Sieben Fragen an Josef Schnelle

Das Foto zeigt den Filmkritiker und Kurator Dr. Josef Schnelle. Foto: © Dr. Jürgen Schmid, Kriminetz

Der Filmkritiker und Kurator Josef Schnelle, 1949 geboren, studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft in Köln, daran schloss er seine Promotion über Film und Fernsehen in der Erwachsenenbildung an. Er war als Filmkritiker für die »Frankfurter Rundschau« die „Berliner Zeitung“ und den »Kölner Stadt Anzeiger« tätig, legte aber bald seinen Schwerpunkt auf Filmkritik in Radio und Fernsehen für den NDR, WDR, Radio Bremen, den Deutschlandfunk und den Saarländischen Rundfunk.
Fünf Jahre lang war er Vorstandssprecher des »Verbands der deutschen Filmkritik«, der deutschen Sektion des internationalen Kritikerverbandes FIPRESCI. Josef Schnelle arbeitete für die preisgekrönte Sendung »Filmtip« des WDR-Fernsehens und veröffentlichte eine Reihe von Büchern, zuletzt gemeinsam zusammen mit seinem Kollegen Rüdiger Suchsland »Zeichen und Wunder«, eine vergleichende Studie über die chinesischen Filmregisseure Zhang Yimou und Wong Kar-Wai.

Derzeit arbeitet er vorwiegend für den WDR. Josef Schnelle war sieben Jahre im Auswahlgremium „Wettbewerb“ der Berlinale. Er ist Mitglied des Auswahlkomitees des »Internationalen Filmfestivals Mannheim-Heidelberg« und des »Festivals des deutschen Films« in Ludwigshafen, bei dem er als Gesprächspartner bei den beim Publikum so beliebten Filmgesprächen im Anschluss an die Vorstellung zu erleben ist.

Für Kriminetz beantwortete Josef Schnelle sieben Fragen.

Kriminetz: Das Festival des deutschen Films in Ludwigshafen am Rhein, das sie mitgegründet haben, findet in diesem Jahr zum 13. Mal statt. Haben Sie von Anfang an mit diesem enormen Erfolg, den das Festival schon seit einigen Jahren hat, gerechnet?

Josef Schnelle: Natürlich nicht. Mit den rund 7000 Zuschauern des ersten Jahres waren wir hochzufrieden. Dass das Festival so schnell zu einer Institution werden würde und aus dem kulturellen Leben der Region mit nun 120 000 Zuschauern nicht mehr wegzudenken ist, haben wir nicht erwarten können. Aber es ist schön.

Kriminetz: Schon beim ersten Blättern im diesjährigen Programm des Festivals des deutschen Films in Ludwigshafen fiel mir auf, dass dieses Mal besonders viele Krimis gezeigt werden. Was führte zu dieser Auswahl?

Josef Schnelle: Wir wissen um die Beliebtheit von Krimis beim Publikum aber die Filme werden ausschließlich nach der Qualität ausgewählt. Wenn dann Krimis dabei sind, auch noch von Regisseuren wie Robert Thalheim, der 2005 mit „Netto“ den ersten Filmkunstpreis gewonnen hat oder auch Dietrich Brüggemann, der schon oft unser Gast war, dann soll uns das Recht sein. Wir werden dadurch aber nicht zum Krimifestival. Wenn Sie unser Programm studieren, werden Sie sehen, dass alle Genres vertreten sind und auch in besonderem Maße interessante Dokumentarfilme, die bei unserem Publikum auf große Resonanz stoßen.

Kriminetz: Beim Festival werden Filme in einer Vielzahl von Genres aufgezeigt. Nach welchen Kriterien wählen Sie Filme für das Ludwigshafener Publikum aus?

Josef Schnelle: Wenn es allgemeine „Kriterien“ gäbe für die Auswahl, dann könnte das ja jeder. Wir aber werfen unsere große Erfahrung mit Filmen auch auf internationalen und nationalen Filmfestivals in die Waagschale. So ist es stets die ganze Persönlichkeit der Sichter und nicht zuletzt die von Festivaldirektor Dr. Michael Kötz, die den Ausschlag gibt. Ich glaube auch, dass das für den Erfolg des Festivals verantwortlich ist: es ist eine sehr persönliche Auswahl, für die wir mit Herz und Verstand einstehen. Wer uns dann vertraut wird nie enttäuscht werden.

Kriminetz: Möchten Sie mir als Krimi-Liebhaberin einen Krimi aus dem diesjährigen Programm des Festivals besonders empfehlen?

Josef Schnelle: Krimis sind deswegen so erfolgreich, weil es nichts gibt, was man einem Kommissar nicht in die Tasche stecken kann. Nehmen wir zum Beispiel den Hessen-Tatort „Fürchte Dich“ von Andy Fetscher. Das ist im Grunde ein Gespensterfilm. Die Ermittler halten sich nicht nur an Fakten. Aber liegt darin nicht auch der Kern von Kriminalgeschichten? Das Böse kommt stets aus einem undurchsichtigen Zwischenreich und jeder Mord ist in Wahrheit eine ziemlich schreckliche Horrorgeschichte. Das haben die Krimimacher in diesem Fall einmal ganz ernst genommen. So sehr, dass man denken kann, waren nicht Grimms Märchen die Krimis ihrer Zeit?

Kriminetz: Wie sehen Sie die künftige Entwicklung von Kino-, Fernsehfilmen und Streaming? Werden sich anspruchsvolle Filme auf Dauer behaupten können?

Josef Schnelle: Wenn ich daran nicht glauben würde, wäre ich gar nicht mehr dabei. Wir machen immer wieder und immer mehr die Erfahrung, dass wir ein äußerst kluges Publikum haben, dem wir auch etwas zumuten können: ungewöhnliche Erzählformen und Vermischungen der Zeitebenen zum Beispiel. Und ob „gestreamt“ oder „projiziert“ oder auf der kleinen Zimmerleinwand geschaut wird, es kommt weiterhin auf gute Geschichten und Inszenierungen an. Das besondere des Kinoerlebnisses –also gemeinsam im Dunkeln schauen – zelebrieren wir hier auf dem Festival wie nirgendwo anders. Leider geht das übers Jahr bei den Programmkinos oft verloren, weil manche ihr Publikum nicht mehr ernst nehmen. Vielleicht können wir da zur Wiederbelebung der Kinolandschaft beitragen.

Kriminetz: In diesem Jahr findet das Festival des deutschen Films erstmalig im September statt. Im letzten Jahr zauberte das Hochwasser eine besondere Atmosphäre zum Festival, raubte aber auch viel Platz und schwappte als Gefährdung ständig im Hintergrund. Finden Sie im September einen besseren Draht zu Petrus?

Josef Schnelle: Das hoffen wir doch sehr. Nach allem was man weiß sind wir im September sicher vor dem großen Hochwasser. Es ist aber auch nicht mehr so lange warm. Ich bin sicher, das Publikum wird auch diesen neuen Weg mit uns gehen.

Kriminetz: Das Publikum kann Sie beim Festival bei den Filmgesprächen erleben. Zu den Filmvorstellungen reisen auch immer Filmschaffende wie Drehbruchautoren, Regisseure und Schauspieler an. Sogar Cutter reisen an, eine Berufsgruppe, die man als Zuschauer und Zuschauerin sonst kaum zu sehen bekommt. Ist denn bei einem der unzähligen Filmgespräche, die Sie mittlerweile geführt haben, einmal etwas Ungewöhnliches geschehen?

Josef Schnelle: Es passiert immer etwas Ungewöhnliches. Manchmal ist die Bühne so voll, dass man als Moderator fast herunter fällt. (das ist mir ja schon einmal passiert). Jetzt aber ist die Bühne groß genug. Manchmal entsteht aber auch im Wortsinne ein intimer Kreis weniger Interessierter um die Filmschaffenden. Immer mehr trauen sich auch die Zuschauer Fragen zu stellen und haben keine Angst mehr vor sogenannten „dummen Fragen“, die es bekanntermaßen ja gar nicht gibt. Die Filmschaffenden sind immer besonders beeindruckt von unserem Publikum und wie nah sie hier dem Publikum kommen können. Deswegen ist jedes der Gespräche etwas ganz Besonderes und jedes ist einzigartig. Da muss schon jeder für sich selbst urteilen. Aber natürlich war der denkwürdige Auftritt unserer Schauspielpreisträgerin Martina Gedeck einer der ersten Höhepunkte des Festivals, ebenso wie die Rückkehr von Alexandra Sell mit dem Eröffnungsfilm „Die Anfängerin“ und die von Robert Thalheim mit „Goldbach“ besonders, weil beide das allererste Festival vor 12 Jahren geprägt hatten. Besonders war auch der Auftritt des kleinen Hauptdarstellers Leonard Kunz aus dem Drogenkrimi „Die offene Tür“. Der ist noch vor drei jahren mit seinem Vater aufs Festival gekommen und hat sich angesichts der Stars gesagt: das mache ich auch. Und jetzt ist er da mit seiner ersten großen Hauptrolle. So kann das gehen. Und so kann das weitergehen.

Kriminetz: Vielen Dank, Josef Schnelle, für die Beantwortung der sieben Fragen.

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