Gabriele Haefs ist als Übersetzerin tätig. Ihr Name steht in Büchern meist „im Kleingedruckten“. Dabei ermöglichen Menschen ihres Berufsstandes den meisten Lesern erst den Zugang zu fremdsprachlicher Literatur. Ihr sprachliches Feingefühl trägt entschieden dazu bei, ob das übersetzte Werk Anklang findet. Gabriele Haefs studierte in Bonn und Hamburg Volkskunde und Sprachwissenschaft. Daran schloss sie eine Promotion an. Sie übersetzt seit 25 Jahren unter anderem aus dem Norwegischen, Schwedischen, Dänischen, Englischen, Niederländischen und Gälischen. Darunter befinden sich Werke von Jostein Gaarder, Håkan Nesser und Anne Holt.
Für ihr Schaffen erhielt sie neben anderen bereits den Gustav- Heinemann-Friedenspreis, den Deutschen Jugendliteraturpreis und den Akademika-Preis der Universität Oslo. 2008 wurde sie mit dem Sonderpreis des Deutschen Jugendbuchpreises für das Gesamtwerk ausgezeichnet. Sie ist aber auch als Herausgeberin mehrerer Anthologien skandinavischer Schriftsteller in Erscheinung getreten.
Für Kriminetz beantwortete Gabriele Haefs sieben Fragen.
Kriminetz: Ein literarisches Werk zu übersetzen ist ein eigenständiger kreativer Akt. Um die Atmosphäre eines Romanes einzufangen und sie in eine andere Sprache zu übertragen braucht es sehr viel Gespür. Wie lernt man so etwas?
Gabriele Haefs: Weiß ich auch nicht. Manchmal glaube ich, man wird damit geboren, kann das sein? Keine Ahnung. Man lernt natürlich die Sprachen und lernt, wie sie aufgebaut sind und wie sie sich entwickelt haben, und natürlich muß man dabei Übersetzungsübungen machen, aber ich glaube auch, ÜbersetzerInnen waren die Kinder, die in der Schule immer Streit mit den Lehrern anfingen, weil die wollten, daß man wortwörtlich übersetzte, um zu zeigen, daß man alles verstanden hatte, während wir das, was dabei rauskam, nur schrecklich fanden und versuchten, richtiges Deutsch daraus zu machen, was wir aber nicht durften!
Kriminetz: Sie übersetzen auch Krimis. Woher kommt die Zuneigung zu diesem Genre?
Gabriele Haefs: Die ist eigentlich gar nicht vorhanden, nicht zum Genre. Es gibt so unendlich viele grauenhaft schlechte Kriminalromane, und ganz ehrlich, wenn eine Romanfigur von mehreren Schüssen getroffen wird, in Kopf und Unterleib, dann lebendig begraben, sich dann aus dem Grab befreit und ihrerseits die Angreifer verfolgt und erschießt, und ich das auch noch ernstnehmen soll, dann fühle ich mich verarscht (jedes andere Wort wäre hier fehl am Platze). Aber eine gute Geschichte mit überzeugenden Personen und Lokal- und/oder Zeitkolorit, die liebe ich, da ist das Genre total egal, und es gibt eben auch wunderbare Krimis! Aber also, das erste Buch, das ich ganz gelesen habe, war „Onkel Toms Hütte“ von Harriet Beecher Stowe, das erste, das ich mir selbst gekauft habe, „Das Totenschiff“ von B. Traven, mein absolutes Lieblingsbuch über alle Genregrenzen hinaus ist „Wind im Mond“ von Eric Linklater, die Krimis kamen oft eher durch Zufall dazu. Aber wie gesagt, es gibt wunderbare Krimis – der Schwede Leif GW Persson z.B. ist einfach genial, finde ich.
Kriminetz: Wie darf ich mir Ihre Arbeit vorstellen: Arbeiten Sie und Ihre Kollegen völlig eigenständig oder gibt es wie bei Schriftstellern am „Ende des Manuskriptes“ jemand, der nochmals drüber liest?
Gabriele Haefs: Klar gibt es jemanden, der alles noch mal liest, beim Verlag eben, und die Lektoren oder Lektorinnen fragen dann auch nach, wenn etwas unklar ist, oder sie finden, sehen wir uns jetzt mal die skandinavischen Krimis an, daß irgendetwas landestypisches, was mir gar nicht mehr auffällt, doch erklärt werden müßte, Namen von Politikern, oder die bizarren Alkoholgesetze oder so. Manchmal läßt sich das nicht lösen, kürzlich meinte eine Lektorin, daß es doch Unsinn ist, wenn in einem norwegischen Krimi jemand einen Paß braucht, um nach Spanien zu reisen, „da reicht doch der Personalausweis“, sie wußte nicht, daß es in vielen Ländern, eben auch in Norwegen, keine allgemeine Ausweispflicht gibt und deshalb auch keine Personalausweise. Was macht man dann? Da gibt es keine Lösung, die immer funktioniert, man muß jeden Fall für sich lösen. In dem Fall blieb dann der Paß stehen, auch in der Hoffnung, daß die Leute, die das Buch dann lesen, vielleicht besser informiert sind.
Kriminetz: Sofies Welt ist vermutlich das in Deutschland bekannteste Buch, welches Sie ins Deutsche übertragen haben. Haben Sie Jostein Gaarder im Rahmen Ihrer Arbeit persönlich getroffen?
Gabriele Haefs: Ja, sicher, häufig sogar, immer, wenn er zu Lesungen in Deutschland war, oder wenn ich in Norwegen bin. Ich kannte ihn aber vorher schon, hab ihn kennengelernt, als er gerade das „Kartengeheimnis“ herausgebracht hatte, das in Norwegen vor „Sofies Welt“ erschienen ist. Aber ganz allgemein, ich habe eigentlich immer Kontakt zu den Leuten, die ich übersetze, habe immer viele Fragen, wie dies und jenes zu verstehen ist, ob ich einen Druckfehler als solchen erkannt habe und richtig gedeutet, oder, wenn es mehrere Möglichkeiten gibt, eine bestimmte Stelle zu übersetzen, welche wohl dem, was der Autor oder die Autorin sich gedacht haben, am nächsten kommt. Oder ich sehe, ich verstehe etwas nicht, und frage lieber gleich; ich sehe, daß etwas offenbar ein Zitat ist, weiß aber nicht, woher es kommt, dann frage ich danach, Fragen gibt es immer, und fast alle freuen sich, wenn sie auf diese Weise in die Übersetzungsarbeit einbezogen werden. In all den Jahren ist es mir nur einmal passiert, daß eine Autorin pikiert reagierte, sie fand meine Fragen unsinnig und antwortete, wenn ich das nicht wüßte, sollte ich lieber gar nicht erst übersetzen, und wieso ich denn nicht zu dem und dem Fragen hätte, das sei doch wirklich schwierig. Die angeblich schwierigen Stellen habe ich dann mehreren Kolleginnen vorgelegt, keine fand daran irgendein Problem. Das aber, wie gesagt, ist der absolute Sonderfall. Es kann richtig lustig werden, in einer Erzählung des irischen Autors Mick Fitzgerald zum Beispiel mußte ein Berg benannt werden, der Autor kann kein Deutsch, ist aber auch Schauspieler und hat deshalb ein feines Gehör für Klang – und ich habe ihm meine Vorschläge vorgelesen und ihn dann nachsprechen lassen. Er sagte jeden dreimal und entschied sich dann, und so entstand der „Berg Fliegenschiß.“ (Das ist in dem Buch: Session, von Mick Fitzgerald, erschienen im Songdog Verlag, Wien).
Kriminetz: Haben Sie eine Wunschautorin oder einen Wunschautor, den Sie gerne deutschsprachigen Lesern zugänglich machen würden?
Gabriele Haefs: Ach, jede Menge. Den irischen Autor Micheál Ó Conghaile zum Beispiel, der vor allem Kurzgeschichten und Theaterstücke schreibt, oder, wenn es um Krimis geht, Danny Carnahan aus Kalifornien, der bisher drei durch und durch gute Krimis veröffentlicht hat, in denen der Geiger Niall Sweeney ermittelt. Oder den Norweger Knut Lindh, einen der einwandfrei besten Krimiautoren in den skandinavischen Ländern, der aber, wie übrigens noch etliche andere, von den Verlagen hierzulande einfach übersehen wird. Oder Jon Michelet, Norwegens unumstritten besten und einflußreichsten Krimiautor, der allerdings im Moment gewaltig dicke (600 Seiten pro Band) Seefahrtsromane schreibt und damit in Norwegen alle Verkaufsrekorde bricht.
Kriminetz: Haben Sie je Lust verspürt, selbst einen Roman zu schreiben?
Gabriele Haefs: Nein, ehrlich gesagt, nicht. Ich will es aber auch nicht ausschließen, also, wenn ich morgen mit einer guten Romanidee aufwache, werde ich alles hinschmeißen und schreiben. Aber beim Übersetzen habe ich eben Kontakt zu so vielen Autoren und Autorinnen, das würde mir doch sehr fehlen. Ich habe gerade eine Sammlung von Kurzgeschichten zusammengestellt: „Narrenflieger“, soeben erschienen in der Edition Narrenflug in Kiel, da sind übrigens auch Kriminalgeschichten vertreten, z.B. von der Dänin Ditte Birkemose – solche Zusammenarbeit mit vielen Leuten finde ich einfach wunderbar, ich weiß nicht, ob eine Romanidee, und wäre sie noch so gut, damit mithalten könnte.
Kriminetz: Sie haben gemeinsam mit Anne Helene Bubenzer einen Reiseführer zu Oslo veröffentlicht. Was empfehlen Sie bei einem Oslo-Besuch unbedingt?
Gabriele Haefs: Die Nationalgalerie in der Universitetsgate 13, da sind all die Bilder der Norwegischen Künstler und Künstlerinnen zu sehen, die hierzulande nie richtig wahrgenommen worden sind, weil alle so auf Munch fixiert waren und sind. Und man sollte sich beeilen, das Museum soll verlegt werden, noch streiten sich alle um den neuen Standort, aber wo der auch sein wird, das Museum wird dann nicht mehr so leicht zu erreichen sein wie jetzt. Man sollte dann auch zum Dach hochschauen, darauf befinden sich zwei riesige Vogelstatuen, zwei Greifen, mit denen es eine ganz besondere Bewandtnis hat (nachzulesen in unserem Oslobuch). Und egal, wie man zu Ibsen steht, das Ibsenmuseum in der Arbinsgate 1 ist ebenfalls einen Besuch wert – allein schon, weil man dort die Geschichte von Ibsens Badewanne erfährt und die Badewanne dann auch gleich bewundern kann.
Vielen Dank, Gabriele Haefs, für die Beantwortung der Fragen.