»The Roar« – Großstadtdschungel Taipeh

Regisseur Chun-hao Chan freute sich sehr, seinen Film in Mannheim und Heidelberg präsentieren zu können. Foto: © Jürgen Schmid, Kriminetz

Huang (Pong Fong Wu), Mitte Vierzig, ist Taxifahrer in Taipeh. Die meiste Zeit verbringt er in seinem Taxi, weil ihn zu Hause seine Frau Xu Xiumei (Ai-Yun Ho) mit ihrem Gezeter nervt, dass er zu wenig verdient und nichts aus sich gemacht hat. Und das, obwohl er ihr schon seinen ganzen Verdienst aushändigt und sich sogar von seinem Freund (Ming-shiou Tsai) noch zusätzliches Geld leiht, um es seiner Frau zu geben. Er lebt nur noch für seine Arbeit und hat keine Freude mehr am Leben. Sein Freund, in dessen Laden er einen kleinen Imbiss zu sich nimmt, hat ihm gerade erklärt: »Du trägst eine schwere Last auf Deiner Seele« und »Du musst selbstbestimmter leben«, als sie einen Schuss hören. Huang geht nachschauen und sieht gerade noch jemanden in einem Motorradhelm und blauer Jacke davonlaufen. Es gab einen Raubüberfall auf die Tankstelle nebenan, jemand wurde verletzt und jetzt ist alles voller Polizei.

Die Waffe verschafft Respekt

Auf seinem Nachhauseweg wird er von einem Motorroller vom Weg gedrängt und findet dadurch am Wegesrand er eine blaue Jacke, einen Motorradhelm und eine geladene Pistole. Als der Rollerfahrer, der zurückkommt, um ihn wegen der Beschimpfungen zu schlagen, die er ihm hinterhergerufen hat, die Pistole in seiner Hand sieht, hat er großen Respekt vor ihm und rennt ganz schnell wieder weg.

Huang legt die Sachen wieder zurück und geht nach Hause. Doch er erzählt seiner Frau und seiner Tochter nichts von seinem Erlebnis. Das ist bezeichnend für die Sprachlosigkeit, die in seiner Familie herrscht. Abgesehen vom permanenten Gezeter seiner Frau redet hier niemand mit niemandem. Auch die 17-jährige Tochter Anrong (Wilson Hsu) ist von ihrer Mutter genervt, die ihr Faulheit vorwirft, der ihr Freund nicht passt und die sie immer nur zum Lernen antreibt – schließlich kostet die Schule viel Geld ...

Dabei hat die Anrong durchaus ihre eigenen Probleme, über die sie mit ihren Eltern aber nicht sprechen kann: Sie ist schwanger und weiß nicht so recht, wie sie mit dieser Situation umgehen soll. Ihr Freund drängt sie zur Abtreibung und sie hat niemanden, mit dem sie sich beraten kann.

Am nächsten Tag schaut Huang nochmals nach: Die Waffe ist noch immer am selben Ort.

Wenn alles eskaliert

Auf der Fahrt zum Flughafen erzählt ihm sein Onkel, dass das Haus, in dem er mit seiner Familie lebt, bald abgerissen werden soll und rät ihm, sich endlich einen vernünftigen Beruf zu suchen, schließlich kann man mit Taxifahren nicht reich werden. Und dann kommt er zufällig hinzu, wie zwei junge Männer auf seine Tochter einschlagen. Als er ihr helfen will, erzählt sie von ihrer Schwangerschaft und sagt zu ihm: »Das einzige, was Dich interessiert, ist Geld verdienen, das einzíge, was meine Mutter interessiert, ist Geld annehmen – und von mir habt ihr keine Ahnung. Ich möchte nicht so sein wie ihr und jetzt bin ich sogar noch schlimmer.«

Als Huang dann auch noch einen Autounfall hat, seine Frau ihn nicht unterstützt, er auf die Polizeiwache gebracht wird und sein Freund ihm rät, dass er sich von diesen Lasten befreien muss, wenn er nicht für immer als minderwertig gelten will, beschließt er zu handeln und es kommt zu einer dramatischen Zuspitzung ...

»The Roar« fängt die Situation von Huang sehr realistisch ein und gibt einen guten Einblick in die Großstadtgesellschaft in Taiwan. Wer es dort mit 40 Jahren nicht zu (bescheidenem) Reichtum gebracht hat, ist quasi gescheitert, sowohl wirtschaftlich als auch als Familienoberhaupt, als das er von seiner Frau ja genau deswegen nicht anerkannt wird. Der Film handelt von sehr glaubwürdigen Charakteren und ist authentisch und direkt erzählt. Dabei bleibt er überraschend menschlich, stellt die Probleme aber knallhart – auch in einigen temporeichen Actionszenen – dar, auch wenn die visuelle Nachdenklichkeit überwiegt.

Chun-hao Chan in Mannheim

Zum Filmgespräch war Regisseur Chun-hao Chan aus Taipeh nach Mannheim gekommen. Er absolvierte sein Filmstudium an der Nationalen Taiwanesischen Universität für Kunst und drehte dort schon einige Kurzfilme. »The Roar« ist sein erster Langfilm und zugleich sein Masterabschluss. Eigentlich wurde dieser Film nur für Taiwan produziert und so freute sich der sympathische Regisseur sehr, ihn nun auch in Deutschland zeigen zu können und hier mit dem Publikum zu diskutieren. Natürlich hat er sich für diesen Film so berühmte Vorlagen wie »Taxi Driver« Martin Scorsese und »All or Nothing« von Mike Leigh angesehen, erzählte er dem Publikum in Mandarin, das von Jiani Zhan ins Deutsche übersetzt wurde. Außerdem hat er sich für diesen Film von der griechischen Tragödie und dem »Mythos des Sisyphos« von Albert Camus inspirieren lassen. Sehr wichtig war ihm auch das Spannungsverhältnis zu zeigen zwischen dem Geld – das man in Taiwan dringend für das Überleben benötigt, da die Löhne nur etwa ein Drittel so hoch sind wie in Deutschland, die Preise aber durchaus auf deutschem Niveau liegen – und der Familie, die aufgrund der Fokussierung auf das Geld unterzugehen droht. Wozu das führen kann, sehen wir in diesem Film.

Diskutierten über »The Roar«: Moderator Josef Schnelle (links) und Regisseur Chun-hao Chan. Jiani Zhan (Mitte) übersetzte zwischen Mandarin und Deutsch. Foto: © Jürgen Schmid, Kriminetz