Sieben Fragen an Alessandro Bellardita

"Die sizilianische Akte" ist der zweite Kriminalroman des promovierten Juristen und Autors Alessandro Bellardita. Foto: © beim Autor

Der Autor und promovierte Jurist Alessandro Bellardita ist gebürtiger Sizilianer und lebt im Rhein-Neckar-Gebiet. Seit 2012 ist er im Justizdienst tätig, derzeit als Strafrichter am Landgericht Karlsruhe. Seit 2005 betätigt er sich journalistisch und schriftstellerisch und hält regelmäßig Vorträge und Lesungen. Im Jahr 2021 erschien unter dem Titel „Der Zeugenmacher“ der erste Ermittlungsfall seiner deutsch-italienischen Hauptfigur Francesco De Benedetti. Mit „Die sizilianische Akte“ ist kürzlich der 2. Band mit Francesco De Benedetti erschienen.

Alessandro Bellardita erhielt im Dezember 2022 den Mannozzi-Preis der Berliner Begegnungen (premio Mannozzi).

Für Kriminetz beantwortete Alessandro Bellardita sieben Fragen.

Kriminetz: Die fiktive Figur Francesco De Benedetti ist Staatsanwalt in Heidelberg. Weshalb fiel die Entscheidung auf diese Stadt als Handlungsort?

Alessandro Bellardita: Ich liebe Heidelberg. Und es war Liebe auf den ersten Blick. Ich bin dieser Stadt zum ersten Mal im Jahre 1999 begegnet, damals als junger Student. In Heidelberg spürt man überall eine gewisse Leichtigkeit, eine Leichtigkeit, die mich sehr stark an die Heimat meiner Eltern erinnert, an Italien und die dortigen wunderschönen Städte. In Heidelberg durfte ich meine ersten Jahre in der Justiz verbringen, zuerst als Amtsrichter und später als Staatsanwalt. Insbesondere bei der Staatsanwaltschaft habe ich mich sehr wohl gefühlt, es war sehr familiär, die Atmosphäre unter den Kolleg*Innen war außerordentlich gut. Mein damaliger Chef, der Behördenleiter Romeo Schüssler, ein durch und durch sympathischer Zeitgenosse, hatte auch stets ein Ohr für uns junge Staatsanwalt*Innen. Und das hat jeder von uns gespürt und wertgeschätzt. Leider musste ich dann 2017 Heidelberg aus familiären Gründen verlassen.

Kriminetz: Francesco De Benedetti ist wie der Autor Deutsch-Italiener. Gibt es weitere Überschneidungen? Etwa die Lust am Espresso-Trinken?

Alessandro Bellardita: Hierzu eine kurze Anekdote: Als ich vom Amtsgericht zur Staatsanwaltschaft gewechselt bin, das war im Jahr 2015, musste ich natürlich auch meine sieben Sachen packen und ins neue Büro zwei Etagen höher (vom 2. ins 4. OG) ziehen. Das Erste, was ich mitnahm, war meine Espressomaschine. Und so begegnete ich das erste Mal meinen neuen Kolleg*Innen der Staatsanwaltschaft mit der Kaffeemaschine unter meinem Arm. Als mich der Abteilungsleiter auf dem Flur sah, sagte er zu mir: „Herr Bellardita! Sind Sie zum Arbeiten oder zum Kaffeetrinken gekommen?“. Ich antwortete: „Das Eine geht ohne das Andere ohnehin nicht!“.

Ja, in der Tat: Der Espresso ist eine Leidenschaft, die ich mit der Hauptfigur De Benedetti teile. Das Wort Espresso taucht deshalb etwa 25 Mal in knapp 240 Seiten auf. Aber auch die sizilianischen Wurzeln, und natürlich auch eine Mutter, die hervorragend typisch sizilianisch kocht, sind Punkte, die wir gemeinsam haben…

Kriminetz: „Die sizilianische Akte“ ist Rosario Livatino gewidmet. Was hat es damit auf sich?

Alessandro Bellardita: Rosario Livatino war ein junger sizilianischer Richter, der wegen seiner Tätigkeit als Mafia-Jäger am 21.9.1990 im Alter von 37 Jahren auf dem Weg zu seiner Arbeit in der Nähe von Agrigent ermordet wurde. In einem Vortrag im Jahre 1988 warnte er vor der Verbreitung der sizilianischen Mafia in Deutschland: „Wer die neue Mafia verstehen will, muss nach Deutschland schauen!“, sagte er. Seine Ermittlungen führten vor allem nach Mannheim, Köln und Wuppertal: Unmengen von Bargeld, die überwiegend aus illegalen Rauschmittelgeschäften herrührten, wurden systematisch hierzulande in den Erwerb von Unternehmen und Immobilien investiert. Es ist daher kein Zufall, dass Livatino von Auftragskillern ermordet wurde, die damals in Deutschland lebten und hier vermeintlich ein ziviles Leben als Kellner fristeten. Die Geschichte Livatinos ist die Geschichte eines mutigen Mannes, der an eine bessere Gesellschaft, ein Sizilien ohne Mafia geglaubt hat – und deshalb darf er nicht in Vergessenheit geraten.

Kriminetz: Ich wohnte damals seit einem Jahr in Mannheim, als es zu dem brutalen Mord an dem Richter Giovanni Falcone, seiner Frau Francesca Morvillo und drei Leibwächtern kam. Falcone war zuvor gemeinsam mit Richter Borsellino zu einer Zeugenbefragung in Mannheim gewesen. Auch Borsellino wurde gemeinsam mit seinen Leibwächtern Opfer eines Mafia-Anschlages. Bald darauf ging die Nachricht durch die Medien, das beschauliche Städtchen Memmingen, das ich von zahlreichen Besuchen kannte, sei eine Art Mafia-Hochburg in Deutschland. Im Kriminalroman sagt Staatsanwalt Di Cristina zu De Benedetti, „dass wir in Deutschland die Mafia stark unterschätzen würden“ (S. 172). Ist das auch in der Realität heute immer noch so?

Alessandro Bellardita: Falcone und Borsellino waren in Deutschland, weil auch sie von dieser „Spur des Todes“, die Livatino aufgespürt hatte, wussten. Als Paolo Borsellino Leitender Oberstaatsanwalt in Marsala wurde, ermittelte er persönlich in der Mordsache Livatino. Und so führten ihn diese Ermittlungen direkt nach Mannheim und Stuttgart (JVA Stammheim), wo der Mafioso Gioacchino Schembri in Haft saß. Dort wurde Schembri im Juli 1992 von Borsellino vernommen – wenige Tage vor Borsellinos Ermordung am 19.7.1992. Erst Schembris Aussage führte zu weiteren Verhaftungen in den Ermittlungen rund um den Mord an Livatino.

Leider ist die deutsche Justiz so gut wie blind vor dem Phänomen Mafia. Es gibt kaum Ermittlungen in diesem Bereich. Seit Anfang der 90er Jahre ist Deutschland für die italienische Mafia ein Eldorado. Hier bleiben die Mafiosi unter dem Radar der Ermittler und können ihre Geschäfte beinahe ungestört ausüben. Die italienische Mafia wird stark unterschätzt, obwohl sie weltweit mit Abstand immer noch die Mächtigste ist.

Kriminetz: Was wären denkbare Maßnahmen, um der Mafia in Deutschland den Boden zu entziehen?

Alessandro Bellardita: Ich halte regelmäßig Vorträge zu diesem Thema, ich könnte daher hier sehr viele Punkte aufzählen. Aber ich beschränke mich auf die vier wichtigsten Maßnahmen: Erstens brauchen wir dringend eine Zentralisierung der Bekämpfung organisierter Kriminalität, also eine bundesweit agierende zentrale Schwerpunktstaatsanwaltschaft. Zweitens muss die Staatsanwaltschaft politisch und sachlich unabhängig werden, so wie in Italien und anderen EU-Ländern. Ferner müssen wir, wie Italien dies 1982 getan hat, den Straftatbestand der „Bildung einer schweren kriminellen Vereinigung“ einführen und dabei die Höchststrafe auf 15 Jahre erhöhen. Derzeit liegt die Höchststrafe der „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ in § 129 des Strafgesetzbuchen bei 5 Jahren. Das ist zu wenig und führt dazu, dass die Staatsanwaltschaften meistens wegen anderer Delikte ermitteln. Und schließlich: Forschung! Das Mafiaphänomen – und die Folgen für die zivile Gesellschaft in Deutschland – wird immer noch kaum erforscht. Das muss sich schnellstens ändern.

Kriminetz: Wie muss man sich einen Auftragskiller der Mafia vorstellen?

Alessandro Bellardita: Nach außen hin ein „ganz normaler Mensch“, der vielleicht als Kellner oder in der Baubranche tätig ist, einige Freunde und idealerweise eine feste Lebenspartnerin oder gar eine Familie mit Kindern hat. Seine Innenwelt hingegen ist düster: Er ist kaltblütig, stellt keinesfalls die Befehle der Mafia in Frage und kennt vor allem keine Hemmungen, wenn es um die Tötung eines Menschen geht. Sein einziges Gesetz lautet: Töte, wenn die Mafia es von dir verlangt!

Kriminetz: Wann findet man als Richter und bei der Vielzahl von Vorträgen und Lesungen die Zeit zum Schreiben von Krimis? Sehr früh auf am Morgen oder hauptsächlich an Wochenenden?

Alessandro Bellardita: Eigentlich schreibe ich beinahe „ununterbrochen“. Denn für mich beginnt die Schreibarbeit im Kopf. Deshalb „schreibe“ ich auch während einer Zugfahrt, in dem ich mir Gedanken über die Story, über die eine oder andere Figur im Roman mache usw. Am liebsten schreibe ich aber in den späten Abendstunden, so ab 22 Uhr. Da bin ich irgendwie besonders aktiv. Allerdings habe ich dann ein nicht zu unterschätzendes Problem: Ich muss meistens früh aufstehen! Und da hilft meistens doch nur ein guter Espresso!

Kriminetz: Vielen Dank, Alessandro Bellardita, für die Beantwortung der sieben Fragen.

Zur Website des Autors: alessandro-bellardita.de