Der 15. Spreewald-Krimi hat eine neue Hauptperson. Es ist in Die siebte Person die Geschichte selbst, intensiv, einfühlsam und gleichzeitig mit Wucht dargestellt von Friederike Becht. Mit ihr sitzen im übertragenen Sinn und in einer Filmszene sogar tatsächlich weitere fünf Personen mit im Boot. Denn Maja leidet an einer dissoziativen Identitätsstörung. Dabei übernehmen unterschiedliche Persönlichkeitszustände mit unterschiedlichen Eigenschaften und Verhaltensweisen die Kontrolle in einer Person. Extreme, lebensbedrohende traumatische Erfahrungen in frühester Kindheit führen zu dieser Aufspaltung, um das pure Überleben der Person zu ermöglichen. Maja ist Vollwaise, das Kinderheim, in dem sie aufwuchs, existiert nicht mehr.
Julia Daschner gelingt es, mit ihrer Kamera psychologische Zustände einzufangen, Bilder zu generieren, die sich auch mit dem Inneren der Personen beschäftigen. Während ein Haus in Flammen steht, wird aus einem Gedicht von Carl Zuckmayer zitiert: „Leid wird zu Flammen, die sich selbst verzehren, und nur ein kühler Flug von Asche bleibt.“ Pensionist Krüger wird von einer Grippe gebeutelt, altmodisch inhaliert er mit einem Tuch über dem Kopf Dampf aus einer Emailleschüssel. Fiebert er, oder sieht er wirklich Anna Subata, die Kassandra des Spreewaldes, die ihm den Tod eines bekannten Politikers ankündigt? Wenig drauf ist der Mann tatsächlich tot, vor seinem Tod wurden ihm offenbar Schmerzen zugefügt. Wie es sich für einen Krimi gehört, werden verschiedene Fährten gelegt.
Maja, die in einer therapeutischen Einrichtung lebt, steht kurz vor der Abspaltung einer neuen, der siebten Person. Welche Charaktereigenschaften wird diese haben? Ist es womöglich der gewaltbereite Boxer, der in Zwischeneinblendungen zu sehen ist? Der frei von Regeln mit nicht regulierbarer Wut auf andere eindrischt?
Der Film verzichtet darauf, den eigentlichen Missbrauch in Rückblenden vorzuführen. Ermittlerin Luise Bohn klärt Martin Fichte auf, als der nachfragt. Dazu braucht es nicht viele Worte. „Kleine Kinder, die man …?“ „Genau das. Auch Säuglinge.“ „Mir wird schlecht.“ Das Thema Missbrauch aus der Perspektive der erwachsenen Opfer zu erzählen, ohne die damals passierten Taten rückblickend filmisch darzustellen, ist eine großartige Idee. Zu sehen, was das ihnen Angetane mit ihnen und aus ihnen gemacht hat, lässt die Taten an ihnen noch grausamer und brutaler werden. Diese seelische Zerrissenheit zu sehen, schmerzt beinahe physisch. Man ahnt das Psychogramm von Teilen unserer Gesellschaft, die andere seelisch irreversibel zerstören. Eine Heilung in dem Sinne, dass die abgespaltenen Personen verschwinden, gibt es für die Geschädigten nicht. In Therapien wird versucht, zu erreichen, alle Anteile innerhalb der Person zu verbinden und dass Betroffene lernen, mit ihrer Störung zu leben, eine sog. Alltagstauglichkeit herzustellen. In Deutschland soll immerhin ein Prozent der Bevölkerung davon betroffen sein. Oft suchen die Klientel zunächst Hilfe wegen vermeintlicher Depressionen. Die siebte Person legt den Fokus mit eindringlicher Empathie auf die Geschädigten, wie sie im Polizeijargon heißen, in diesem Fall sind es Beschädigte, die nie wieder heilen, die nie wieder „ganz werden“. Vielleicht führt der Film dazu, dass wir alle genauer hinsehen, wenn jemand aus der Rolle fällt.
Besonders erwähnenswert ist die überragende schauspielerische Leistung von Friederike Becht in der Rolle der Maja. Auch ihre fünf "Untermieter" werden von den KollegInnen herausragend gut gespielt.
Es spielen: Christian Redl, Thorsten Merten, Alina Stiegler, Friederike Becht, Birge Schade, Brian Völkner, Ludwig Blochberger, Verene Bonnkirch, Philipp Hochmair, Felix Phönix Lehmann, Irina Platon, Yun Huang, Ulrich Simontowitz, Anna Herrmann, Elisa Ueberschär, Maja Lehrer, Andreas Anke, Stefanie Mansnik, Martina Lehmann u. a.
Mit Christian Redl und Alina Stiegler gibt es ein Interview auf Kriminetz.
Zur Premiere des Films kamen so viele Mitglieder des Teams, dass ein kleiner Konvoi nötig war, um sie alle zum roten Teppich zu fahren. Es kamen: Lars-Gunnar Lotz (Regie), Nils-Morten Osburg (Buch), Christian Redl (Schauspieler), Friederike Becht (Schauspielerin), Frida-Lovisa Hamann (Schauspielerin), Anna Hermann (Schauspielerin), Yun Huang (Schauspielerin), Martina Lehmann (Schauspielerin), Wolfgang Esser (Produzent), Pit Rampelt (Redakteur ZDF), Hartmut Damberg (Produktionsleitung), Karina El-Giamal (Cast), Christoph Köpf (Ton), Julia Daschner (Kamera), Arnim Thomass (Standfotograf) & Julia Lamp (Producerin).
Die meisten aus dem Team sahen an diesem Abend, dem 7. September 2022, den Film gemeinsam mit dem Publikum zum ersten Mal. Sie hatten nicht alle auf der Bühne Platz, und so saßen sie beim Filmgespräch, moderiert von Rüdiger Suchsland und Josef Schnelle, teilweise in der für sie reservierten 1. Reihe.
Hauptdarstellerin Friederike Becht erzählt von ihrer Vorbereitung auf die Rolle. Dabei war es ihr sogar möglich sich (über Zoom) mit Betroffenen auszutauschen. „Es ist ein unglaublicher Abgrund. Multipel zu werden ist eine Rettung für die Menschen, den es ist zuviel für eine Person, das Erfahrene auszuhalten.“
Drehbuchautor Nils-Morten Osburg bekam vom Produzenten mehrere Themen für den Spreewaldkrimi vorgeschlagen und er hat dieses ausgewählt. „Was wir mit der Krankheit andeuten, ist nur die Spitze des Eisbergs.“ Zum Film gab es eine Beraterin, Michaela Huber, sie ist die Koryphäe für dieses Gebiet und wurde mehrfach mit Preisen ausgezeichnet.
Kamerafrau Julia Daschner: „Für diese Person ist das, was ihre Aufspaltungen erzählen, real. Wir wollten es in ihrem Kopf so darstellen, wie es auch außerhalb war.“
Regisseur Lars-Gunnar Lotz betont, sie haben die Krankheit nicht benutzt, um etwas reißerisch zu erzählen. Vielmehr wollten sie mit Stilmitteln alles tun, um ein wenig in den Kopf von Maja zu schauen. Produzent Wolfgang Esser pflichtet ihm bei, dass kein schwieriges Thema als Vehikel benutzt wurde, um einen Krimi zu erzählen.
Der 15. Spreewaldkrimi „Die siebte Person“ läuft beim Filmfestival in Ludwigshafen am Rhein nochmals am Donnerstag sowie am Freitag. Die Ausstrahlung im ZDF ist für das erste Quartal 2023 geplant.
Beim 18. Festival des deutschen Films in Ludwigshafen ist er nochmals am Donnerstag und am Samstag zu sehen. Das Festival findet vom 24. August bis zum 11. September 2022 statt. Das gesamte Programm findet ihr auf der Festivalseite Festival des deutschen Films.