Sieben Fragen an David Frogier de Ponlevoy

Das Foto zeigt den Schriftsteller David Frogier de Ponlevoy.

David Frogier de Ponlevoy wuchs in der Nibelungenstadt Worms auf und war demzufolge seit seiner Kindheit von Mythen, Epen und Sagen umgeben. Er studierte Geschichte und Politik in Marburg, Paris und Freiburg und begann nebenher, als Journalist zu arbeiten, unter anderem für Spiegel Online und den SWR. Zwischen 2006 und 2014 lebte und arbeitete er in Vietnam, als Journalistenausbilder, Moderator und Stadtführer, stand dort auf Theater- und Opernbühnen. Gleichzeitig begann er, Bücher zu schreiben. 2015 erschien sein erster Krimi, Hanoi Hospital. Seit 2014 lebt er hauptberuflich als Werbetexter in Darmstadt.

Für Kriminetz beantwortete David Frogier de Ponlevoy sieben Fragen.

Kriminetz: Eine der Figuren in deinem Krimi „Hanoi Hospital“ ist eine Deutsch-Vietnamesin, die als Kind mehrfach in Vietnam war und nun nach einigen Jahren Abwesenheit wieder dorthin reist. Warst du selbst, bevor du für einige Jahre in Vietnam lebtest, auch für einen längeren Urlaub dort gewesen?

David Frogier de Ponlevoy: Ja, aber das war gerade mal ein halbes Jahr vorher, ich weiß gar nicht, ob das zählt, das ging fast nahtlos ineinander über. Tatsächlich hatte ich in den Neunzigern die Chance zu einer längeren Reise – und habe sie ausgeschlagen. Das ist eine etwas kuriose Geschichte: Mein Vater ist in Vietnam geboren, in der Zeit, als es noch französische Kolonie war. Ich bin ja sowohl Deutscher als auch Franzose. Zwei meiner Urgroßmütter waren Vietnamesinnen, ich habe nach wie vor vietnamesische Familie in Hanoi, und als Kind hatte ich auch deutliche asiatische Gesichtszüge. Mein Vater hat gerne vietnamesisch gekocht, es hingen auch seltsame Bilder an der Wand, aber das alles waren eher Relikte aus der Vergangenheit, ich habe mich mit diesem Teil meiner Familiengeschichte vergleichsweise wenig identifiziert. Als mein Vater 1999 seine Verwandten in Vietnam besuchen wollte, wohlgemerkt die erste Reise „zurück“, seit er als Kind das Land verlassen hatte, hat er mich gefragt, ob ich mitkomme. Ich habe abgelehnt, weil ich gerade mit irgendwas im Studium beschäftigt war. Dass ich weniger als ein Jahrzehnt später quasi dorthin aussiedele und acht Jahre lang dort lebe, hätte ich mir zu dem Zeitpunkt auch nicht träumen lassen.

Kriminetz: Gab es einen Auslöser für dich, einen Krimi zu schreiben, der in Vietnam handelt? Weshalb hast du dich für dieses Genre entschieden?

David Frogier de Ponlevoy: Auch das war ein klein wenig Zufall. Die vergangenen Jahre haben mich ohnehin gelehrt, dass sehr viel, was später prägend für eine Biographie ist, durch Zufall entstehen kann. Ich hatte während meiner Zeit in Vietnam zwei Sachbücher über Vietnam geschrieben, Alltagsreiseführer, wenn man so will. Das eine mit Anekdoten und Geschichten über Vietnam („151 Vietnam“), das andere etwas praktischer orientiert, der „Fettnäpfchenführer“. Beide gehören zu Reihen des Conbook-Verlags, nebenbei gesagt wirklich ein sehr sympathischer Verlag mit einem sehr spannenden Programm, was fremde Länder und Kulturen angeht. Die haben dann begonnen, auch Länderkrimis in ihr Programm mit aufzunehmen, und mich angefragt. Ich musste tatsächlich erst einmal überlegen, ob ich das machen kann und machen will: Belletristik schreiben, Plots ersinnen, mich allein auf meine Phantasie stützen. Das war ich als Journalist gar nicht gewohnt. Und was ich bis dahin an Regionalkrimis oder Länderkrimis gelesen hatte, hatte auffallend häufig ein Problem: Da viele Leser quasi eine Art Einführung ins Land erwarten, muss der Protagonist nicht nur den Fall lösen, sondern auch noch Reiseführer sein. Das geht aber eigentlich nicht. Jemand, der vor Ort wohnt, kann nur in den seltensten Fällen einem Ausländer sein Land erklären, weil er gar nicht wissen kann, was dem Ausländer seltsam, unterhaltsam oder spannend vorkommt. Ein Einheimischer beschreibt seine Stadt oder seine Region komplett anders, viele aufregende Dinge nimmt er nicht wahr, weil sie selbstverständlich für ihn sind. Ich war ja selbst lange Zeit im Nebenjob Reiseführer in Vietnam, und mir ist schnell aufgefallen, dass ich viel besser Deutsche durch Hanoi führen kann, als zum Beispiel einmal eine Gruppe Bekannter, die aus verschiedenen asiatischen Ländern stammten. Für die waren ganz andere Dinge wichtig, die brauchten auch ganz andere Erklärungen. Jedenfalls habe ich mir da vorgenommen, dass ich es anders machen möchte. Ich möchte nicht „das Land“ in den Mittelpunkt stellen, sondern die Figuren. Daraus habe ich mir die Vorgabe für mich überlegt, mit drei Protagonisten ins Rennen zu gehen, mit jeweils sehr verschiedenen Hintergründen, die teilweise denselben Ort im Buch völlig anders erleben und beschreiben.

Kriminetz: Du hast zwei deutschen Außenministern den Literaturtempel gezeigt. Was hat es mit dem Literaturtempel auf sich?

David Frogier de Ponlevoy: Das ist eines der Wahrzeichen von Hanoi, wobei der Name etwas irreführend ist, denn neben dem flachen Tempel selbst ist das Gelände vor allem ein akkurat angelegter Park, eine recht ruhige Oase im trubeligen Hanoi. Ich habe wie gesagt eine Zeit als Stadtführer gearbeitet, für einen Freund, der vor Ort „Hanoi Kultour“ gegründet hat, da war ich sowohl für ganz normale Reisende aktiv, als auch im Auftrag der deutschen Botschaft für diverse Politiker-Delegationen. Im Grunde ist Reiseführer ja ein Job, der dem des Autors sehr ähnlich ist: Man erzählt Geschichten, die hoffentlich sowohl ein wenig Wissen vermitteln, als auch spannend sind, nur erzählt man sie direkt einer kleinen Gruppe, und merkt auch direkt, ob man die Leute packt oder nicht. Der Literaturtempel war ein Ort, der sich sehr gut als Aufhänger für ganz viele Geschichten und Hintergründe geeignet hat, man kann dort etwas über die verschiedenen Religionen in Vietnam erzählen, über das Bildungssystem, über Sprache und Gesellschaft. Eigentlich ist der Ort vergleichsweise unspannend: Es ist ein eher flach gebauter Tempelkomplex, das meiste davon auch längst mehrfach renoviert, aber wenn man die Augen offen hält, und ein Gefühl dafür hat, wie man eine Kleinigkeit zum Anlass nimmt, um darüber etwas allgemein über eine kulturelle Besonderheit, ein historisches Ereignis oder eine spannende Alltagssituation zu erzählen, dann ist der Literaturtempel ein großartiger Fundus. Es war der Ort, an dem früher die Prüfungen für die Mandarine stattfanden, also die Administration des Landes ausgebildet wurde. Allein dazu lässt sich schon viel erzählen. Außerdem, Bonus: Die nächste Straße ist etwas weiter weg, hinter der Mauer. Das hast du in Hanoi sonst fast nie. Sämtliche anderen interessanten Orte sind fast immer sehr laut. Nach solchen Führungen durch die Innenstadt war ich abends meistens heiser.

Kriminetz: Was aus Vietnam vermisst du in Deutschland am meisten und hättest es gerne hier?

David Frogier de Ponlevoy: Als ich vor zwei Jahren zum ersten Mal wieder nach Vietnam zurück bin, habe ich mich kurioserweise am meisten darauf gefreut, mich mal wieder auf den Motorroller zu setzen, und mich in den Verkehr zu stürzen. Ich habe sogar freiwillig ein paar Extrarunden an einer belebten Kreuzung gedreht, was ich offen gestanden in all den Jahren in denen ich dort gelegt habe, niemals getan hätte. Da sind wir wieder bei dem Thema: Wenn man irgendwo lebt, nimmt man die Dinge um sich herum anders wahr, im Zweifelsfall eben als völlig normal und eher lästig. Aber dieses leicht Anarchische, diese Freiheit auf dem Roller, das hat mir diebisch Spaß gemacht. Ich empfinde auch den Verkehr in Deutschland als aggressiver, dieses Rechthaberische geht mir ziemlich auf den Senkel. In Hanoi hält sich zwar niemand an die offiziellen Regeln, aber die meisten achten gerade deswegen ständig auf alle anderen um sie herum. Darüber hinaus vermisse ich generell auch das Leben am Straßenrand. Es ist ja immer was los. Überall sitzen oder laufen Leute, man kann auch ständig interessante Menschen treffen, oder um eine Ecke biegen und einen verwunschenen Hinterhof entdecken. Deutschland ist im Vergleich dazu erstaunlich leer, still und aufgeräumt.

Kriminetz: Mit „Wo der Büffel zwischen den Zeilen grast“ hast du einen Fettnäpfchenführer für Vietnam veröffentlicht. Welchen Fettnapf sollte man UNBEDINGT vermeiden?

David Frogier de Ponlevoy: Davon auszugehen, dass so, wie wir die Dinge in Deutschland angehen, „richtig“ oder „normal“ ist. Das abzuschütteln ist aber ziemlich schwer, weil das uns Menschen und unsere Kultur ja ausmacht: Was wir zu Hause erleben, erscheint uns normal. Wenn man in anderen Ländern schmatzt, empfinden wir das automatisch als unhöflich – oder eklig. Wenn Vietnamesen lachen, wenn uns gerade ein Missgeschick passiert ist, empfinden wir das als rüde und unverschämt – dabei ist es eine Reaktion, mit der man dort durchaus Anteilnahme ausdrückt. Das ist schwer zu verstehen und noch schwerer zu verinnerlichen. Ich weiß, das klingt jetzt alles etwas philosophisch, und ich würde gerne etwas handfesteres liefern, aber dieser eine, repräsentable Fettnapf fällt mir nicht ein. Wir haben im Buch, das ich zusammen mit einer guten Freundin vor Ort geschrieben habe, auch darauf geachtet, die Dinge nicht zu platt und einfach darzustellen, damit ist ja niemandem geholfen, sondern wir betrachten in den einzelnen Episoden ausführlich Verhaltensweisen, die seltsam oder merkwürdig erscheinen könnten, und erklären, warum das so ist. Dabei haben wir auch nochmal sehr viel gelernt. Es ist ja so: Erkläre mal jemandem, wie „der Deutsche“ zu Abend isst, und was man dabei falsch machen kann. Da fängt ja das Problem schon damit an, dass fast jede deutsche Familie sich unterschiedlich verhält. So ähnlich ist das, natürlich, auch in Vietnam. Das war für uns aber gerade Anreiz und Ansporn. Wir haben ganz viele Freunde und Bekannte mit Fragen genervt, und hatten immer wieder diesen Antrieb, den Dingen auf den Grund zu gehen. Warum wissen so wenig Leute, wie man Schlange steht? Warum gehen so viele abends im Pyjama auf die Straße? Auf manche Fragen gibt es keine eindeutige Antwort, aber wir haben selbst viel gelernt.

Kriminetz: Was hat dich hier am meisten überrascht, als du nach acht Jahren nach Deutschland zurückgekommen bist? Musstest du dich wieder hier einfinden oder hattest du schon nach kurzer Zeit das Empfinden, nicht weggewesen zu sein?

David Frogier de Ponlevoy: Wie eben schon einmal angedeutet: Die Leere auf den Straßen hat mich überrascht. Damit meine ich jetzt nicht die verstopften Kreuzungen, sondern das ganze drumherum. Die Bürgersteige in Deutschland sind leer, in Vietnam sind sie voller Händler, parkender Motorroller oder philosophierender Rentner. Wenn ich in Deutschland aus einer Stadt herausfahre, begegne ich niemandem abseits der Straße. Nicht mal auf den Feldern arbeiten Menschen. Ich glaube, das war etwas, das mir bis dahin nie so bewusst gewesen war, sonst wäre es mir nicht so krass aufgefallen. Und tatsächlich musste ich mich an die deutsche Verkehrsordnung wieder gewöhnen. Und zwar nicht in dem Sinne, dass ich alle Regeln breche, sondern wieder das Selbstvertrauen zu haben, dass ich jetzt tatsächlich mit 50 Stundenkilometern durch die Stadt fahren kann, und der Radfahrer da links nicht plötzlich quer über die Straße fährt, das Auto da rechts mir die Vorfahrt nimmt und der Fußgänger dort drüben direkt vor mich läuft. Meine Sinne für unerwartetes Verhalten waren in den ersten Wochen noch so geschärft, dass Fahren in Deutschland ein Dauerfeuer an Alarmsituationen war. In Vietnam kann jederzeit alles passieren, wer hupt, hat Vorfahrt und wer vorne fährt, hat recht. Von Büffeln auf der Landstraße jetzt gar nicht zu reden.

Kriminetz: Lässt es deine Zeit neben Beruf und Familie momentan zu, an einem weiteren Buch-Projekt zu arbeiten?

David Frogier de Ponlevoy: Das ist ein etwas wunder Punkt, denn die Antwort darauf ist ein von Herzen geschmettertes „Jein“. Ich habe weniger Zeit, als ich mir wünschen würde. Es gibt ein Buch-Projekt, das sogar schon relativ weit vorangeschritten ist, aber das wird aktuell in beherzten Phasen energisch vorangetrieben und dann wieder viel zu lange liegen gelassen. Andererseits tut es einem Buch interessanterweise auch ganz gut, mal eine Zeitlang nicht angefasst zu werden. Ich müsste wahrscheinlich den Schriftsteller zum Hauptberuf machen, dann hätte ich Zeit, aber ehrlich gesagt habe ich aktuell auch sehr viel Spaß an meinem Beruf und der gemeinsamen Arbeit mit Kollegen. Nun, ich hatte ja zu Anfang der Fragerunde schon erwähnt, dass manchmal Zufälle und überraschende Wendungen eine Biographie bestimmen. Schauen wir mal, wo es noch hinführt. An Weihnachten kommt jetzt erstmal ein Krimi als Kurzgeschichte von mir heraus, das ist ja immerhin ein Schritt.

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