Sieben Fragen an Ingebjørg Berg Holm

Das Bild zeigt die Autorin und Innenarchitektin Ingebjørg Berg Holm. Ihr Roman »Wütende Bärin« erschien kürzlich auf Deutsch in der Übersetzung von Gabriele Haefs und Andreas Brunstermann. Foto: © Helge Skodvin

Die Autorin und Innenarchitektin Ingebjørg Berg Holm lebt in Bergen, Westnorwegen. Für ihren von der Kritik gefeierten Debütroman »Stjerner over, mørke under« wurde sie für den Riverton-Preis nominiert und gewann den Maurits-Hansen-Preis. Die »Wütende Bärin« ist ihr dritter Roman. Nach der italienischen und französischen Übersetzung erscheint ihr Buch jetzt auch auf Deutsch in der Übersetzung von Gabriele Haefs und Andreas Brunstermann.

Für Kriminetz beantwortete Ingebjørg Berg Holm sieben Fragen.

Kriminetz: In Mannheim, die Stadt in der ich wohne, wird derzeit eine große Ausstellung über die Normannen gezeigt, deren Vorgänger die Wikinger waren. Spielen die Sagas um die Wikinger heute noch eine Rolle in Norwegen?

Ingebjørg Berg Holm: Alle in Norwegen sind sich der Wikingerzeit bewusst. Die Kinder lernen in der Schule die altnordische Mythologie kennen, und alle sind irgendwie stolz auf die Taten der Wikinger. Die Sagas erzählen von kühnen Kämpfern, die poetische und geistreiche Sprüche bringen, und von starken Frauen, die ihre Männer zu Blutfehden manipulieren, die über Generationen hinweg ausgefochten werden. Als schwächliche Frau von niederer Geburt bin ich froh, dass wir die Blutrache an den Nagel gehängt haben und keine Sklaven mehr halten oder neugeborene Kinder im Wald aussetzen. Nur so als Beispiel.

Kriminetz: In Wütende Bärin ist das Thema Kinder das Thema, um welches drei Personen kreisen. Der Wunsch nach einem Kind hat wenig gemein mit der zu erwartenden Wirklichkeit, wenn man dann tatsächlich mit Kindern lebt und sie dabei begleitet, erwachsen zu werden. In Ihrem Roman erfährt Nina bereits die Geburt als etwas Entsetzliches, etwas, das sie physisch zerreißt (S. 69). Ihr gegenüber wird die fiktive Vaterfigur gesetzt, Njål, der für dieses Kind aus dem eskalierenden Sorgerechtsstreit unbedingt als Sieger hervorgehen will. Dies wirkt zunächst wie eine Umkehrung der tradierten Rollen, die zumindest als Klischee existieren?

Ingebjørg Berg Holm: Ich stelle die Stereotypen auf den Kopf, glaube aber nicht, dass ich mich von der Wirklichkeit entferne. Es sind ja nicht alle Frauen «von Natur aus mütterlich», und Männer können sich ebenso schmerzlich nach einem Kind sehnen wie Frauen.
Was Nina erlebt, ist extrem und führt sie weit über das normale Spektrum mütterlicher Gefühle hinaus. Dem eigenen Körper und dem eigenen Kind fremd zu sein und Katastrophengedanken zu hegen kommt ja eigentlich häufiger vor – ich habe das selbst erlebt. Ninas Erlebnisse sind eine extremere Variante von Gedanken und Gefühlen, die ich selbst an den ersten Tagen nach der Geburt meines ersten Kindes hatte.
Der Unterschied ist, dass sich das bei den meisten lebt, bei mir war das so, bei Nina wurde es nur noch schlimmer.
Der Wunsch nach eigenen Kindern ist natürlich für beide Geschlechter. Und das intensive Bedürfnis, dem eigenen Kind nahe zu sein und es um jeden Preis zu beschützen, ist eine tierische und zugleich zutiefst menschliche Reaktion bei beiden Geschlechtern. Njål ist ein anwesender und aufmerksamer Vater, der natürlich sein Kind vor dem beschützen will, was er als gefährliche Mutter erlebt.
Ich finde es immer interessanter, Stereotypen herauszufordern und auf den Kopf zu stellen, als sie einfach zu beschreiben. Romanpersonen werden dadurch häufig lebendig, interessant und echt.

Kriminetz: Gab es einen Auslöser dafür, dieses Buch zu schreiben?

Ingebjørg Berg Holm: Das klingt wie das pure Klischee, aber der Ausgangspunkt für das Buch ist einfach zu mir gekommen. Ich habe keine Ahnung, woher, aber plötzlich sah ich Nina und Njål ganz deutlich vor mir. Ich hatte eigentlich vor, einen Thriller über deutsche Meteorologen zu schreiben, die während des Zweiten Weltkriegs in einer Hütte auf Svalbard eingeschlossen waren, aber dann tauchten diese beiden dysfunktionalen Menschen in mir auf und es wurde eine ganz andere Geschichte. Der Roman baut also nicht auf einem persönlichen Erlebnis auf, aber es war anfangs, als die Personen nur so aus mir herausströmten, ein ganz besonderes Erlebnis, ihn zu schreiben.

Kriminetz: Sie zeichnen Seelenbilder ihrer Figuren, die zunehmend verstörend wirken. In ihrer Unmöglichkeit, sich gegenseitig zu artikulieren, erinnern sie an die Kälte des die Menschen im hohen Norden umgebenden Eises. Braucht die Geschichte diesen landschaftlichen Hintergrund?

Ingebjørg Berg Holm: Das Verhältnis der Menschen zur Natur ist ein Grundthema im Buch. Vor allem geht es um das Verhältnis zur Natur in uns selbst. Aber auch um das Verhältnis zur Natur, die uns umgibt. Das eiskalte Svalbard ist ein perfekter Hintergrund für dieses Drama. Nicht nur durch sein ungastliches Klima, sondern auch durch die von Menschen verursachten Klimaveränderungen. Die Gletscher, die sich langsam verändern, bis es plötzlich zu spät ist, der Prozess sich beschleunigt und sie ins erwärmte Meer rutschen und verschwinden.

Kriminetz: Lotta, das Kind in ihrem Roman, wird zum Objekt, dass alle haben wollen: Nina, Njal und seine Ex Sol, die selbst kein Kind austragen kann. Nina, die eigentlich kein Kind wollte und nicht in der Lage ist, Lotta zu lieben, will ihr Kind auf keinen Fall hergeben. Es ist eine ausweglose Situation, die in einen regelrechten Krieg führt. War der Schluss für Sie von Anfang an klar, als Sie mit dem Schreiben begannen?

Ingebjørg Berg Holm: Der Schluss, der ja reichlich ungewöhnlich ist, war mir früh bekannt und kam mir wie die einzige Möglichkeit vor, das Drama abzuschließen. Mir war die ganze Zeit klar, dass ich die Geschichte nicht mit einem Happy End versehen dürfte.
Wenn das alles in Wirklichkeit passiert wäre, hätten die Hauptpersonen vieles anders machen können, und das hätte sie an ganz andere und bessere Orte geführt. Aber als Autorin habe ich sie zu dem Moment in der Hütte geführt, wo sie in ihre gegenseitigen Abgründe blicken, wo ihre tierischen Instinkte hervortreten, und damit können sie nicht leben. Danach gibt es für sie keinen Weg zurück.

Kriminetz: Die deutsche Übersetzung von Gabriele Haefs und Andreas Brunstermann zeichnet sich durch eine besondere, stimmige Sprache aus. Fand während des Übersetzungsvorgangs viel Austausch zwischen Ihnen dreien statt?

Ingebjørg Berg Holm: Der Kontakt lief über Gabriele, und sie war sehr gründlich! Sie hat den Roman so sorgfältig gelesen, dass sie Fehler entdeckt hat, die sich an der Korrektur vorbeigeschlichen hatten, und deshalb habt ihr in Deutschland die am besten redigierte Fassung dieses Romans. Es gab auch viele kleine Details in Sprache und Begriffen, die genauere Erklärungen verlangten. Dass aber die Stimmung so gut wiedergegeben wird, liegt bestimmt nur an der fachlichen Tüchtigkeit der beiden.

Kriminetz: Kürzlich stellten Sie die deutsche Übersetzung Ihres Romanes in Deutschland vor. Wie war es für Sie, Ihre deutschen Leserinnen und Leser zu treffen?

Ingebjørg Berg Holm: Das war ein großes Erlebnis für mich! Ich hatte drei verschiedene Buchpräsentation, jeweils mit unterschiedlichem Publikum! Ganz einzigartiges Erlebnisse, jedesmal, aber die Gemeinsamkeit war, dass das deutsche Publikum ungewöhnlich entgegenkommend und interessiert war. Ich glaube, ich habe mit meinen Büchern noch nie so gute Fragen und solches Engagement erlebt wie hier!

Kriminetz: Vielen Dank, Ingebjørg Berg Holm, für die Beantwortung der sieben Fragen.

Das Interview wurde von Gabriele Haefs übersetzt.