Sieben Fragen an Diego Sánchez

Diego Sánchez alias Gert Weihsmann ist der Autor von »Andalusische Sonne«. Der Krimi ist im Gmeiner Verlag erschienen. Foto: © Christof Wagner, Wien

Diego Sánchez ist das Pseudonym von Gert Weihsmann. Der Autor wurde 1961 in Villach geboren und enthüllt in »Andalusische Sonne« sein Faible für mediterrane Lebenskultur - in all ihren schillernden und mitunter auch tödlichen Facetten. Der Krimi ist im Gmeiner Verlag erschienen.

Für Kriminetz hat Diego Sánchez alias Gert Weihsmann sieben Fragen beantwortet.

Kriminetz: Weshalb hast du dich für die Veröffentlichung von »Andalusische Sonne« für ein offenes Pseudonym entschieden und wie kam es zu diesem Namen?

Diego Sánchez: Die Idee kam vom Verlag, konkret von meiner wunderbaren Lektorin Claudia Senghaas. Da ich noch mitten im Finish des ersten Entwurfs war, habe ich mir die Figur des gleichnamigen Nachwuchsfussballers und angehenden Schriftstellers ausgedacht, der vorgibt diesen Krimi zu schreiben - und der selbst »nur« Figur ist: von einem ganz anderen Autor erzählt und gestaltet. Ein Spiel mit Identitäten und Erzählebenen, bis sich der Leser/die Leserin zuletzt selbst ins eigene Leben entlässt.

Diego bedeutet der Weise, Gelehrte - und Sánchez ist in Spanien ein Allerweltsname. Ein schöner Kontrast für einen Amateurfussballer aus der zweiten Andalusischen Liga, der in einem winzigen Zimmer in Triana (einem Arbeiterviertel in Sevilla und gleichzeitig mutmaßlicher Geburtsort des Flamenco) an seinem ersten Krimi schreibt - und dann doch wieder nicht.

Kriminetz: Was spricht dich selbst in Andalusien derart an, dass du es zum Schauplatz deines neuen Krimis gemacht hast?

Diego Sánchez: Dazu ein Zitat, das dem österreichischen Autor Alfred Polgar zugeschrieben wird: »Man kann einen Ort nur einmal sehen - beim nächsten Mal sieht man (nur) sich selbst.« Ich habe Andalusien erst einmal im Juni 24 besucht: Málaga - Gibraltar - Jerez - Sevilla - Córdoba - Granada. Während dieser Reise sind mir wieder die Gedichte von Federico Garcia Lorca (1898 - 1936) bewusst geworden, die ich als junger Mann sehr gemocht habe. Daher auch der Ausgangspunkt mit den drei jungen Wienern Daniel - Julia - Stevie. Mit ihnen taucht der Leser in eine Welt ein, die bizarr und surreal erscheint - und der Surrealismus geht auf drei große spanische Künstler zurück, die entweder in Andalusien geboren wurden (Lorca, Picasso) oder ganz starke Verbindungen dazu hatten (Dalí).

Kriminetz: In deinem Krimi fliegt Daniel, ein junger Österreicher aus bestem Haus, kurz nachdem er sein Abitur mit Auszeichnung bestanden hat, zu seiner Freundin Julia nach Torremolinos. Ist zu reisen etwas, was du auch schon selbst als junger Mann mit Begeisterung gemacht hast?

Diego Sánchez: Ich bin schon relativ früh so oft es ging aus der Enge meiner Kärntner Heimat (in den Siebziger Jahren noch eine richtig ziemlich konservative Hochburg) ausgebrochen - meist nach Italien. Diese kleinen Fluchten haben mich reifer, erfahrener gemacht. Neue Sprachen zu lernen bedeutet auch in andere Kulturen und Identitäten zu schlüpfen - das hat mich immer schon begeistert. Vor allem aber sucht man als junger Erwachsener seinen Platz im Leben, fragt nach dem Sinn der eigenen Existenz, sucht nach Auswegen, nach Erkenntnis, von mir aus nach Erleuchtung - bis man ein paar Jahre später wieder alles verdrängt - und erwachsen geworden ist: ohne Illusionen, ohne die großen Träume und Erwartungen von früher. Das wollte ich auch in den Figuren von Daniel und Stevie abbilden, die auch als zwei Versionen einer Existenz gelesen werden können, eine hellere und eine dunklere Variante - wobei nur die letztere überlebt.

Kriminetz: Der Täter in deinem Krimi scheint Opfer unterschiedlichen Alters auszusuchen, um aus den Armen und Beinen, dem Torso und dem Kopf der Toten eine bizarre Gestalt zu erschaffen. Das klingt ein wenig nach einer Art spanischer Frankenstein?

Diego Sánchez: Eigentlich habe ich die Idee aus einem amerikanischen Thriller adaptiert - aus »Resurrection« von und mit Christopher Lambert. Nur dass ich anstelle der dort verwendeten Bibelstellen Gedichte von Federico Garcia Lorca als Ausgangspunkt für die begangenen Taten verwendet habe: eine ähnlich klare, sublime Sprache ohne die biblischen Überhöhungen. Auf den sichergestellten Leichenteilen werden eingravierte Wörter und Ziffern entdeckt, die auf eines der schönsten Lorca-Gedichte verweisen: Er starb im Morgengrauen. Was auch der Titel eines Krimis sein könnte. Federico Garcia Lorca war homosexuell - genau wie die Opfer aus dem Nogalera-Viertel in Torremolinos. Surrealismus, Queerness, Overtourism - so schließt sich der Kreis aus Überhöhungen und fragilen Identitäten.

Kriminetz: Was würdest du selbst als Botschaft deines Romanes bezeichnen?

Diego Sánchez: Ein Krimi klärt auf. Sieht hinter die Kulissen. Enthüllt das bisher Unsagbare. Weist auf die Abgründe und Risse gerade in einer so entwickelten Gesellschaft wie unserer hin. Eigentlich sollte es uns allen wunderbar gehen: viele von uns haben sichere Einkommen, ein schönes Haus oder eine nette Wohnung, können mehrmals pro Jahr in den Urlaub fahren - die Mehrheit von uns lebt in sicheren, privilegierten Verhältnissen. Und trotzdem sind viele von uns todunglücklich, von tausenden Ängsten zerfressen, von ihren persönlichen Dämonen bedroht. Gerade unter den sogenannten reichen Menschen gibt es die größten Ängste und Depressionen, die oft mit Tabletten und Alkohol weggespült werden. Unter der schönen, erfolgreichen Oberfläche klaffen Abgründe, die ich in all meinen Krimis aufzuzeigen versuche.

Vielleicht lautet meine versteckte Botschaft so: wir sollten mehr aufeinander zugehen und uns weniger in narzisstischen Erfolgsfantasien verirren. Vielleicht würde dann unsere Welt etwas sinnvoller, ressourcenfreundlicher, empathischer werden. Daniel, Julia und Stevie sind in ihrem oberflächlichen Reichtum traurig, zynisch und isoliert. Dabei sollten sie doch glücklich sein. Warum sind wir es nicht? Was läuft in unserer Gesellschaft schief? Warum ist alles so brutal, zynisch, moralisch fragwürdig und gewalttätig geworden - als Autor habe ich vor allem Fragen parat: eine möglicherweise unbefriedigende, aber ehrliche Antwort.

Kriminetz: Wie zauberst du dich am Schreibtisch innerlich von Andalusien nach Wien, wo du lebst?

Diego Sánchez: Es ist der mediterrane Lebensstil, der mich anzieht. Die eigene Leidenschaft ist dafür Feuer genug, ich selbst bin ziemlich ungeduldig und leicht cholerisch, kann nie mehr als einige Sekunden irgendwo anstehen und rede oft viel zu viel. Andererseits versinke ich oft in tiefstem, existenzialistischem Schweigen.

Dazu kommt ein eigenartiger Hang zu Übertourismus-Orten wie Ischgl oder Lech. Oder eben Torremolinos, als eine mediterrane Gay-Version davon. Diese Orte sind Zerrspiegel unserer erodierenden Gesellschaft. Und damit setze ich mich intensiv auseinander. Auch aus einer Distanz von 2500 Kilometern.

Der Surrealismus als Lebenshaltung gegen überkommene traditionelle Normen und ganz besonders Federico Garcia Lorca faszinieren mich ebenso sehr. Ein Gedicht dieses spanischen Lyrikers ist wie ein Kurzaufenthalt in Andalusien. Und ein Gläschen Sherry - möglichst Oloroso wie ihn Comisario Pedro Jiménez (sein Name ist der einer Sherry Rebsorte) bevorzugt - hilft auch dabei…

Kriminetz: Darf ich annehmen, du kannst sicher Flamenco tanzen?

Diego Sánchez: Leider bin ich ein schlechter Tänzer und beherrsche nicht einmal - eine Schande für jemanden, der seit 40 Jahren in Wien lebt - den Linkswalzer. Aber ich schaue guten Tänzern sehr gerne zu. Besonders bei Flamenco-Aufführungen, wo es um das Betören, Verführen und Erobern geht, in wilden Rhythmen, lauten Gesängen und minimalistischen Gitarrenläufen, während draußen ein blutroter Mond über einer kargen Landschaft leuchtet - und irgendwo vielleicht noch ein Wolf heult. Das ist der Süden - der mich seit Jahrzehnten fasziniert und erleuchtet. Ich hoffe, die Leser:innen können diese Leidenschaft mit mir teilen.

Vielen Dank für die klugen Fragen, liebe Claudia Schmid.

Selfie mit Gert Weihsmann alias Diego Sánchez und Claudia Schmid bei der Criminale des Syndikats in Schwetzingen.