Der Regisseur, Drehbuchautor und Filmproduzent Hans-Christian Schmid wurde im August 1965 in Altötting geboren. Sein Studium an der Hochschule für Fernsehen und Film München Dokumentarfilm schloss er im Jahr 1992 ab und absolvierte im Anschluss ein Drehbuchstudium an der USC in Los Angeles.
Die Liste seiner Filme ist lang und umfasst neben dem mehrfach ausgezeichneten Klassiker Nach Fünf im Urwald Filme wie den ebenfalls mit mehreren Preisen bedachten 23 – Nichts ist so wie es scheint nach den wahren Begebenheiten des sogenannten KGB-Hacks, sowie die wiederum vielfach ausgezeichnete Serie Das Verschwinden. Auch das Drehbuch zu einem „Polizeiruf 110“ geht auf sein Konto, mit dem Titel Der Fall Sikorska. Preise hat Hans-Christian Schmid so viele bekommen, dass ein Kaminsims alleine nicht ausreicht, um sie alle aufzustellen.
Hans-Christian Schmid war als Gastdozent an der HFF München, der Filmakademie Ludwigsburg, der Kunsthochschule für Medien in Köln und der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) tätig. 2003 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Deutschen Filmakademie. Er ist außerdem Mitglied der Akademie der Künste.
Beim 19. Festival des deutschen Films in Ludwigshafen wurde sein Film Wir sind dann wohl die Angehörigen, nach dem gleichnamigen Roman von Johann Scheerer gezeigt. Drehbuchautor (gemeinsam mit Michael Gutmann) und Regisseur Hans-Christian Schmid war zur Vorführung angereist.
Für Kriminetz beantwortete Hans-Christian Schmid sieben Fragen.
Kriminetz: Mit „Wir sind dann wohl die Angehörigen“ haben Sie einen wahren Fall nach einer Romanvorlage des Sohnes des Entführungsopfers, Johann Scheerer, verfilmt. Hat es einen Unterschied bei der Arbeit gemacht, „True Crime“ zu verfilmen anstelle eines fiktionalen Stoffes?
Hans-Christian Schmid: Ja, die Arbeit unterscheidet sich deutlich, denn wir hatten immer vor Augen, ob die Szenen, die wir schreiben, dem, was tatsächlich passiert ist, nahekommen. Wir konnten nur in begrenztem Umfang Szenen oder Dialoge erfinden, es war uns wichtig, dass es so, wie wir es zeigen, tatsächlich hätte sein können. Johann Scheerers Buch war da natürlich unsere wichtigste Quelle, aber bei den Recherchen und unseren Gesprächen mit den einzelnen Personen haben wir bemerkt, dass sie unterschiedliche Erinnerungen an die Zeit der Entführung hatten. Wir haben also versucht, dem Buch, den Erzählungen der Zeitzeugen und der Dramaturgie einer Kinoerzählung gerecht zu werden. Gleichzeitig haben uns viele Aspekte, die für "True Crime" wichtig sind, nicht interessiert. Wir zeigen keinen Ermittler, arbeiten nicht mit Thriller-Elementen – die Spannung baut sich aus der Dynamik zwischen den Figuren auf.
Kriminetz: Gemeinsam mit Michael Gutmann erarbeiteten Sie das Drehbuch, führten Regie und waren auch noch Produzent bei diesem Film. Weshalb haben Sie sich dieses Themas angenommen?
Hans-Christian Schmid: Für mich war es der besondere Blick des 13jährigen Jungen auf dieses Ereignis; so ist über eine Entführung noch nie erzählt worden. Ich interessiere mich in erster Linie für Familiengeschichten und ich sah die Möglichkeit, etwas über eine Familie in einem Ausnahmezustand zu erzählen. Es ging Michael Gutmann und mir nicht so sehr um die Thriller-Aspekte, sondern darum, psychologisch stimmig von den Abläufen während dieser 33 Tage zu erzählen.
Kriminetz: Wie eng fand ein Austausch mit der Familie statt? Es gibt sehr berührende Szenen im Film, die auch vor Zusammenbrüchen der Beteiligten nicht Halt machten. Inwieweit waren die Menschen, deren Emotionen dargestellt wurden, in die Arbeit involviert?
Hans-Christian Schmid: Alle Personen, die während der Entführung im Haus waren, waren in die Drehbuchentwicklung involviert. Ich fühlte mich aber nie eingeengt oder kontrolliert, sondern hatte immer den Eindruck, sie haben Vertrauen zu uns, weil wir sorgfältig recherchieren. Alle hatten auch Verständnis für die notwendige dramaturgische Bearbeitung. So ist zwar Frau Scheerer im Polizeipräsidium nie gegen eine Glastür gelaufen, sie sagte aber, die Szene fühle sich für sie richtig an. Wenn man eine Zeitspanne von 33 Tagen in zwei Stunden Film erzählen möchte, geht das nicht ohne Kürzungen oder andere Eingriffe.
Kriminetz: Es gab beim ersten Übergabeversuch des Lösegeldes an die Entführer von Jan Philipp Reemtsma eklatante Fehler bei der Polizei, die zu einer Verlängerung der für ihn und seiner Familie unerträglich schlimmen Zeit und letztlich dazu führten, dass seine Ehefrau die Übergabe der auf 30 Millionen D-Mark erhöhten Lösegeldsumme selbst in die Hand nahm. Inwieweit sprechen die damals beteiligten Beamten heute darüber?
Hans-Christian Schmid: Die Angehörigenbetreuer haben uns davon erzählt, auch mit dem damaligen Einsatzleiter haben wir gesprochen. Sie leugnen das im Film gezeigte Vorgehen der Polizei nicht, aber je nach Sichtweise kann man auch zu dem Standpunkt kommen, dass es notwendig war, die Übergaben zu verzögern, damit die Polizeikräfte sich am Übergabeort in Position bringen konnten. Nur so, sagt die Einsatzleitung, habe man eine Chance gehabt, nah an die Entführer ranzukommen.
Kriminetz: Mit dem Ort Altötting, wo Sie aufgewachsen sind, ist die dortige Wallfahrtskapelle untrennbar verknüpft. War Ihr Aufwachsen vom Katholizismus geprägt? Im niederbayerischen Passau, wo ich in den 60ern aufwuchs, war man entweder angepasst an das damals sehr konservative Umfeld, oder engagierte sich links. Wie ging es Ihnen in einem vermutlich ähnlichen Umfeld?
Hans-Christian Schmid: Mein Aufwachsen war nicht so sehr vom Katholizismus geprägt, wie man vielleicht denken könnte. Meine Großeltern waren zwar recht religiös, aber bereits in der Generation meiner Eltern hatte sich da ein Wandel vollzogen. Ich bin, was meine Familie angeht, sehr liberal aufgewachsen. Aber sich zu positionieren war für mich wichtig, vor allem im schulischen Umfeld. Anfang der 80er war ich Mitherausgeber unserer Schülerzeitung und in der Anti-AKW-Bewegung aktiv. Es stimmt, wir haben uns damals deutlich positioniert, das war wichtig. Es gab die Anhänger der Jungen Union und deren Gegner, dazwischen kaum etwas.
Kriminetz: „Nach Fünf im Urwald“ ist Ihr Kinodebüt aus dem Jahr 1995. Sie schrieben das Buch und führten Regie bei einem meiner Lieblingsfilme. War das so ein Nachklang an genaues Wahrnehmen der Diskrepanz zwischen vorgegaukeltem Schein und tatsächlichen Sein in einem konservativen Kleinstadtmilieu?
Hans-Christian Schmid: Ich wollte jedenfalls eine Geschichte über Menschen erzählen, von denen ich weiß, wie sie ticken. Es lag also nahe, auf Erfahrungen aus meiner Zeit in Altötting zurückzugreifen. Es gab die Figuren aus "Nach fünf im Urwald" nicht eins zu eins dort, aber die Konflikte, die Anna mit ihren Eltern austrägt, Partys im Keller des Elternhauses, Ausflüge nach München, all das gab es. Bis hin zu meiner Großmutter, die mir einen geweihten Schutzengel für den Rückspiegel meines ersten Autos spendiert hat, so wie das bei der Figur, die Thomas Schmauser spielt, zu sehen ist.
Kriminetz: Sie wohnen seit vielen Jahren in Berlin. Vermissen Sie in Ihrem Alltag etwas aus Bayern?
Hans-Christian Schmid: Manchmal vermisse ich in der Großstadt das, was das Leben auf dem Land oder in der Kleinstadt auszeichnet: Die Nähe zur Natur, zu den Bergen oder einfach nur die Biergärten in Bayern. Aber klar: überall da, wo man nicht ist, ist es schöner.
Kriminetz: Vielen Dank, Hans-Christian Schmid, für die Beantwortung der sieben Fragen.