Im Gespräch mit Barbara Imgrund

Das Foto zeigt die Schriftstellerin, Übersetzerin und Lektorin Barbara Imgrund. Foto: © Sabine Arndt.

Barbara Imgrund, gebürtige Landshuterin und in Kaufbeuren/Allgäu aufgewachsen, studierte Germanistik in München. Anschließend arbeitete sie einige Jahre als Lektorin in verschiedenen renommierten Münchener Verlagen. Seit 1998 ist sie selbstständig als Lektorin, Literaturübersetzerin und Schriftstellerin und lebt seit 2000 in Heidelberg.

Inspiriert von ihren ehrenamtlichen Einsätzen im Hospizdienst und im Tierschutz, beschäftigen sich ihre Texte immer wieder mit der Frage, wie wir als Mensch in den Stürmen des Lebens bestehen und was uns am Ende des Tages wirklich wichtig ist. Barbara Imgrund ist Mitglied der GEDOK Heidelberg und des Netzwerks Lyrik. Ihr erster Krimi Räuberleiter. Eine Stadt sucht ein Kind ist Ende September 2023 im Ulrike Helmer Verlag erschienen.

Für kriminetz.de hat ihr die bekannte Krimiautorin Marlene Bach (Neuerscheinung: Heidelberger Hexentanz, Emons) einige Fragen gestellt.

Marlene Bach: Barbara, dein Kriminalroman „Räuberleiter. Eine Stadt sucht ein Kind“ ist ja nach einem erzählenden Sachbuch über deine Tierschutzarbeit in Namibia, drei Romanen und einem Lyrikband dein erstes Buch in diesem Genre – wie kam es dazu? Gab es einen Anlass, irgendein Thema, das dir besonders am Herzen gelegen hat, oder warum bist du in dieses Genre gewechselt?

Barbara Imgrund: Du hast völlig recht, tatsächlich hatte ich Krimis nie auf dem Zettel. Für mich war Krimi immer reine Unterhaltung, ich aber möchte gern etwas schreiben, das die Leser*innen nicht nur konsumieren und anschließend weglegen, sondern das sie auch beschäftigt und nachhallt. Das ist mein Anspruch, da ich ja viel Zeit und Kraft auf die Abfassung dieses Buchs verwende. Bei Räuberleiter kam die Initialzündung allerdings von einem Münchner Tatort, in dem eine Teenagermutter ihren kleinen Sohn allein in einem unbewohnten Haus zurücklässt; kurz nachdem ich den Film gesehen hatte, las ich in der Zeitung von einer realen Mutter, die „in echt“ ihre kleinen Kinder verlassen und damit ihren Tod billigend in Kauf genommen hatte. Dieses Szenario hat mich frappiert, von da an fing es an zu arbeiten in mir. Schließlich wird Mutterschaft in unserem Kulturkreis geradezu mythisch überhöht, und diese Geschichten kratzten diesen Mythos an – zu Recht, denn Mütter sind ja schließlich auch nur Menschen. Je mehr ich mich allerdings mit diesem Stoff beschäftigte, desto klarer wurde mir, dass ich mich nicht so sehr auf die Mutter konzentrieren wollte – sondern auf das verlassene Kind, das die völlige Entwurzelung erfährt und in eine tiefe existenzielle Not gerät, wie auch auf die Menschen, die sich von dieser Not berühren lassen und sich aufmachen, den kleinen Jungen zu retten ... Damit es nicht zu smooth und langweilig wird, habe ich ein paar Antagonisten, sprich Kriminelle, dazuerfunden, und fertig war – ein Krimi.

Marlene Bach: Gutes Stichwort: Kriminelle – einer davon ist ja ein ganz besonderes Kaliber. Wir wollen natürlich nicht zu viel verraten, aber du hast ihm doch einigen Raum für seine, sagen wir, Persönlichkeitsentwicklung gegeben.

Barbara Imgrund: Ja, und das war keineswegs so geplant. Aber während des Schreibprozesses hat Dante ganz plötzlich ein Eigenleben entwickelt. Ich kenne das schon, das ist meistens ein gutes Zeichen – denn dann wird die Figur lebendig, was mir wiederum sagt, dass die Marschrichtung stimmt, dass ein Flow einsetzt, der die Handlung trägt. Ich entwerfe immer nur ein grobes Storyboard, um Raum für Überraschungen zu lassen, und ich werde selten enttäuscht. Ohne zu weit vorzugreifen: Dante Santo ist nicht – wie es seine Eltern bei dieser Namenswahl wohl gern gehabt hätten – Dichter oder Heiliger geworden, sondern ein allzu ehrgeiziger Kleinkrimineller. Das droht ihm jetzt das Genick zu brechen; er hat gerade seinen ersten Kurierjob für einen stadtbekannten Mafioso übernommen, doch er ist nicht gerade die hellste Kerze auf der Torte und vergeigt es. Was all das mit Robbie zu tun hat – nun, das müsste man dann bitte selbst nachlesen. Ich jedenfalls kann dem Loser Dante einiges abgewinnen und hoffe, meine Leser*innen werden das auch tun.

Marlene Bach: Werfen wir einen Blick auf die Erzählweise, für die du dich entschieden hast. In Räuberleiter wird jedes Kapitel aus Sicht einer anderen Person erzählt, der Leser muss sich die Zusammenhänge zunächst selbst zusammenreimen. Außerdem lässt du das Buch an einem einzigen, heißen Sommertag spielen ...

Barbara Imgrund: Ja, es verdichtet die Atmosphäre, wenn ein Text kammerspielartig angelegt ist; das erzeugt schon per se Spannung. Die verschiedenen Perspektiven habe ich gewählt, um mein Publikum zu fordern; ich wollte ihm nichts vorkauen, es soll sich zumindest anfangs viel selbst zusammenreimen müssen. Außerdem wollte ich so wenige Gewissheiten und Verschnaufpausen wie möglich in diesem Buch haben: Die Leser*innen sollen sich ähnlich gehetzt durch das Buch bewegen wie mein Figurenensemble durch diesen heißen Sommertag, sie sollen sich auf nichts verlassen können – nicht einmal darauf, dass die Polizei es schon richten wird.

Marlene Bach: Die Polizei – repräsentiert von der naturgewaltigen Kriminalhauptkommissarin Floralie Buchta – ist sogar ziemlich überfordert und bittet die Bevölkerung um Mithilfe. Und die macht mit, was sich ja schon im Untertitel andeutet: „Eine Stadt sucht ein Kind“. Tatsächlich wird die Stadt, in der du deinen Krimi angesiedelt hast, im Laufe des Buchs so etwas wie eine weitere Hauptfigur. Warum – und wie hast du das erzähltechnisch gelöst?

Barbara Imgrund: Ich hatte das Gefühl, dass wir alle nach der Pandemie mehr Vertrauen zueinander brauchen denn je – also nicht nur zu einer Einzelperson als Identifikationsfigur, sondern zu uns als Gemeinschaft. Wir beobachten so viele negative Gruppendynamiken in unserer Gesellschaft, ihnen wollte ich ein positives Gegenbeispiel entgegensetzen. Daher habe ich mir eine Gruppe Menschen herausgepickt, die zufällig in einem Supermarkt die Pressekonferenz der Polizei am Bildschirm verfolgen. An dieser Gruppe erzähle ich stellvertretend, wie sich die Bewohner dieser Stadt packen lassen, ihre Pläne fürs Wochenende über den Haufen werfen und sich auf die Suche nach Robbie machen …

Wenn ich hier von einer Stadt erzähle, die plötzlich zusammenhält, dann soll das übrigens nicht die märchenhafte Fantasie einer Utopistin sein. Ich bin ehrenamtlich im Hospizdienst unterwegs und treffe dort haufenweise Menschen, die helfen, weil es nötig und ihnen ein Bedürfnis ist und nicht des Geldes wegen. Der Mensch ist eben als Zoon politikon, als Gemeinschaftstier designt, und er hat viele Jahrtausende lang sehr gut so funktioniert. Ich glaube daran, dass wir selbst im Zeitalter der Vereinzelung und Vereinsamung dieses unser soziales Gen wiederfinden können, wenn wir es denn wollen. Die Leute in meinem Krimi wollen es jedenfalls.

Marlene Bach: Zum Schluss noch die Frage aller Fragen – es gibt unzählige Krimis, warum sollten man ausgerechnet deinen Krimi lesen? Was ist das Besondere daran?

Barbara: „Räuberleiter“ spielt an einem einzigen, mörderisch heißen Tag, Zeitmarker sind immer wieder eingestreut und stützen die Echtzeitillusion. Unter anderem das macht das Buch zum Pageturner, jedenfalls sagt das mein Verlag. Die Figuren sind mit all ihren Schrullen und Besonderheiten plastisch erzählt, und es darf sogar gelacht werden. Splatterfreunde haben zwar das Nachsehen, Fans der psychologischen Spannung werden sich aber umso mehr freuen. Und diverse Exkurse zur klassischen Musik gibt es gratis dazu. Ohne Tote kommen wir trotzdem nicht aus, und so empfehle ich als Soundtrack für die letzten Kapitel das Deutsche Requiem von Brahms.

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Das Cover von "Räuberleiter". © Ulrike Helmer Verlag