Der Kriminalist: Die offene Tür

Christian Berkel und Leonard Kunz, die beiden Hauptdarsteller in "Die offene Tür" aus der Reihe "Der Kriminalist". Foto © Jürgen Schmid, Kriminetz

Es sind die Gestrandeten, die, die sich in unserer Gesellschaft ganz unten befinden, um die sich Der Kriminalist Bruno Schumann in der Folge Die offene Tür kümmert. Ganze eineinhalb Stunden lang. Zu Beginn ein Toter. Ein Fall für die Statistik, so könnte man meinen. Aber der Kriminalist (dargestellt von Christian Berkel) will verstehen, wie dieser junge Mensch gestorben ist. Die Kamera gibt die Tristesse am U-Bahn-Knotenpunkt „Kottbusser Tor“ in eindrucksvollen Bildern wieder. Die „Geschäfte“, die hier neben den legalen getätigt werden, sind zwischen den verschiedenen Gruppen aufgeteilt. Nach und nach sterben junge Drogenabhängige. Sollen die „Geschäftsfelder“ neu aufgeteilt werden? Was steckt dahinter? Wird ein neuer Bandenkrieg losgetreten?

Bruno Schumann aber will außerdem wissen, wer die waren, die unter der Brücke am goldenen Schuss gestorben sind. Den Vorwurf, er sitze im Elfenbeinturm kontert er mit „Dann holen Sie mich doch da runter.“

Währenddessen ist von einem Mann die Rede, der den Jungen eine „offene Tür“ anbietet, immer dann, wenn es kalt ist. Ist er gar kein Wohltäter, sondern ein Mörder? Und was ist mit dem ehemaligen LKA-Beamten Ulli Grützke, der um den Platz schleicht und gezeigt wird, wie er in seiner Wohnung Schubert-Lieder hört und in dessen Kühlschrank eine große Schale grüner Wackelpudding steht?

Der Junge Max wird zur Schlüsselfigur für Bruno Schumann, dem er erst seinem Namen sagt, als der ihm seine warmen Handschuhe schenkt. Als er ihn zum Essen einlädt, spiegelt sich im Gesicht des Schauspielers Berkel das Verschlingen der Pizza durch den ausgehungerten Max.

Wie viel ist Freundschaft wert, unter Menschen, die von ihrer Sucht regiert werden? „Die offene Tür“ kommt gänzlich ohne Voyeurismus aus. „Zuneigung, Wärme. Ein Platz im Leben.“ Genau das wird diesen jungen Menschen vorenthalten, das ist das, wonach sie sich sehnen und wovon sie Lichtjahre entfernt sind. Am Ende zieht die gute Tat Böses nach sich, wie ein Fluch. Kann es Sühne geben? Das Schlussbild zeigt ein Märchen, versucht, aus dem Bösen das Gute wieder herauszulösen. Ist der Täter selbst nicht das größte Opfer in diesem Film, der so unter die Haut geht und in dem Leonard Kunz die jugendliche Hauptrolle mit großer Eindruckskraft bis an die Schmerzgrenze des Zuschauers spielt? Eine großartige Leistung! Chapeau.

Klasse gespielt und gefilmt auch der Dialog zwischen Schumann und Grützke (Ulrich Noethen), in dem die beiden ausgebildeten Kriminalisten, jeder darin geschult, Mimik und Körpersprache des anderen zu deuten, sich gegenseitig aufmerksam belauern.

In weiteren Rollen sind zu sehen: Henriette Müller, Timo Jacobs, André Hennicke u.a. Das Drehbuch ist von Christoph Darnstädt, die Musik von Michi Kadelbach, Ton Matthias Pamperin, Schnitt Boris Gromatzki, Regie führte Züli Aladag, Produzentin Claudia Schneider, Redaktion Wolfgang Witt (ZDF).

Im Anschluss an die Vorführung des Filmes gab es auf der Ludwigshafener Parkinsel beim Festival des deutschen Films ein Filmgespräch mit den Schauspielern Christian Berkel und Leonard Kunz, der Produzentin Claudia Schneider und dem Regisseur Züli Aladag, moderiert von Josef Schnelle, der die Filme mitauswählt.

Auf die Frage des Moderators, ob sich der Film auf einen konkreten Fall beziehe, antwortet der Regisseur, das Buch wurde an ihn herangetragen. Ihm ginge es bei Krimis um das Drama im Krimi und die Charaktere. Die Verlorenheit der Personen, die Verluste, die die Personen mit sich tragen, emotionale Geschichten, die Beweggründe, die Hintergründe und die Motive. Man lebe bei diesem Film bis zum Schluss in der Spannung, wer hat wem umgebracht. Es ginge um die Spannung in der Geschichte und nicht so sehr um den Krimiplot.

Christian Berkel ergänzt, Produzentin Claudia Schneider hatte die Idee, einen 90Minüter zu machen. Immer wenn sie in dem Film-Präsidium am Kottbuser Tor drehen, sehen sie eine Etage tiefer tatsächlich immer Dealer herumlaufen. Noch eine Etage tiefer ist ein Kinderspielplatz. Dies sei eine der traurigsten Aufstiegsmetaphern, die er je gesehen habe. Die Kinder gucken hoch zu den Sechzehnjährigen, die dealen und jetzt die Geldscheine in der Hand haben. Das ist quasi die Aufstiegsmöglichkeit, die diese Kinder haben. Im Ansatz geblieben sei diese unwahrscheinliche Trostlosigkeit der jungen Menschen, die sich verloren gegangen sind und die der Gesellschaft verloren gegangen sind, und für die sich im Grunde keiner mehr interessiert. Diese Empörung trage der Film in überzeugender Weise an uns Zuschauer heran. Mitten in unserem Land ist so etwas und es passiere gar nichts. Es sei Teil dieses Landes, dass Menschen einfach runterfallen, und das nähmen wir so als gegeben hin. Da werde auch in einer Stadt wie Berlin erschreckend wenig hingeguckt.

Schnelle fragt den jungen Darsteller, ob er vor den Dreharbeiten eine Vorstellung vom Kottbusser Tor hatte. Leonard Kunz ist schon vor sieben Jahren nach Berlin gezogen, hat lange in Berlin gekellnert, kennt die Kneipenszene, in der auch Drogen konsumiert werden und hat einmal einen Obdachlosen für eine Nacht aufgenommen. Zum Dreh wohnte er bei einer Freundin und wurde, wenn er zum Dreh lief, nach Drogen gefragt. Als er am Bahngleis stand, kamen die Kontrolleure auf ihn zu und wollten ihn überprüfen. Sie kickten ihn in die Kniekehlen, so dass er auf die Knie kam. Er meinte resümierend, er habe also während der Dreharbeiten überzeugend diese Ausstrahlung gehabt.

Josef Schnelle gibt die Frage an die Produzentin, was sie daran gereizt habe, sich mit so einem wichtigen sozialen Problem auseinanderzusetzen.

Claudia Schneider bestätigt, wenn sie den Kriminalisten drehen, seien sie direkt life am Kottbusser Tor und hätten dabei realistische Begegnungen. Es sei hart, man ginge zum Set, wieder heraus und sei mit dem Realismus am Kottbusser Tor direkt konfrontiert. Sie seien alle relativ vertraut mit dem Gegebenheiten vor Ort, ihr persönlicher Anspruch war, keine zu fiktive Geschichte zu erstellen. Nun ist der Film natürlich fiktiv, eine Parabel und sie wisse nicht, ob es so eine offene Tür wirklich gibt. Die Fiktion sei nur geglückt, weil sie den Ausgelieferten an der unteren Kette sehr nahe gekommen sind. Es sind verlorene Kinder, keiner beerdigt sie. Es ist eigentlich eine Großstadtgeschichte von den verlorenen Kindern. Bei der Beschäftigung damit, wer die Opfer sind, komme man der Realität am nächsten.

Christian Berkel zeigt sich im Filmgespräch als Schauspieler, der bei allem Erfolg ein mitfühlender Mensch ist, der auch dort nicht wegschaut, wo sich der Bodensatz der Gesellschaft sammelt. Mit im Publikum sitzt seine Ehefrau Andrea Sawatzki, die auf der Parkinsel den Film Casting vorstellte, in dem sie einmal mehr ihr komödiantisches Talent einsetzte.

Der Kriminalist wird beim Festival des deutschen Films nochmals am Donnerstag, den 7. September gezeigt, um 15 Uhr im Festivalkino 2. Zum Gesamtprogramm des Festivals des deutschen Films hier klicken.

Im Filmgespräch zu "Der Kriminalist" (links beginnend) Josef Schnelle, Christian Berkel, Züli Aladag, Leonard Kunz und Claudia Schneider. Foto © Jürgen Schmid, Kriminetz