Sieben Fragen an Andreas J. Schulte

Das Foto zeigt Andreas J. Schulte. Foto: © Jürgen Schmid, Kriminetz

Der Journalist und Autor Andreas J. Schulte ist in Gelsenkirchen aufgewachsen. Schon während seines Germanistik-Studiums arbeitete er als Hörfunk-Redakteur und Sprecher für einen Privatsender. Nach einer Ausbildung zum Kommunikationswirt übernahm er als Etatdirektor die Betreuung von verschiedenen Unternehmen, die Produktion von Radio- und TV-Beiträgen und die Durchführung von PR-Kampagnen. In dieser Zeit schrieb er erste Kurzgeschichten. Mittlerweile ist Andreas J. Schulte selbstständig als geschäftsführender Gesellschafter eines Redaktionsbüros in Andernach, wo er mit seiner Familie lebt, und Romane schreibt. Dieser Tage erscheint bereits sein zweiter historischer Kriminalroman, nach Die Toten des Meisters nun Die Spur des Schnitters.

Für Kriminetz beantwortete Andreas J. Schulte sieben Fragen.

Kriminetz: Dieser Tage erscheint dein neuer Roman „Die Spur des Schnitters - Konrads zweiter Fall“. Auf was stößt Konrad?

Andreas J. Schulte: Auf eine ganze Reihe von Toten – alle mit den Wunden, die eine Sichel hinterlässt. Als ich „Die Toten des Meisters“ schrieb, fragte ein Verlag, ob es denn auch eine Fortsetzung geben könnte, ob man die Geschichte weitererzählen kann. Also habe ich mir schon bei der Endfassung des ersten Krimis darüber Gedanken gemacht, wie sich die Figuren entwickeln könnten. Konrad von Hohenstade zum Beispiel, die Hauptfigur, erkennt im Laufe der Handlung, dass er seine Fähigkeiten nicht verstecken kann und er sich seiner Verantwortung stellen muss. Im zweiten Band greife ich diese Entwicklung natürlich auf und erzähle sie weiter. Die Leser erfahren auch mehr über Pastor Heinrichs Vergangenheit, um ein zweites Beispiel zu nennen. Zum Glück ist umfassen die historischen Ereignisse, um die sich die bisher geplanten drei Konrad-Romane drehen, fast ein Jahr, das heißt, ich habe genügend Spielraum für die Handlung.
In einer Zeitschrift las ich einen Beitrag über die Sichel als Waffe und welche Verletzungen damit möglich sind, so kam ich auf die Idee, dass Konrads neuer Gegenspieler mit dieser Waffe morden könnte. Konrad muss eine verschwundene Reliquie möglichst rasch wiederfinden, doch der Schnitter macht ebenfalls Jagd auf diese Reliquie und hinterlässt dabei mehr als nur ein Opfer. Daher auch der Name des Buches: „Die Spur des Schnitters“.

Kriminetz: Deine Romane handeln zur Zeit des ausgehenden Mittelalters, kurz vor dem Beginn der Renaissance, wobei solche Übergänge ja immer fließend sind. Was fasziniert dich an dieser Epoche?

Andreas J. Schulte: Ich will ehrlich sein: Ich bin durch Zufall auf diese Epoche gestoßen. Bei Ausgrabungen in Andernach fand man einen mittelalterlichen Steinsarg mit zwei Leichen darin. Das war für mich der Auslöser, in der Geschichte der Stadt zu recherchieren. Ich wollte erst einmal wissen, bei welchen Ereignissen eine Frau und ein Kind gestorben sein könnten. Dann dachte ich daran, die beiden als Mordopfer einzubauen, bis ich auf das Jahr 1475 stieß.
Kaiser Friedrich III. residierte für drei Monate in der Stadt, während sich im Neuwieder Becken, also im Mittelrheintal, ein Reichsheer sammelte. Dieses Heer sollte Neuss, das von Burgund belagert wurde, befreien.
Zwei Jahre später aber heirateten Maximilian von Habsburg und Maria von Burgund. So entstand ein zeitlicher Rahmen, in den nicht nur Konrads erster Fall gut hineinpasste, ich fand auch in den historischen Ereignissen ein passendes Mordmotiv. Da griff plötzlich ganz viel ineinander.
Am Ende entschied ich mich dafür, dass die beiden Leichen keine Mordopfer sein sollten, sondern Konrads verstorbene Frau und seine Tochter und damit der Grund, warum mein Held überhaupt in Andernach „gestrandet“ war.
Das ausgehende Mittelalter ist eine interessante Epoche: In Europa verändern sich die Machtverhältnisse, das Haus Habsburg gewinnt immer mehr an Bedeutung, Burgund dagegen zerfällt. Wir haben traditionelle Waffentechniken des Mittelalters genauso wie Kanonen und erste Gewehre. Und – was ich auch sehr spannend finde – es gibt zahlreiche Quellen über historische Personen, Ratsprotokolle, Briefe oder Grundrisse z.B. von Klöstern und dann wieder Lücken, die es einem erlauben, sich auf Basis der Recherche seine eigene „Welt“ zusammenzustellen.

Kriminetz: Hast du je in Erwägung gezogen, dir ein wohlklingendes Pseudonym, das mit entsprechendem Timbre ausgesprochen aufregend, fremdartig und interessant klingt, zuzulegen? Oder käme es für dich nicht in Frage, unter einem anderen Namen als deinen eigenen zu publizieren?

Andreas J. Schulte: „Ein Pseudonym, das mit entsprechendem Timbre ausgesprochen aufregend, fremdartig und interessant klingt“ … ihr meint, noch interessanter als Andreas J. Schulte? :)
Nein, daran habe ich noch nie gedacht, wohl auch, weil ich seit 26 Jahren als Journalist unter diesem Namen und dem Kürzel „ajs“ schreibe und arbeite.
Ich habe mal eine Ideenskizze für einen Frauenroman entworfen, die fand meine damalige Literaturagentur auch nett, doch der Roman „Kaffeeküsse“ müsste eigentlich von einer Frau geschrieben werden, hieß es dann.
Da sah ich ein Problem: Wenn einer Leserin die Geschichte gefällt, würde sie sich dann bei einer Lesung nicht betrogen fühlen? Gut, ich hätte natürlich jemanden anderes lesen lassen können, aber dann hätte ich ja auf den Spaß der Lesungen verzichtet.
Etwas anderes wäre eine Veröffentlichung im Ausland. St. Martin's Press in New York hatte im letzten Jahr Interesse an „Die Toten des Meisters“, das muss man sich mal vorstellen! Leider hatte die Lektorin von ihrem Kontakt nicht erfahren, dass es sich bei dem Buch um einen historischen Roman handelt und so was läuft wohl nicht so gut in den USA, schrieb sie mir später.
Also, sollte je ein Buch von mir dort erscheinen, könnte ich mir natürlich ein zum Land passendes Pseudonym vorstellen, sollte der Verlag das wünschen.

Kriminetz: Wie betreibst du die Recherche für deine Romane?

Andreas J. Schulte: Intensiv und lange. Das hat zwei Gründe: Zum einen schreibe ich beruflich nur ungern über irgendetwas, ohne es wirklich so gut verstanden zu haben, dass ich es einem Laien verständlich erklären kann. Zum anderen kannte ich ja z.B. das 15. Jahrhundert viel zu wenig. Ich hatte die Sorge, dass ich irgendetwas übersehen könnte, dass es dann doch das eine Buch gibt, in dem natürlich alle Grundrisse des gesuchten Klosters vorhanden sind – um mal ein Beispiel zu nennen. Ich habe deshalb mit Historikern gesprochen, Bücher gewälzt und mir natürlich die Orte angeschaut.
Mittlerweile stehen z.B. mehrere Bücher über heimische Giftpflanzen neben meinen Schreibtisch, ich habe Mappen mit Hintergrundmaterial zu Waffentechnik und dem Kampf mit dem langen Schwert, zu mittelalterlicher Küche und Heilkunst, auch eine Sammlung lateinischer Zitate, Stadtpläne und Namen von Gasthöfen.
Man muss aber auch loslassen können und sich sagen: Du schreibst nur einen Roman, keine historische Doktorarbeit. Ein guter Freund hat mir, als ich mich beklagte, dass es über ein Kloster keine Grundrisse gäbe, gesagt, „dann hast du ja die Möglichkeit, es dir selber auszudenken“. Das hätte ich fast übersehen. Und für diesen Tipp bin ich ihm heute noch dankbar. Es gibt aber keinen Grund, warum die wichtigsten Fakten nicht stimmen sollten. Beispielsweise arbeite ich mit einem Kalender der betreffenden Jahre, damit die Handlungsverläufe auch zeitlich gut zueinander passen. Wenn es möglich ist, dann schaue ich mir die Orte selber an, das kann einen vor mancher Peinlichkeit retten.
Ich war jetzt über Ostern auf Spiekeroog und Baltrum, weil ich zwei Kurzkrimis über die Inseln schreibe. Für Spiekeroog hatte ich in Büchern von einer Muttergottes-Statue gelesen, die von einem spanischen Kriegsschiff stammen soll. Daraus könnte man doch was machen, dachte ich und malte mir schon aus, wie Strandräuber die Statue langsam vom Wrack heben und zu dritt ans Ufer schleppen. Als ich dann in der Inselkirche die Statue gesehen habe, konnte ich es erst nicht glauben, die ist nur gut 35 cm groß. Jeder, der mal auf Spiekeroog gewesen ist, hätte einen Lachkrampf bei meiner Beschreibung bekommen. Gut, dass die Inselkirche am Karfreitag offen war.

Kriminetz: Du bist im Ruhrgebiet aufgewachsen. Prägt einen das nachhaltig?

Andreas J. Schulte: Das ist jetzt mit Abstand die schwierigste Frage. Also, ich schätze Offenheit und dass man Klartext redet – gilt das nur für Menschen aus dem Ruhrgebiet? Wohl kaum! Mein Vater kam aus dem Sauerland, von ihm habe ich sicher einen guten Schuss Gelassenheit und Pragmatismus geerbt. Von meiner Mutter, die aus Gelsenkirchen stammte, habe ich ohne Zweifel ihre Offenheit und – sagen wir es ehrlich – den Hang zur Rampensau mitbekommen. Sie hat Laientheater gespielt, wildfremde Menschen in der S-Bahn in ein Gespräch verwickelt und kannte Gott und die Welt. Also, ich glaube, das hat mich geprägt.
Manchmal bemerkt man etwas erst, wenn es fehlt. Mir fehlen hier im Rheinland die Buden. In Gelsenkirchen gab es überall diese Buden (Kioske), wo es neben Getränken, Süßigkeiten und Eis auch so ziemlich alles für den esstechnischen Notfall gab: Abgepacktes Brot, Konserven, usw. Eine richtige Currywurst mit selbstgekochter Sauce fehlt mir auch – eben nicht die lauwarme Fertigsauce aus dem Eimer.
Und ich musste mir 1988 in Bonn eine ganze Reihe von Wörtern abgewöhnen. Ein Studiotechniker sagte mir mal: „Mensch, dir hört man den Pott aber an. Isch geh jetzt in die Küsche und hol mir ers' mal 'nen Kaffee.“ Er war übrigens felsenfest davon überzeugt, Hochdeutsch zu sprechen …

Kriminetz: Du lebst mit deiner Familie in einer alten Scheune. Klingt einen bisschen nach Ausstieg. Oder war das eine rein architektonische Überlegung?

Andreas J. Schulte: Nee, das war der Wunsch nach einem großen Arbeitszimmer, einem Kaminofen und einem Billardtisch. Das alles war in meiner Bonner Wohnung nicht möglich. Das mit dem Arbeitszimmer hat gut geklappt und wir haben auch zwei Kaminöfen, nur der Billardtisch kam nie. Während des Umbaus 1992 lernte ich meine Frau kennen und dann war klar, in unser damaliges Arbeitszimmer müssen zwei Schreibtische hinein. Christine sagte manchmal, ich hätte ja die Wahl gehabt: Frau oder Billardtisch ...
Wir wohnen nur gut acht Kilometer von Andernach entfernt, das heißt, ich kann auch mal mit dem Fahrrad ins Büro fahren. Mittlerweile könnte ich mir ein Wohnen in einer Großstadt nur noch schwer vorstellen. Wie ruhig es hier ist, merke ich immer dann, wenn ich z.B. in Berlin nachts wachliege, weil auch um zwei Uhr früh draußen noch Verkehr herrscht.

Kriminetz: Dir bei Lesungen zu begegnen, vermittelt den Eindruck, du hast unheimlich viel Spaß dabei. Was „nimmst du selbst mit“ aus dieser Art der Begegnung mit deinen Lesern?

Andreas J. Schulte: Ich nehme die Begeisterung meiner Lesern mit und das Gefühl, etwas richtig gemacht zu haben. Ich spreche seit so vielen Jahren Radiobeiträge, aber ich hätte nie gedacht, wie viel Spaß es macht, sein Buch mit verschiedenen Stimmen vorzustellen. Bei der letzten Lesung hat mich eine Zuhörerin anschließend gefragt, ob das Buch auch so lustig sei, wenn sie es selber lesen würde. Ich hoffe, ich habe ihr die richtige Antwort gegeben …
Ich habe bislang den großen Luxus, dass ich noch keine Lesung erleben musste, bei der den Zuhörern die Geschichte nicht gefallen hätte, das ist natürlich ein Geschenk. Man kann sich ja selber immer am Schreibtisch sagen „Mensch, die Stelle ist dir jetzt gut gelungen“. Aber ich mag es, wenn die Menschen an genau den richtigen Stellen lachen oder sich von der Geschichte fesseln lassen. Mittlerweile freue ich mich schon beim Schreiben einer Szene darauf, die auch bei einer Lesung vortragen zu können.
Ich bin Mitglied im Magischen Zirkel von Deutschland. Beim Zaubern ist es ganz ähnlich, wenn man es richtig macht, dann lassen sich die Zuschauer von der Erzählung und von den Kunststücken verzaubern. Im letzten Jahr durfte ich innerhalb von acht Monaten bei 18 Lesungen „Die Toten des Meisters“ vorstellen. Dabei ist mir klar geworden: eine Lesung ist für mich wie Zaubern, aber ohne den Stress, ob ein Kunststück auch wirklich klappt und ob man jeden Handgriff im Schlaf beherrscht. Das ist einfach großartig!

Vielen Dank, Andreas J. Schulte, für die Beantwortung der Fragen.

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