Im Gespräch mit Petra Schier

Petra Schier, Foto © privat

Doris Schweitzer: Sie schreiben sowohl historische Romane als Petra Schier als auch Krimis unter dem Pseudonym Mila Roth. Was macht Ihnen am meisten Spaß beim Schreiben?

Petra Schier: Ich schreibe alle Genres, in denen ich mich bewege, gleich gern, denn sonst hätte ich sie nicht für mich gewählt.
Am allerschönsten ist es, wenn ich spüre, dass sich meine Figuren verselbstständigen und die Führung übernehmen. Dann weiß ich, dass sie für den Leser und die Leserin am Ende wirklich lebendig sein werden. Zwar plane ich immer ein gewisses Grundgerüst für einen Roman (das muss ich ja schon, weil es ins Exposé für den Verlag gehört), aber ich lasse mir immer sehr viel Freiraum, weil ich eben genau auf den Moment warte, in dem die Figuren einfach besser wissen, wie es weitergehen soll. Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich um einen historischen Roman, einen Krimi oder auch einen Liebesroman handelt. Die Freude über lebensechte und lebensnahe Figuren, die die Regie übernehmen, ist immer gleich.

Doris Schweitzer: Nach den "Adelina" Romanen betritt nun eine neue Protagonistin, Aleydis de Bruinker, die Bühne. Um was geht es in ihrem neuen historischen Roman?

Petra Schier: Es geht um eine junge Frau, eben jene Aleydis, die im Jahr 1423 in Köln einen sehr viel älteren Mann heiratet, jedoch aus Liebe, nicht aus reiner Pflichterfüllung. Nicolai Golatti ist ein reicher Lombarde, also von Beruf Geldwechsler und –verleiher und trägt seine junge Frau auf Händen … bis er eines Tages erhängt vor den Stadttoren aufgefunden wird. Der erste Verdacht ist so grässlich wie unvorstellbar, dass er sich nämlich das Leben genommen haben soll. Aleydis besteht auf einer Untersuchung des Falls und kann selbst sehr schnell beweisen, dass ihr Gemahl ermordet wurde. Ausgerechnet der Gewaltrichter Vinzenz van Cleve, Sohn des größten Konkurrenten Nicolais, ist für ihre Klage zuständig, sodass die beiden fortan zusammenarbeiten müssen, um den Mord aufzuklären. Dabei fliegen nicht nur schnell die Fetzen zwischen ihnen, sondern auch ordentlich Funken. Letzteres wollen aber beide weder sehen noch wahrhaben. Außerdem erfährt man nach und nach, dass Nicolai nicht der Mann gewesen ist, für den Aleydis ihn gehalten hat, und dass es unzählige Menschen mit einem Mordmotiv gibt. Unter ihnen auch Vinzenz und seine Familie …

Doris Schweitzer: Das 15. Jahrhundert war ja ein Jahrhundert der Innovationen, der Buchdruck wurde erfunden und auch das Bankwesen kam in Schwung. Was hat Sie an diesem Thema interessiert?

Petra Schier: Einfach alles. Das späte Mittelalter hat mich schon seit meiner Schulzeit fasziniert, eben weil damals vieles im Umbruch war und viele Menschen große Ideen hatten und Erfindungen gemacht haben. Im Schulunterricht wird diese Epoche leider meist sehr stiefmütterlich behandelt und als das „finstere Mittelalter“ mit statistisch gesehen kurzem Menschenleben, vielen Kriegen und furchtbaren Seuchen abgetan. Dass dem ganz und gar nicht bzw. nicht ausschließlich so gewesen ist, will ich mit meinen Romanen gerne beweisen. Auch die Rolle der Frau, die damals, wenn sie aus einer einigermaßen betuchten Schicht kam oder die richtige Protektion erfuhr, deutlich mehr Möglichkeiten und sogar Rechte hatte als ihre Geschlechtsgenossinnen zum 18. und 19. Jahrhundert, thematisiere ich in meinen Büchern immer wieder gerne, weil dies ein Thema ist, über das die Allgemeinheit ebenfalls kaum etwas weiß. Für die meisten Menschen ist das (späte) Mittelalter eine schlimme, düstere Zeit, in der die Frauen durchweg rechtlos in einem Jammertal lebten und die Männer alle gemeine Rohlinge waren. Ich will nicht bestreiten, dass Frauen es unglaublich schwer hatten und ihre Rechte sich mit denen heutiger Frauen nicht vergleichen ließen, aber dennoch konnten sie sich in vielerlei Hinsicht hervortun, gerade auch in beruflicher Hinsicht. Es gab viele Frauen, gerade in den Städten, die eigene Gewerbe oder Werkstätten betrieben, fahrende Händlerinnen, Frauen, die neben dem Haushalt und der Kinderbetreuung auch in den Werkstätten und Kontoren ihrer Ehemänner arbeiteten und diese sogar leiteten, wenn die Hausherren auf Reisen waren. Im Adel war es übrigens ähnlich. War der Mann aus dem Haus, musste in der Regel die Frau sich um alles kümmern, auch um die geschäftlichen oder herrschaftlichen Angelegenheiten. Zumindest so lange, bis der älteste Sohn erwachsen war.
Speziell bei „Das Gold des Lombarden“ habe ich mich intensiv mit dem Banken- und frühen Sicherheitenwesen befasst. Heute würde man Versicherungswesen sagen. Das ist ein weites und hochspannendes Thema, dessen Ursprünge weit ins frühe Mittelalter und sogar in die Antike zurückreichen. Wechsel zum Beispiel waren als Zahlungsmittel schon sehr lange bekannt.
Bei meinen Recherchen bin ich dann auch zufällig auf alte Schlösser (die zum Verschließen, nicht die, in denen man wohnte) und Schließmechanismen gestoßen. Dabei habe ich einige Entdeckungen gemacht, die den Weg unbedingt in den Roman finden mussten.
Sie merken, ich gerate ins Erzählen. Es kommt nicht von Ungefähr, dass ich so viele meiner Romane in jener Epoche ansiedele, und es werden bestimmt noch viele weitere folgen.

Doris Schweitzer: Gab es im Mittelalter denn auch schon Mordermittlungen?

Petra Schier: Nicht so wie heute, nein. Die fehlenden technischen Möglichkeiten haben solche „Ermittlungen“ häufig auf das Sammeln von Zeugenaussagen und sächlichen Beweisen reduziert. Gab es beides nicht, war der Fall schnell abgeschlossen – ungelöst. Hinzu kam, dass der Spruch „wo kein Kläger, da kein Richter“, aus dem Mittelalter stammt. Damals war es nämlich so, dass die Obrigkeit in der Regel gar nicht ermittelte, wenn nicht jemand Anklage erhob. Meistens waren die Kläger natürlich Familienangehörige oder enge Freunde des Opfers. In Fällen, bei denen es zum Beispiel um den Mord an einem hochrangigen Mitglied des Stadtrates oder der Gerichtsbarkeit ging, hat sicherlich auch der Rat selbst ein Interesse an der Aufklärung gehabt. Doch diese Klägerregel konnte auch dazu führen, dass ein Verbrechen, wenn es in der Fremde geschah, nicht geahndet wurde, wenn sich niemand fand, der Anklage erhob (weil die Familie daheim ja erst einmal gar nichts davon mitbekam).
Zudem war es auch so, dass der Kläger möglichst selbst für das Herbeischaffen von Zeugen und Beweisen zu sorgen hatte. Dass Schöffen, Gewaltrichter oder andere Mitglieder der Gerichtsbarkeit sich maßgeblich an der Aufklärung beteiligten, war nicht unbedingt die Regel und geschah sicherlich meist aufgrund des Drucks, den die Familie des Ermordeten auszuüben in der Lage war.

Doris Schweitzer: Bevor Sie mit dem Schreiben beginnen, haben Sie da schon den Schlusssatz im Kopf oder entwickelt sich Ihre Geschichte während des Schreibprozesses?

Petra Schier: Den Schlusssatz? Nein, auf gar keinen Fall. Damit überrasche ich mich regelmäßig selbst.
Wie oben schon erwähnt, plotte ich das Grundgerüst der Geschichte, aus dem ich dann für den Verlag ein einigermaßen aussagekräftiges Exposé schustere. Doch ich lasse mir auch sehr viel Spielraum, um den Figuren Gelegenheit zu geben, die Regie zu übernehmen. Das können sie nämlich in der Regel hundertmal besser als ich. Deshalb ähneln meine fertigen Manuskripte auch nur noch in Ansätzen dem, was im Exposé steht.
Grundsätzlich ist es gerade bei Handlungen mit Krimi-Elementen sehr sinnvoll, wenn man am Anfang genau weiß, wer der Mörder ist. Das funktioniert in der Regel bei mir sehr gut, allerdings hat mich „Das Gold des Lombarden“ gerade in dieser Hinsicht vollkommen überrascht. Als ich nämlich etwa auf Seite 70 war, wandte sich eine der Figuren praktisch direkt an mich und verlangte von mir, der Mörder sein zu dürfen, obwohl meine Planung eine ganz andere Figur vorgesehen hatte. Ich war ziemlich erschüttert und habe etwa weitere hundert Seiten abgewartet und die beiden es sozusagen unter sich ausmachen lassen. Tatsächlich hat die Figur am Ende das Rennen gemacht, die sich auf Seite 70 ins Spiel gebracht hat. Und das mit einer unbestechlichen Logik, die mein Unterbewusstsein irgendwie von Anfang an im Sinn gehabt haben muss. Andernfalls wäre der Roman am Ende wohl nicht so rund geworden.

Doris Schweitzer: Sie sind ja eine Vielschreiberin, wie lange arbeiten Sie an einem Roman?

Petra Schier: Das ist unterschiedlich und hängt immer von der Menge der Recherchen ab. Da diese meistens parallel zu einem anderen Manuskript laufen, kann ich nur die reine Schreibzeit relativ genau angeben: Für „Das Gold des Lombarden“ mit seinen 448 Buchseiten habe ich nicht ganz drei Monate gebraucht. Im Schnitt schreibe ich, wenn ich einmal angefangen habe, etwa zehn Normseiten pro Tag an fünf Tagen in der Woche. Eine Normseite beinhaltet nach meiner Formatierung durchschnittlich ca. 300 bis 330 Wörter. Anhand dieser Zahlen kann man sich schnell ausrechnen, wie rasch ein Buch mit 200, 300 oder mehr Seiten fertig ist. Allerdings gebe ich mir auch immer noch ausreichend Pufferzeiten hinzu, denn dazwischenkommen kann schließlich immer etwas.

Doris Schweitzer: Wie wichtig sind Ihnen die historischen Fakten? Schauen Sie sich die Originalschauplätze an soweit sie noch vorhanden sind?

Petra Schier: Historische Fakten und auch die Kenntnis der Schauplätze sind gerade in historischen Romanen unerlässlich. Die Leserinnen und Leser merken sehr schnell, wenn man schlecht recherchiert hat, und reagieren entsprechend verschnupft. Außerdem finde ich es sehr spannend und faszinierend, meine Geschichten eng an historische Fakten und Orte zu knüpfen und der vergangenen Zeit auf diese Weise noch einmal Leben einzuhauchen. Im allerbesten Fall fühlen sich die Leserinnen und Leser gut unterhalten und lernen dabei sogar noch etwas, ohne es wirklich zu merken.

Doris Schweitzer: Dürfen sich Ihre Fans im nächsten Jahr auf einen weiteren Roman mit Aleydis freuen?

Petra Schier: Im kommenden Jahr (2018) leider noch nicht. Das liegt daran, dass der Vertrag über den dann kommenden historischen Roman bereits länger mit Rowohlt geschlossen ist. Dieser wird „Flammen am Horizont“ heißen und wieder in Rheinbach spielen, etwa 40 Jahre nach dem „Hexenschöffen“, jedoch ganz ohne Hexen oder Hexenverfolgung.
Der zweite Teil der (vierteiligen) Reihe um Aleydis de Bruinker wird 2019 in den Buchhandel kommen. Voraussichtlich mit dem Titel „Der Ring des Lombarden“.