Sieben Fragen an Dietrich Brüggemann

Das Foto zeigt den Regisseur, Drehbuchautor und Musiker Dietrich Brüggemann. Foto: © Jürgen Schmid, Kriminetz

Regisseur, Drehbuchautor und Musiker Dietrich Brüggemann wurde in München geboren und wohnte mit seinen Eltern einige Jahre in Südafrika. Von 2000 bis 2006 studierte er Filmregie an der Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam und schloss sein Studium mit Diplom ab.
Auf der Berlinale 2006 wurde sein erster Kinospielfilm Neun Szenen uraufgeführt. Sein zweiter Spielfilm Renn, wenn du kannst eröffnete die Perspektive deutsches Kino der Berlinale 2010. Im Jahr 2012 erschien seine Filmkomödie 3 Zimmer/Küche/Bad. Für den Spielfilm Kreuzweg erhielt er gemeinsam mit seiner Schwester Anna Brüggemann den Silbernen Bären für das beste Drehbuch bei der Berlinale 2014. Neben anderen Preisen erhielt er den Publikumspreis beim Berlin & Beyond Film Festival in San Francisco USA und zweimal den Publikumspreis beim Festival des deutschen Films in Ludwigshafen.
Neben seiner Regiearbeit an Filmen dreht Dietrich Brüggemann Musikvideos, u. a. für Judith Holofernes, Thees Uhlmann und das Plattenlabel Grand Hotel van Cleef, und arbeitete bis 2012 als Redakteur bei der Filmzeitschrift Schnitt. Dietrich Brüggemann lebt in Berlin-Kreuzberg.

Für Kriminetz beantwortete Dietrich Brüggemann sieben Fragen.

Kriminetz: Haben Sie selbst ein Auto oder fahren Sie hauptsächlich mit dem Fahrrad und mit dem Zug?

Dietrich Brüggemann: Ich habe ein wunderschönes, stets vom Zerfall bedrohtes, 30 Jahre altes Auto, das aber nur genutzt wird, um gelegentlich die Stadt zu verlassen und hinauszufahren in die weite Welt. In der Stadt fahre ich Fahrrad, und zwar immer, Wetter egal. Und Zugfahren ist auch sehr schön.

Kriminetz: Der Stuttgarter TATORT Stau hat hauptsächlich einen Handlungsort, neben dem Schauplatz des Unfalls und der Wohnung, von der aus der kleine Zeuge zugeschaut hat. Wie kamen Sie auf die Idee, die Kommissare im Stau ermitteln zu lassen?

Dietrich Brüggemann: Die kam einfach so. Das Wort „Einfall“ beschreibt schon sehr exakt, was da passiert: Etwas fällt einem ein. Rums, da ist es. Den Stuttgarter Stau kannte ich aber aus eigener Erfahrung, ich stand mal zwei Stunden an genau dieser Stelle. Sonst wäre mir der Einfall wohl nicht eingefallen.

Kriminetz: Zu Stau haben Sie auch die Filmmusik selbst gemacht. Haben Sie die beim Dreh bereits „im Ohr“ oder arbeiten Sie die später komplett ein?

Dietrich Brüggemann: Die kam später. Beim Dreh wußte ich nur: Hier kommt dann irgendwas schönes hin. Der Film geht ja sehr sparsam mit Musik um, nur wenige Stellen brauchen überhaupt welche. Aber daß es Klarinettensoli werden sollte, war schon früh beschlossene Sache.

Kriminetz: Sie haben grade einen TATORT für den HR abgedreht, mit dem Arbeitstitel „Murot und das Murmeltier“ mit Ulrich Tukur. Der HR wagt mit dem Tatortformat Ungewöhnliches, wie auch auf dem Filmfestival wieder mit „Fürchte dich“ zu sehen war. Ich nehme an, Ihr Murot-TATORT ist auch ungewöhnlich geworden?

Dietrich Brüggemann: Kommissar Murot wacht morgens auf, wird zu einem Einsatz gerufen, fährt hin und wird erschossen. Dann wacht er wieder auf, es ist derselbe Tag, er wird wieder zu demselben Einsatz gerufen und wieder erschossen. Und so weiter, immer wieder. Er erlebt zwölfmal denselben Tag und muß herausfinden, wie er da herauskommt. Das ist als Handlung für einen „Tatort“ sicher ungewöhnlich, aber es handelt eigentlich vom allergewöhnlichsten, das wir kennen: Alltag. Wir machen morgens auf, alles ist wie immer, wir gehen zur Arbeit, da sind dieselben Leute wie jeden Tage, sagen dieselben Sachen und machen dieselben Dinge. Jeden Tag aufs Neue. Immer exakt dasselbe. Und wir kommen nicht raus aus der Wiederholungsschleife.

Kriminetz: Auf Ihrer Website führen Sie einen Blog. Der Satz, Filme zu schauen wäre eine Art, die Zeit zu verdichten, fiel mir dabei auf. Lebt man also quasi irgendwie länger oder hat mehr von seiner Lebenszeit, wenn man Filme schaut?

Dietrich Brüggemann: Idealerweise ja! Ein guter Film verdichtet die Zeit. Hundert Leute arbeiten monatelang, feilen an jedem Detail, und am Ende wird das ganze auf anderthalb oder zwei Stunden zusammengerafft. Zwei Stunden, in denen man eine Erlebnisdichte unterbringt, die man sonst in zwei Stunden realer Zeit niemals hätte. Man schaut in ein anderes Leben, in einen anderen Teil der Welt, in andere Köpfe hinein. Oder man wirft einen Blick auf die eigene Welt, den man sonst so nicht hätte. Ich glaube, Film hat unsere ganze Wahrnehmung in den letzten 120 Jahren stärker verändert, als wir es überhaupt ahnen.

Kriminetz: Mit den 43Characters, denen neben Ihnen Lars Künstler, Hannes Gwisdek und Mando angehören, macht ihr Musik zu Stummfilmen. Werden eure Auftritte vorher geprobt oder spielt ihr spontan zu den Bildern des Films?

Dietrich Brüggemann: Wir proben so gut wie gar nicht. Wir konzipieren unsere Programme, indem wir die Filme zusammenstellen und einen groben Ablauf überlegen, aber der Rest ist Improvisation. Und das funktioniert jedesmal so gut, daß es mich selbst immer wieder erstaunt. Und wenn wir Youtube-Stummfilme auf Publikumszuruf spielen, können wir ohnehin nur spontan improvisieren.

Kriminetz: Auf der Ludwigshafener Parkinsel sprachen Sie zum Teil auch schwäbisch. Könnten Sie nicht auch selbst einspringen, wenn es mal wieder schwierig ist, einen schwäbisch sprechenden Schauspieler für den Stuttgarter TATORT zu finden?

Dietrich Brüggemann: Vermutlich könnte ich. 5 Jahre auf Schulhöfen in Stuttgart und Sindelfingen sollten dafür ausreichen. Aber ich lasse es trotzdem lieber und hole mir Leute, die es besser können als ich.

Kriminetz: Vielen Dank, Dietrich Brüggemann, für die Beantwortung der sieben Fragen.

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