Mord oder doch nur Totschlag? »Naomis Reise«

Regisseur Frieder Schlaich beim Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg. Foto: © Jürgen Schmid, Kriminetz

Der Justizthriller »Naomis Reise« ist derzeit auf dem 66. internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg zu sehen. Es geht darin um die gerichtliche Aufarbeitung des Todes einer Peruanerin, die von ihrem deutschen Ehemann getötet wurde. Dabei wird die Verhandlung nahezu dokumentarisch dargestellt und mit den emotionalen Reaktionen der Beteiligten kontrastiert.

Naomis Mutter Elena (Liliana Paula Trujillo Turin) bittet um Urlaub. Aber die Familie, bei der sie in Peru als Hausangestellte eine gute Stelle hat, gibt ihn ihr nicht. Urlaub für eine Hausangestellte! Das wäre ja noch schöner! Kurzerhand kündigt Elena ihre Stelle und steht damit zukünftig mehr oder weniger vor dem Nichts. Aber sie muss verreisen. Nach Deutschland, nach Berlin. Zusammen mit ihrer Tochter Naomi (Scarlett James). Naomis kleinere Geschwister bleiben in Peru. Denn in Deutschland haben die beiden etwas zu erledigen: Sie nehmen als Nebenkläger an der Gerichtsverhandlung teil, in der es um die Tötung der älteren Schwester Mariella geht. Angeklagt ist deren Ex-Ehemann Bernd (Romanus Fuhrmann), der die Tat erwiesenermaßen begangen hat. Um das Strafmaß festzulegen, muss allerdings noch festgestellt werden, ob es sich um Mord gehandelt hat, oder ob er nur wegen Todschlags verurteilt wird.

Natürlich sind Elena und Naomi voller Emotionen und wollen verstehen, was da passiert ist. Schließlich glaubten sie, dass Mariella in Deutschland ihr Glück gefunden und aus Liebe geheiratet hatte. Doch Emotionen sind bei der Gerichtsverhandlung nicht gefragt. Da geht es um die Vernehmung von Zeugen, die zunächst über ihre Rechte aufgeklärt und dann vom Richter, vom Staatsanwalt, vom Verteidiger des Opfers und schließlich auch vom Anwalt der Nebenkläger befragt werden. Naomi und ihre Mutter dürfen nur zuhören, erhalten die spanische Übersetzung über Kopfhörer und dürfen sich nicht äußern.

Juristendeutsch und Tatbestandsmerkmale

Im Mittelpunkt des Films, dessen Drehbuch von Claudia Schaefer verfasst wurde, stehen die monotonen Abläufe des Gerichts, in denen in einer völlig emotionslosen juristischen Sprache die Fakten erhoben und die in § 211 Strafgesetzbuch definierten, juristischen Tatbestandsmerkmale eines Mordes (Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebs, Habgier, sonstige niedrige Beweggründe, Heimtücke, Grausamkeit, Gemeingefährliche Mittel, Ermöglichung oder Verdeckung einer anderen Straftat) abgeklopft werden. Gelungen ist das Regisseur Frieder Schlaich dadurch, dass er die Rollen des Richter, des Staatsanwalts und der Anwälte mit Juristen besetzt hat, die auch im richtigen Leben diese Berufe ausüben und damit keinerlei Schwierigkeiten mit dem zum Einsatz kommenden Beamtendeutsch haben. Gut gezeigt wird auch, wie die Gefühlsregungen der Nebenkläger – für die viele Dinge, die in dem Prozess zur Sprache kommen unerträglich sind – vom Richter zwar mit Verständnis, aber doch mit Vehemenz zurückgewiesen werden. Übrig bleiben nur die Bruchstücke, die juristisch verwertbar und strafrechtlich relevant sind.

Sextourismus, Heiratsmarkt und Rassismus

Emotionale Diskussionen über die Themen, die im Prozess zur Sprache kommen, gibt es nur am Ende der Verhandlungstage, wenn Elena und Naomi bei der Familie einer Freundin von Mariella sind, bei der sie für die Zeit des Prozesses wohnen können. So kann die Anspannung, die während der Verhandlung aufgebaut wird, auch für den Zuschauer zeitweilig aufgelöst und kanalisiert werden. Denn emotionale Themen gibt es genügend. Und die haben hauptsächlich mit den Verhältnissen zu tun, die diese Tat erst ermöglicht haben. Hier geht es um Sextourismus, Rassismus und die wirtschaftlich prekäre Situation in Peru. Um die Motive, die südamerikanische Frauen veranlassen, ausländische Männer zu heiraten und die Ansprüche dieser Männer an ihre importieren Ehefrauen. Und natürlich auch die Naivität von Elena und Naomi, die trotz der vielen Skype-Gespräche mit Mariella nichts von deren Problemen geahnt haben.

Je weiter die Verhandlung fortschreitet, umso klarer wird, welche Merkmale schließlich über Mord oder Totschlag entscheiden und welche eben nicht. Klar wird auch, dass die Nebenkläger vom Gericht Gerechtigkeit erwarten, das Gericht aber nur Rechtssicherheit liefern kann.

Filmgespräch

Diesen Gegensatz zwischen Recht und Moral darzustellen, war auch eines der Anliegen von Regisseur Frieder Schlaich, wie dieser im anschließenden Filmgespräch verriet. Mit beim Filmgespräch dabei waren auch Claudia Tronnier (Redaktion »Das kleine Fernsehspiel«) und Katrin Vorderwülbecke, die für das Casting zuständig war, und darüber berichtet hat, wie sie »echte« Richter und Staatsanwälte für den Film vorsprechen ließ. Sehr großer Wert wurde bei dem Film auf die Authentizität der juristischen Einschätzungen gelegt, berichtete Frieder Schlaich. So habe dem Film ein realer Fall zugrunde gelegen, der für den Film aber natürlich abgewandelt und verfremdet wurde. Und bereits bei der Drehbuchentwicklung wurden juristische Berater mit einbezogen, die auch teilweise bei der Verhandlung des zugrundeliegenden realen Falls involviert waren. Auch die Texte der Juristen wurden mit den Darstellern, die ja ebenfalls vom Fach waren, nochmals eingehend diskutiert. Dabei sei aber auch eine gewisse Subjektivität bei der Beuteilung der Fakten zutage getreten. Denn der »Filmrichter« hätte den zugrundeliegende Fall auf der Grundlage der gegebenen Umstände durchaus anders entschieden. Gedreht wurde in einem originalen Gerichtssaal in Berlin Mohabit.

Mit »Naomis Reise« ist ein eindrucksvoller Film gelungen, der den Zuschauer einerseits in die kalte und schlichte Realität eines Gerichtsprozesses eintauchen lässt, in der Moral keinen Platz hat und der andererseits veranschaulicht, wie unser Rechtssystem mit politischen und wirtschaftlichen Faktoren sowie den gesellschaftlichen Hintergründen von Heirats- und Armutsmigration umgeht.

Der Film wird auf dem internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg noch zwei Mal gezeigt. Nähere Informationen dazu auf der Website des Internationalen Filmfestivals Mannheim-Heidelberg

Im Fernsehen wird der Film im Rahmen der Reihe »Das Kleine Fernsehspiel« voraussichtlich am 04.12.2017 im ZDF zu sehen sein.

Beim Filmgespäch zu »Naomis Reise«: Moderator Josef Schnelle, Regisseur Frieder Schlaich, Casterin Katrin Vorderwülbecke und ZDF-Redakteuin Claudia Tronnier. Foto: © Jürgen Schmid, Kriminetz