Preisgekrönter TATORT: Im Schmerz geboren

Ulrich Tukur als Felix Murot in "Im Schmerz geboren". Foto: hr / Marlene Tukur

Florian Schwarz und Michael Proehl waren 2005 beim Festival des deutschen Films mit ihrem Film „Katze im Sack“ zu Gast. Zum zehnjährigen Jubiläum des Festivals auf der Ludwigshafener Parkinsel kamen der Regisseur und der Drehbuchautor jetzt wieder und hatten ihren neuen Hessen-TATORT im Gepäck. Der bekam bereits beim Münchner Filmfest den Bernd-Burgemeister-Fernsehpreis. Für die Jury ist der Film "packendes Fernsehen, das für Diskussionsstoff sorgen wird".

Der Film beginnt mit einer Einstellung, die wie ein Prolog anmutet: Ein Mann steht mit einer Waffe im Anschlag und zielt aufgewühlt auf etwas. Worauf er zielt bleibt dem Zuschauer jedoch verborgen. Ein Sprecher warnt:

„Uns Narren dieses Schauspiels bleibt nur der Trost des Jenseits.“

Und schon sind wir als nächstes mitten drin in einer Western-Szenerie: Ein Mann steigt aus dem Zug, er trägt alle Züge des einsamen Helden. Auf dem Bahnsteig erwarten ihn drei Männer in Häscher-Manier. Doch die Dinge wenden sich. Entgegen der Erwartungshaltung, die sich beim Zuschauer aufbaut, werden die drei Männer erschossen. Von wem, das ist nicht zu sehen. Es sind die drei Söhne von Boseo, die getötet werden. Wie auf einer Opernbühne wird ihm der Mord an allen seinen Söhnen mitgeteilt. „Alle drei?“, fragte er eben noch, voll unheilvoller Ahnung, als der Böse auf ihn zuschreitet. Er ist selbst unausweichlich das nächste Opfer. Ihm wird durch ein Buch hindurch, das Geschichten erzählt und welches er vor sich hält, in die Brust geschossen. Gleich einem Wiedergänger taucht er im weiteren Verlauf des Filmes erneut auf, er übernimmt die Rolle, die der Chor in der antiken Tragödie hatte, setzt Akzente, treibt die Handlung voran und erklärt sie.

Ermittler Felix Murot (Ulrich Tukur) leitet die SOKO, die nach diesen Morden sofort gebildet wird. Murot erkennt auf dem Film der Überwachungsanlage einen Jugendfreund. Richard Harloff ist aus Bolivien zurückgekommen, wo er sich dreißig Jahre lang aufhielt. Und genau jener Harloff war Murots Freund, während sie beide gemeinsam die Polizeischule besuchten. Doch dies war nicht ihre einzige Gemeinsamkeit, denn die beiden teilten sich auch noch die Liebe einer Frau. Wie in ihrem Lieblingsfilm „Jules et Jim“ lebten sie in einer Dreiecksbeziehung mit der Frau, die einen Schmetterling auf ihrer Schulter tätowiert trug. Doch der Schmetterling entschied sich schließlich für einen von ihnen. Sie ging mit Harloff, nachdem der von der Polizeischule flog, nach Südamerika. Dort avancierte er zum kalten Drogenboss, auf dessen Weg viele Leichen liegen. Sein Sohn, bei dessen Geburt die Mutter starb, ging bei ihm zur Schule und steht dem Vater in nichts nach.

Der Film ist gleich einer groß angelegten Oper inszeniert. Große Gefühle, menschliche Konflikte und ein unausweichliches Ende, dem die Figuren unaufhaltsam zustreben.

Ulrich Matthes spielt den Bösewicht in diesem rasanten TATORT und wirkt als Richard Harloff in einigen Szenen derart reptilienhaft, als hätten ihm die Maskenbildner auch noch die Wimpern gekürzt, um diesen Eindruck gekonnt zu unterstreichen. Und gleich einem wendigen Reptil lässt er sich auch nicht fassen, immer hat er ein Alibi. Es ist ein lange geplanter Rachefeldzug, den der einsame Held führt. Felix Murot muss im weiteren Verlauf immer mehr erkennen, dass das Ganze ihm selbst gilt.

Zum Ende hin wird dem Zuschauer offenbart, worauf der Mann in der Eröffnungsszene mit seiner Waffe anlegte. Es ist der Motor für das, was ihn dreißig Jahre lang beseelte. Sein Leben zielte ab diesem Zeitpunkt hin auf diesen groß angelegten inszenierten Auftritt vor dem Wiesbadener Spielkasino, wo er Felix Murot für einige Minuten zu seiner Marionette macht. Felix Murot handelt so, wie Richard Harloff es für ihn bestimmt hat. Es gibt keinen Ausweg für ihn aus dieser Situation, keine alternative Entscheidung. Denn Felix Murot muss handeln. Genauso, wie es Richard Harloff in seinem teuflischen Stück für ihn festgelegt hat. Murot zahlt einen bitteren Preis für seine heitere Unbeschwertheit, die er vor drei Jahrzehnten auslebte.

Der Soundtrack zu den großartigen Bildern des Films wurde unter Leitung von Frank Strobel vom hr-Sinfonieorchester eingespielt. Er ist zusammengestellt aus weltberühmten Werken der klassischen Musik. Die Zitate im Film entstammen Klassikern der Weltliteratur, neben anderen Werken Shakespeare und die Bibel. Es gibt aber auch jede Menge filmische Zitate, man fühlt sich auf einige bekannte Westernfilme verwiesen. Es könnte eine Art Gesellschaftsspiel daraus entstehen, die vielen Zitate und Verweise im Film beim gemeinsamen Anschauen zu identifizieren. Das Publikum auf der Ludwigshafener Parkinsel spendete lang anhaltenden Applaus für den Film.

Beim anschließenden Publikumsgespräch erzählte Regisseur Florian Schwarz, dass er die Murot-Reihe von Anfang an verfolge. Als er das Angebot bekam, einen Film für diese Reihe zu machen, griff er sofort zu. Die Essenz entwickelten er und Drehbuchautor Michael Proehl gemeinsam. Es sollte für Murot ein Gegenspieler entwickelt werden, der auf Augenhöhe mit ihm ist. Sie suchten nach einer Entsprechung zu dem Tumor, der ihm wegoperiert wurde. Es entstand eine Art von seelischem Tumor: Rache, die über Jahrzehnte hinweg wuchs. Auch Barbara Philipp, die Murots Kollegin spielt, war zur Vorstellung des Filmes angereist. Sie sieht ihre Rolle als Glücksfall: „Warum sollten wir die Zuschauer nicht mal wieder fordern? Der TATORT soll wieder zum Gespräch unter den Zuschauern werden.“

Auf die humorvollen Szenen im Film angesprochen meinte Florian Schwarz, dieses nahe Beieinander von Humor und Schmerzhaftigkeit, diese Wechsel zwischen Beidem seien für ihn und für den Autor interessant.

Am 4. Juli erhält „Im Schmerz geboren“ einen weiteren Preis. Um 20.30 Uhr wird der Medienkulturpreis des Festivals des deutschen Films an die Fernsehredaktion HR - Fernsehspiel und Spielfilm, Liane Jessen und Jörg Himstedt in Kino 2 überreicht. Die Kamera führte Philipp Sichler, Stefan Blau besorgte den Schnitt, Peter Senkel den Ton.

Der Sendetermin für „Im Schmerz geboren“ in der ARD ist der 12. Oktober 2014. Auf der Insel ist der Film noch zu folgenden Terminen zu sehen: Donnerstag, 3. Juli, 18.00 Uhr und am Freitag, 4. Juli, 20.30 Uhr.

Ulrich Tukur im Interview mit Kriminetz: hier klicken

Zum Gesamtprogramm des Festivals des deutschen Films in Ludwigshafen

Publikumsgespräch zu "Im Schmerz geboren". Das Foto zeigt (links beginnend) Dr. Josef Schnelle, Jörg Himstedt, Barbara Philipp, Florian Schwarz, Michael Proehl und Julia Teichmann. Foto: © Jürgen Schmid, Kriminetz