Sieben Fragen an Ilija Trojanow

Autor: Ilija Trojanow in London, April 2015. Foto: © Thomas Dorn.

Ilija Trojanow, geboren 1965 in Sofia, floh mit seiner Familie 1971 über Jugoslawien und Italien nach Deutschland, wo sie politisches Asyl erhielt. 1972 zog die Familie weiter nach Kenia. Unterbrochen von einem vierjährigen Deutschlandaufenthalt lebte Ilija Trojanow bis 1984 in Nairobi. Danach folgte ein Aufenthalt in Paris. Von 1984 bis 1989 studierte Trojanow Rechtswissenschaften und Ethnologie in München, wo er den Kyrill & Method Verlag und den Marino Verlag gründete. 1998 zog Trojanow nach Mumbai, 2003 nach Kapstadt, heute lebt er, wenn er nicht reist, in Wien. Seine bekannten Romane wie z.B. Die Welt ist groß und Rettung lauert überall, Der Weltensammler und Eistau sowie seine Reisereportagen wie An den inneren Ufern Indiens sind gefeierte Bestseller.

Ilija Trojanow wurde mit vielen Literaturpreisen ausgezeichnet, darunter dem Bertelsmann-Literaturprei beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 1995, dem Marburger Literaturpreis 1996, dem Adalbert-von-Chamisso-Preis 2000, dem Berliner Literaturpreis 2007, dem Mainzer Stadtschreiberpreis 2007, dem Preis der Literaturhäuser (2009), dem Würth-Preis für Europäische Literatur (2010), dem Carl-Amery-Literaturpreis (2011) und dem Heinrich-Böll-Preis (2017). 2018 erhielt er den Usedomer Literaturpreis, den Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln sowie den Vilenica International Literary Award.

Die Bücher des Schriftstellers wurden in 31 Sprachen, u. a. ins Arabische, Bulgarische, Chinesische, Dänische, Englische, Farsi, Französische, Italienische, Japanische, Katalanische, Koreanische, Kroatische, Niederländische, Polnische, Portugiesische, Rumänische, Russische, Spanische, Tschechische und Türkische und Ungarische übersetzt.

Zuletzt erschienen bei S. Fischer sein großer Roman Macht und Widerstand, sein Sachbuch-Bestseller Meine Olympiade: Ein Amateur, vier Jahre, 80 Disziplinen sowie der literarisch-politische Essay Nach der Flucht. Mit Doppelte Spur liegt nun ein Krimi aus seiner Feder vor, wobei der investigative Journalist Ilija innerhalb weniger Minuten von zwei Whistleblowern des amerikanischen und des russischen Geheimdienstes kontaktiert wird.

Für Kriminetz hat Ilija Trojanow sieben Fragen beantwortet.

Kriminetz: Der investigative Journalist, der in ›Doppelte Spur‹ zwischen die Fronten des amerikanischen und russischen Geheimdienstes gerät trägt wie der Autor den Vornamen Ilija. Bestehen weitere Parallelen zur Realität?

Ilija Trojanow: Alle Ähnlichkeiten mit der Realität sind beabsichtigt, sogar all die Namen der Politiker und Oligarchen, der Mafiosi und Rechtsanwälte. Auch wenn Fakten vorkommen, kann es trotzdem ein Roman sein. Auch wenn vieles wahr scheint und manches wahrscheinlich, es kann trotzdem ein Roman sein. Denn die entscheidende Frage ist: Wer kuratiert die Fakten, wer macht daraus was für eine Erzählung? Wer von uns hat schon Zeit, die im Internet einzusehenden Teile der Panama Papers durchzuarbeiten? Wer uns hat sich nicht schon einmal im Labyrinth der Unterlagen und Details verlaufen. Und über allem schwebt drohend die Frage: Wer liefert die Fakten? Mit was für Absichten? Und wie können wir diese Absichten herausfiltern?

Kriminetz: Gab es einen Auslöser für das Entstehen von ›Doppelte Spur‹?

Ilija Trojanow: Ich habe während des US-amerikanischen Wahlkamps 2016 in einem Ivy League College in New England unterrichtet und mit wachsender morbider Faszination die öffentliche Reaktion auf das Phänomen Trump beobachtet. Seine widerlichen Sprüche und Ansichten fanden enorme kritische Beachtung, viel weniger die vielen Hinweise drauf, dass er ein Leben lang ein Wirtschaftskrimineller war, und wie die meisten dieser „white collar criminals“ nie belangt wurde (nur 0,1 Prozent der internationalen Geldwäsche wird z.B. geahndet). Er repräsentierte die Oligarchisierung der globalisierten Welt auf eine operettenhafte Weise, dabei sind die Entwicklungen todernst. Gleichzeit erblinden wir im grellen Wechsellicht der unzähligen und allgegenwärtigen Vermutungen und Spekulationen und Erfindungen und Zuschreibungen. Irrungen und Wirkungen allenthalben, der Stoff, aus dem die Albträume und die Thriller sind.

Kriminetz: Fake – Wahrheit. Es ist schwierig zu unterscheiden, ob Informationen objektiv wahr oder nicht wahr sind. Benötigen wir deiner Ansicht nach Schutzmechanismen vor Fakes?

Ilija Trojanow: Wir benötigen Techniken der intellektuellen Selbstverteidigung. Das thematisiert der Roman, die beiden investigativen Journalisten im Mittelpunkt des Geschehens müssen sich gegen all die Instrumentalisierungen erwehren, sie müssen sich im Wust des ihnen zugespielten Materials orientieren. Das ist alles andere als leichte Arbeit. Aber für den gesunden Verstand einer Gesellschaft unabdingbar.

Kriminetz: In einer Kolumne der taz hast du kürzlich eine Neubewertung der Erinnerungskultur gefordert und provisorische Denkmäler vorgeschlagen, die ersetzbar sind. Welchen HeldInnen der Gegenwart wäre ein solches Denkmal zu setzen?

Ilija Trojanow: Die Idee ist ja gerade, dass niemand darüber bestimmt, sondern dass wir einen demokratischen Diskurs eröffnen über die Frage, was wir wirklich bewundern (bestimmt nicht Adelige auf Pferden). Ich fände eine Würdigung von WhistleblowerInnen angebracht, ebenso etwa der Aktivistinnen vom Chaos Computer Club. Und natürlich all die unbekannten Menschen, die täglich für Würde und Gerechtigkeit und Solidarität kämpfen.

Kriminetz: Wie gelingt es einem als Reisender, der von außerhalb in das Land kommt, ›An die inneren Ufern Indiens‹ zu gelangen?

Ilija Trojanow: Bedächtig, zu Fuß, in übervollen Bussen und Zügen, mit einem brauchbaren Verständnis der Landessprache (Hindi), mit soliden Kenntnissen der Religionen und Traditionen, mit offenen Augen und einem selbstkritischen Blick und vor allem ohne Gepäck, ergo ohne Vor-Urteile und Erwartungen.

Kriminetz: Covid_19 zwingt uns allen verantwortungsvolles Verhalten im Umgang miteinander auf. Dies wird wohl noch eine ganze Weile gelten. Was aus Vor-Corona-Zeiten vermisst du am meisten?

Ilija Trojanow: Das Umarmen von Menschen, die mir lieb sind. Es ist grausam, einen traurigen Freund nicht in den Arm nehmen zu können. Die Maske hingegen stört mich überhaupt nicht. Wer ohne zwingenden Grund nicht bereit ist, ein wenig Mühsal für das Wohlergehen seiner Mitmenschen auf sich zu nehmen, schließt sich selbst aus der Gemeinschaft aus. Solche Menschen wurden früher folgerichtig ausgestoßen, verbannt.

Kriminetz: Wien ist dein derzeitiger Wohnort. Wie hältst du es mit dem Klischee des im Kaffeehaus sitzenden Literaten?

Ilija Trojanow: Gibt es seit der Spanischen Grippe nicht mehr. Welches Café akzeptiert denn einen Sinnierer, der alle zwei Stunden eine Melange bestellt? Außerdem haben jene Literaten „nur“ Feuilletons verfasst. Romane schreiben ist hingegen geistiger Hochleistungssport, das geht im Kaffeehaus nicht gut.

Kriminetz: Vielen Dank, Ilija Trojanow, für die Beantwortung der sieben Fragen.

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