»Nous sommes les autres« – Ein Psychologischer Krimi aus Kanada

Frédéric Venne (Émile Proulx-Cloutier) übernimmt den Job des verschwundenen Alexandre Picard. Foto: © Sébastien Raymond/Item7

Alexandre Picard ist verschwunden. Während seine Lebenspartnerin Myriam Lambert (Pascale Bussières) beim Joggen war, hat er seine Sachen gepackt und ist gegangen. So jedenfalls sieht es die Polizei. Myriam ist sich dagegen nicht so sicher. Schließlich sind einige wertvolle Kunstgegenstände aus dem Haus verschwunden und die Bücher wurden aus den Regalen gerissen und auf dem Boden verteilt. Vielleicht war das ja doch ein Einbruch! Und was ist dann mit Alexandre geschehen?

Jedenfalls meldet sie den Schaden der Versicherung und der Schadensachverständigen Robert Laplante (Jean-Michel Anctil) erklärt sich bereit, einige Ermittlungen zum Verbleib von Alexandre anzustellen.

Gleichzeitig gilt es, das Verschwinden von Alexandre Picard zu vertuschen, ist er doch ein Star-Architekt, der als einziger aus seinem Architekturbüro eingeladen wurde, an einem Wettbewerb für ein wichtiges Projekt in Québec teilzunehmen. Da kommt es gerade recht, dass sich Frédéric Venne (Émile Proulx-Cloutier) als sein Assistent beworben hat. Mit seinem Lebenslauf (Eigenes Architekturbüro pleite; Arbeit als Immobilienmakler, Depression) hätte er normalerweise keine Chance, aber so hat er keine andere Wahl als auf den Knebelvertrag einzugehen, seine Entwürfe als die von Picard auszugeben und so zu tun, als ob er alle Anweisungen von dem angeblich in Asien auf Recherchereise befindlichen Alexandre Picard erhalten würde. Auch er begibt sich auf die Suche nach Alexandre: Auf die Suche nach seinem Sein, nach seinen Ideen und seinem Umgang. Wie würden die Entwürfe aussehen, wenn sie tatsächlich von Alexandre stammten? Außerdem muss er an seinem Auftreten im Architekturbüro arbeiten, um ernst genommen zu werden. Und so wird er Alexandre immer ähnlicher ...

Der im Programm des Internationalen Filmfestivals Mannheim-Heidelberg als »Psychologischer Krimi« angekündigte Film entwickelt sich nach und nach zu einer Reise der Protagonisten in ihr eigenes Sein, ihre eigenen Wünsche und Ziele. Während Frédéric Venne sich hauptsächlich beworben hatte, um seinen Vater endliche mit einem beruflichen Erfolg zu beeindrucken, hat Robert Laplante die Leitung der Schadensagentur nur deshalb übernommen, weil seine Frau sich das gewünscht hat, und darüber ganz vergessen, dass er sich für Oper und Gesang interessiert. Und Alexandre Picard verdankt seinen beruflichen Erfolg nicht zuletzt seiner Frau, die ihre eigene Firma aufgegeben hat, um ihn mit den richtigen Leuten zusammenzubringen und zu unterstützen. Dabei hat er noch so viele andere Talente ...

Besonders die Figur des Frédéric Venne macht – nicht nur innerlich – eine dramatische Entwicklung durch. Er verwandelt sich auch äußerlich mehr und mehr in den vermissten Alexandre Picard und wird vom schüchternen Looser zum kraftvollen Gestalter.

In dem ersten Spielfilm von Jean-François Asselin, der davor bereits mehrere international erfolgreiche und preisgekrönte Filme inszeniert hat, dreht sich alles um die Lebensentscheidungen der Protagonisten und ob diese ihnen entsprechen, aber auch um die Möglichkeit, einmal getroffenen Entscheidungen jederzeit zu ändern, wenn man erkennt, dass sie falsch waren und nur getroffen wurden um »den Anderen« zu gefallen.

Der Film ist sehr spannend, wenn auch auf eine andere Art, wie es ein klassischer Krimi wäre. Ich würde ihn eher als psychologisches Drama bezeichnen. Schlussendlich findet Robert Laplante eine Leiche. Ob es aber der Gesuchte ist, muss der Zuschauer selbst entscheiden, ebenso wie die Frage, ob Alexandre Picard je existiert hat oder nicht eine Wunschvorstellung von Myriam ist und im Verlauf des Films gerade erst erschaffen wird.

»Nous sommes les autres« läuft auf dem Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelbergmit englischen und deutschen Untertiteln in der Reihe »International Discoveries« und ist während des Festivals noch mehrfach zu sehen.

Myriam Lambert (Pascale Bussières) bittet Robert Laplante (Jean-Michel Anctil) nach ihrem Lebensgefährten zu suchen. Foto: © Sébastien Raymond/Item7
Das Stadthaus in N 1 in Mannheim ist eine der drei Locations des Internationalen Filmfestivals Mannheim-Heidelberg. Foto: © Jürgen Schmid, Kriminetz