzt er den Leser mitten ins Schottland des 19. Jahrhunderts und zu den Anfängen der Kriminalpsychologie. Kunstvoll verquickt er dabei Rodericks eigene Aufzeichnungen mit Gerichtsunterlagen, medizinischen Gutachten und der Prozessberichterstattung. Während er die Annahmen der Leser über die eigentlichen Tathintergründe immer wieder raffiniert ins Leere laufen lässt, enthüllt sich die dunkle Wahrheit erst in einem fulminanten Gerichtsdrama.
Ungewöhnlicher Histo-Krimi
Um es gleich vorweg zu erwähnen: Das Buch wird als "Thriller" angepriesen, ich würde es schon fast eher in das Genre "historischer Krimi" einordnen, denn von einem Thriller ist die Story sehr weit entfernt.
Das Cover ist so gestaltet, wie man sich das Häuschen der Familie Macrea vorstellt, etwas abseits gelegen mit einer kargen, trostlosen Landschaft um sich herum.
Man weiß zwar von Anfang an, was passieren wird, aber der Ausgang ist ungewiss und trotzdem hat die (wahre?) Geschichte dadurch nicht an Reiz verloren. Ungewöhnlich und gut hat mir bei diesem Buch der Aufbau der einzelnen Abschnitte gefallen. Es werden Zeugenaussagen aufgezeigt, dann bekommt der Leser einen Einblick in das medizinische Gutachten und zum Schluss ist man beim Prozess im Gerichtssaal dabei. Zwischendrin eingestreut sind die Kapitel, die von Roderick im Gefängnis geschrieben wurden und darin kann man sehr gut verfolgen, was alles passiert ist, bis Roderick zu dieser Tat fähig war.
Schon während des Lesens hatte ich Mitleid mit Roderick und seiner Familie. Der Tod der Mutter, das karge Leben und die schwere körperliche Arbeit auf den Feldern, all das hat dazu beigetragen, das man ein Teil der Familie wurde und einfach mit gelitten hat unter dem fiesen und hinterhältigen Vorgehen des Constable. Sehr berührt hat mich das einsame, kalte und lieblose Leben von Jetta, der Schwester von Roderick, die nach dem Tod der Mutter, deren Rolle übernehmen musste und kein eigenständiges Leben leben konnte und durfte.
Die historischen Anfänge der Kriminalpsychologie
Im August 1869 tötet der siebzehnjährige Roderick Macrae den Landesvorsteher Lachlan MacKenzie sowie dessen 15-jährige Tochter und 3-jährigen Sohn. Die erschütternde und unfassbare Tat stürzt die gesamte Umgebung in Entsetzen. Niemand hat eine Erklärung für diese grausame Tat, da Roderick Macrae eigentlich ein zurückgezogener und friedfertiger Mensch ist. Der Täter stellt sich ohne Gegenwehr und gesteht die Taten. Der ihm zugestandene Rechtsbeistand Mr. Sinclair überzeugt ihn davon, alle Geschehnisse der letzten Zeit niederzuschreiben, um eine eventuelle Unzurechnungsfähigkeit plausibel zu machen und somit den jungen Mann vor dem sicheren Tod durch den Strang zu bewahren. Wird die zur damaligen Zeit noch in den Kinderschuhen steckende Kriminalpsychologie die Geschworenen überzeugen können?
Graeme Macrae Burnet schafft mit "Sein blutiges Projekt" eine absolut fesselnde und faszinierende Reise in die Vergangenheit. Die außergewöhnliche Konstellation hebt das Buch von vielen anderen historischen Thrillern oder Kriminalromanen ab. Die Frage des Täters ist schnell geklärt, die Hintergründe der Tat geben dem Buch seine Spannung. Warum greift ein zurückhaltender und pflichtbewusster Junge plötzlich zu Arbeitsgeräten und tötet damit auf grausamste Art und Weise drei Menschen?
Die Aufarbeitung des Falls erfolgt aus unterschiedlichen Sichtweisen. Zunächst gibt es Zeugenaussagen, die den Tathergang sehr gut wiedergeben können. Daraufhin erfolgt die Sicht des Täters. Er erläutert ausführlich die letzte Zeit vor der Tat, die letztendlich dazu geführt hat, die drei Menschen zu töten. Der Schreibstil ist dabei sehr gut der damaligen Zeit angepasst und verbreitet damit einen hohen Grad an Authentizität. Nun in der Geschichte des Hauptprotagonisten gefangen wird der scheinbar hoffnungslose Prozess geschildert. Spätestens hier wird "Sein blutiges Projekt" zum absoluten Pageturner.
Insgesamt hat mich das Buch von Graeme Macrae Burnet begeistern können und sein flüssig zu lesender Schreibstil machte das Lesevergnügen perfekt. Ich bewerte das Buch mit fünf von fünf Sternen und möchte es gerne weiterempfehlen. Absolut lesenswert!!!
Eine gelungene Mischung aus Tatsachen und Fiktion
Vorsicht, dieses Buch sollte man nicht mit falschen Erwartungen lesen, um es genießen und schätzen zu können. Wer sich einen klassischen fiktiven Thriller oder Ermittlungsarbeit erwartet, wird hier enttäuscht. Der Autor fügt reale Ereignisse, die vor rund 150 Jahren in Schottland stattgefunden haben, zu einem ausführlichen Protokoll zusammen, das er mit fiktiven Personen und einigen eigenen literarischen Ideen anreichert. So ergibt sich eine ganz besondere Geschichte rund um einen Teenager, dessen Familie in ärmlichen Verhältnissen lebt und die als arme Bauern mehreren Herrschaften unterstellt sind.
Im Heimatdorf dieses Teenagers, Roderick Macrae, geschehen drei bestialische Morde. Der Autor, Graeme Macrae Burnet (ob irgendwie verwandt oder einfach nur zufällige Namensgleichheit wird nicht angesprochen), lässt den Leser mit auf Spurensuche gehen, wie es denn zu den Taten kam, die Roderick angelastet werden. Im Gefängnis schreibt dieser ein Manuskript, gewissermaßen eine Autobiografie und zusammen mit den Augenzeugenberichten von damals und den Prozessakten leben die Beteiligten und die Ereignisse von damals wieder auf.
Auch wenn, besonders im Prozess-Abschnitt, sehr viel immer wiederholt wird und die Geschichte dadurch schon etwas langatmig wirkt, ist die Idee und die Umsetzung doch sehr besonders und eine ganz eigene Herangehensweise. Realität und Fiktion ergänzen sich so gut, dass man sie nicht unterscheiden kann (der Autor erklärt aber, was von ihm stammt) und so wie sich die Geschichte liest, kann sie sich wohl tatsächlich ereignet haben.
Als „Thriller“ würde ich das Buch nicht bezeichnen, dazu ist die Spannung doch eine ganz andere, denn sie ergibt sich nicht aus einer Tätersuche oder grausigen Andeutungen. Spannend ist vielmehr zu sehen, wie damals, 1869, die Menschen im schottischen Hochland gelebt haben. Zudem erfährt man, wie Disziplinen, die uns heute bei der Verbrechensaufklärung selbstverständlich erscheinen, damals erst in ihren Anfängen steckten und auch noch teilweise sehr abstruse Theorie vertreten wurden, als es darum geht, ob ein Täter denn nun zurechnungsfähig ist oder nicht.
Zusätzlich birgt dieser Roman die Möglichkeit, die eigenen Grundsätze und Moralvorstellungen zu prüfen. Wie hätte ich in dem Prozess entschieden? Was hätte ich an Rodericks Stelle getan? Was ist nötig, um Machtmissbrauch beweisen zu können? Somit bleibt das Buch auch nach dem Ende im Gedächtnis und macht durchaus nachdenklich.