Vor einigen Tagen, am 24. Februar 2013, wurde die Jubiläumssendung von „Druckfrisch“ ausgestrahlt. Denis Scheck, Literaturkritiker und Journalist, moderiert sie seit nunmehr zehn Jahren. Mal mit Ironie, mal mit sichtlichem Wohlwollen kommentiert er die Spiegelbestseller-Liste, die die von Verlagen am meisten verkauften Bücher aufführt, stellt Bücher vor und interviewt Autoren. Für seine Jubiläumssendung reiste er mit seinem Drehteam einmal um den Globus und traf auf verschiedenen Kontinenten Schriftsteller.
Denis Scheck erhielt mehrere Preise: Im Jahr 2000 den Kritikerpreis des Deutschen Anglistentages, 2007 die Übersetzerbarke des Verbandes deutschsprachiger Übersetzer, den Deutschen Fernsehpreis 2011 in der Kategorie Besondere Leistung gemeinsam mit Andreas Ammer und den Sonderpreis des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises 2012 für seine Sendung Druckfrisch in der ARD.
In Mannheim, wo der Literaturkritiker gern gesehener Gast ist, brachte er seine höchst unterhaltsame Art der Literaturvorstellung in der Alten Feuerwache während des Lesefestival „lesen.hören“ auf der Bühne zu Gehör. Und zwar sprach Denis Scheck „Vom Guten, Wahren, Schönen – und vom Albernen, Banalen und Überflüssigen“.
Im Anschluss an die Veranstaltung beantwortete Denis Scheck für Kriminetz sieben Fragen.
Kriminetz: Wie muss ein Krimi geschrieben sein, damit Sie ihn nicht aus der Hand legen sondern genussvoll zu Ende lesen?
Denis Scheck: Je älter ich werde, desto mehr bin ich der Meinung, dass es den Krimi in dem Sinne gar nicht gibt. Ich mache ja keine Unterschiede zwischen Krimis und Literatur. Hamlet ist auch ein Krimi. Von daher zielt die Frage darauf ab , wie muss ein Buch geschrieben sein, damit ich es nicht aus der Hand lege. Für mich ist ein Meisterwerk der Literatur ein Werk, das meine Sicht auf die Welt verändert. So wie ich nach Kafka, nach Beckett, aber auch nach Joyce und Arno Schmidt, aber auch nach Donald Duck von Carl Barks in der Übersetzung von Erika Fuchs, die Welt anders sehe. Das ist für mich der Maßstab.
Das Problem ist, dass ich abstrakt über solche Kriterien schlecht reden kann. Ich weiß, dass dazu im Krimi-Genre heute Bücher von Friedrich Ani, Heinrich Steinfest und Wolf Haas zählen. Und im Krimi gestern eine Autorin, die für mich ganz zentral und wichtig ist, Dorothy L. Sayers, die in ihrer harten Gesellschaftskritik heute, glaube ich, eher unterschätzt wird und von der der schöne Satz stammt: „A society based and waste and consumption is a society bound to fail.”
Dafür gibt es diese Gesellschaft, die auf Konsumismus und Verschwendung basiert, jetzt schon siebzig, achtzig Jahre und noch scheint sie ganz stabil.
Kriminetz: Sie sind hauptsächlich als Literatur-Kritiker bekannt. Sie sind jedoch auch Übersetzer. Wie wird man denn Literaturkritiker? Schärft die Übersetzertätigkeit den literaturkritischen Verstand?
Denis Scheck: Unbedingt! Ich muss sogar bekennen, dass ich immer ein gewisses Misstrauen habe vor Kritikern, die gar keine Expertise im literarischen Feld davor haben, im Sinne einer Lektorentätigkeit oder Tätigkeit als Übersetzer oder Autor. Ich betrachte meine literarischen Übersetzerjahre, und es waren immerhin zehn Jahre, als im Grunde meine Lehrzeit als Literaturkritiker. Und deshalb versuche ich heute zumindest gelegentlich zu lektorieren.
Erst die Fragestellung: Wie mache ich etwas Halbgutes gut, etwas Gutes besser oder wie verhindere ich das Allerschlimmste, erst die Bewährung, wenn das Papier leer ist oder fast leer, versetzt einen in den Stand, künstlerische Hervorbringungen anderer zu würdigen. Ich denke immer, es macht mich auf eine gewisse Weise ehrlich, zu übersetzen oder übersetzt zu haben und zu lektorieren. Es ist eine Schärfung meiner literaturkritischen Waffen, es befruchtet einen, weil man anders sieht und weil man handwerklichen Zugang zum Schreiben hat.
Kriminetz: Welches Buch haben Sie besonders gerne übersetzt? Können Sie eines benennen?
Denis Scheck: Ich muss sogar bekennen, weil die Ehrlichkeit dann doch die Phrase überwiegt, dass ich fast alle Autoren, die ich übersetzt habe, am Ende meiner Übersetzungen gehasst habe, für ihre Schwächen, für ihre Marotten, für ihr dramaturgisches Versagen. Ich war da ein sehr untypischer Übersetzer. Übersetzen fiel mir sehr schwer, ich brauchte furchtbar lange dafür, ich hatte immer mit deadlines zu kämpfen. Es war ein schrecklicher Kompromiss zwischen Abgeben und Durchkommen. Ich kam mir immer vor wie der letzte Ponyexpressreiter dieser Welt, der quasi auf einem toten Gaul und selber halbtot ins Ziel sinkt.
Ich habe schon erkannt, dass Autoren wie Michael Chabon oder Robert Stone große Autoren sind. Ich habe auch mal was von Harold Brodkey übersetzen dürfen, das fand ich genial. Dennoch, im Versuch, es ihnen nachzutun, kam ich mir oft vor wie einer vom Publikum auf die Bühne Gezerrter beim Limbotanzen.
Zwischenfrage Kriminetz: Und wie haben Sie sich den Autoren angenähert? Haben Sie zur Einstimmung in Ihre Arbeit die Biografie des Autors, den Sie übersetzten, gelesen?
Denis Scheck: Da ich ja hauptsächlich zeitgenössische Autoren übersetzt habe, gab es in der Regel keine Biografien. Man ist schon gut beraten, für die Übersetzung eine Strategie zu entwickeln. Aber oft ist dies in der Praxis aus zeitlichen Gründen nicht möglich. Man fängt mit dem ersten Satz an und hört mit dem letzten auf und dazwischen arbeitet man eben. Ich habe eine große Spannbreite von Autoren übersetzt, zum Beispiel auch Ruth Rendell. An der ich besonders damals ihr Faible für den Gartenbau und für Pflanzen schätzte. Bei Ruth Rendell blüht immer noch irgendwo eine rare exotische Pflanze. Es war damals so schwer zu recherchieren, Nachmittage verbrachte ich in der Landesbibliothek und ich wurde zum Lieblingskunden meines Gärtners.
Kriminetz: Lesen Sie ein Buch überhaupt noch nur zur reinen Unterhaltung? Oder schaltet sich beim Aufschlagen der ersten Seite gleich ein Kriterienkatalog parallel zum Lesen mit ein?
Denis Scheck: Die Maske, die man sich aufsetzt, verschmilzt mit dem Gesicht. Das heißt, natürlich lege ich meine Identität als Kritiker beim Lesen nicht wirklich ab. Aber andererseits vertraue ich darauf, dass eigentlich meine Identität als Leser überwiegt. Ich lese immer noch zur Entspannung, da bin ich ein naiver Leser. Ich habe nie eine Frustration in diesem Beruf entwickelt, die es mir verbot, das Glück, das ich als Kind empfand, wenn ich abends im Bett las, weiter zu haben. Vielleicht nicht jeden Tag, aber an den meisten Tagen.
Kriminetz: Es gibt jedes Jahr eine wahre Flut von Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt. Wie behalten Sie selbst den Überblick im Bücherdschungel?
Denis Scheck: Indem ich mich nicht blind und taub stelle, für das, was international in der Literaturkritik geleistet wird. Ich schiele sehr auf Reaktionen darauf, wie Bücher in der Originalsprache besprochen werden.
Ich reise sehr viel und umschwirre dabei jeden Zeitungskiosk und schiele in jedes Buchhandelsfenster. Aber letzten Endes ist es das eigene Lesen, das neugierig bleiben. Ich weiß, dass ich Literatur aus gewissen Ländern vorziehe. Ich habe eine große Westprägung, ich weiß, dass ich osteuropäische Literatur viel zu selten lese. Ich versuche ein bisschen dagegen anzugehen, aber letztendlich kann auch kein Tier gegen seine Natur. Ich bin 1964 in der Bundesrepublik geboren und habe natürlich deshalb andere Interessen, als wenn ich 1914 in Danzig zur Welt gekommen wäre.
Kriminetz: Hat sich schon mal ein Autor bei Ihnen persönlich beschwert, weil sein Buch in „Druckfrisch“ mit Kritik bedacht wurde?
Denis Scheck: Ja, und da hat auch jeder Autor das Recht dazu. Solange es nicht die Grenzen der Höflichkeit überschreitet. Wer austeilt, muss auch einstecken können. Aber sagen wir so, wenn Blicke töten könnten, wäre ich längst ein toter Mann.
Kriminetz: Verspüren Sie manchmal tief in Ihrem Innern selbst die Lust, einen Roman zu schreiben?
Denis Scheck: Das sind so Fantasien wie man müsste Klavier spielen können oder so. Ich schreibe Sachbücher und es ist schön, gelegentlich an einem längeren Text zu sitzen. Aber ich bin mit dem Lesen ganz zufrieden und mit meiner literaturkritischen Tätigkeit. Aber man soll nie nie sagen, mal gucken.
Vielen Dank, Denis Scheck, für die Beantwortung der Fragen.
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