Sieben Fragen an Jutta Weber-Bock

Jutta Weber-Bock gibt mit dem historischen Roman Das Mündel des Hofmedicus ihr Debüt im Gmeiner-Verlag. Foto: © Wolfgang Haenle

Jutta Weber-Bock wurde 1957 in Melle geboren und ist dort aufgewachsen. Schon als Kind liebte sie alte Mühlen und Fachwerkhäuser. Sie studierte Germanistik und Philosophie an der Universität Osnabrück und ist ausgebildete Gymnasiallehrerin. Im Jahr 1983 ist Jutta Weber-Bock mit einer Liebe nach Stuttgart gekommen und aus Liebe zur Stadt geblieben. Heute lebt sie im Heusteigviertel und joggt bei jedem Wetter zum Fernsehturm oder wandert in Istrien, auf der Suche nach Riesen und alten Bahnstrecken. Sie ist freie Schriftstellerin sowie Dozentin und in verschiedenen Autorenvereinigungen aktiv. Mit dem historischen Roman Das Mündel des Hofmedicus gibt sie ihr Debüt im Gmeiner-Verlag.

Für Kriminetz.de beantwortete Jutta Weber-Bock sieben Fragen.

Kriminetz: Hat sich mit der Veröffentlichung deines Romanes ein langgehegter Traum erfüllt?

Jutta Weber-Bock: Ja, unbedingt – und es war ein ziemlich langgehegter Traum … ich habe dem Stoff gut zehn Jahre in den verschiedensten Facetten nachgespürt, weil er mich nicht mehr losgelassen hat. Es gab allerdings, bedingt durch andere Tätigkeiten, leider immer wieder auch lange Unterbrechungen. Umso mehr freue mich, dass ich Claudia Senghaas vom Gmeiner-Verlag für das Projekt begeistern konnte und sie dieses so engagiert im Verlag vertreten hat.

Kriminetz: Wie bist du auf die Giftmörderin Christiane Ruthardt aufmerksam geworden?

Jutta Weber-Bock: Am Anfang sieht es aus wie Zufall, wenn man auf ein Thema trifft oder vielmehr umgekehrt, wenn ein Thema einen trifft. Nach meiner Erfahrung hat es aber auch immer mit mir selbst zu tun, warum ich aufmerksam werde und mich festbeiße.

Für ein anderes Buchprojekt hatte ich mich intensiv mit der Stuttgarter Stadtgeschichte beschäftigt und in diesem Zusammenhang auch mit der Bedeutung von Straßennamen. Am Wilhelmsplatz, wo heute Anfang August das »Henkersfest« gefeiert wird, beginnt die »Hauptstätter Straße«. Auf dem Wilhelmsplatz stand früher die Hauptstatt, im Volksmund »Käs« genannt. Das war eine kreisrunde Erhöhung, auf der bis 1811 die öffentlichen Enthauptungen vollstreckt wurden.

Ich hatte geplant, etwas über eine Kindsmörderin zu schreiben und ihren Motiven nachzuspüren. Dabei bin ich im Staatsarchiv auf das Schicksal der Giftmörderin Christiane Ruthardt gestoßen. Bei der Recherche war ich sehr erstaunt, welches Echo sie nicht nur bereits damals in der Medienlandschaft hinterlassen hatte. Letztlich war es ein Beitrag in dem Buch »Verlorene Töchter« von Dorothea Keuler, der mich bestärkt hat, das Projekt weiterzuverfolgen.

Ich wollte aber nicht einfach Christiane Ruthardts Werdegang nacherzählen, sondern habe mich gefragt, wie es ihr wohl in den einzelnen Lebensphasen, vor allem in der frühen Kindhheit, ergangen ist. In den Gerichtsakten sind zwar die Eckpunkte ihrer Biografie vermerkt, aber was hat es zum Beispiel für sie bedeutet, als sie mit acht Jahren plötzlich aus der Pfarrersfamilie in Kirchberg an der Murr, wo sie aufgewachsen war, von einer für sie fremden Frau nach Stuttgart geholt worden ist, die sich als ihre Mutter ausgegeben hat?

Kriminetz: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die Zeit, zu der »Das Mündel des Hofmedicus« spielt, ist man mit Kindern völlig anders umgegangen als heute. Was war für dich die schrecklichste »Erziehungsmethode«, auf die du im Rahmen deiner Recherche aufmerksam wurdest?

Jutta Weber-Bock: Eigentlich müsste ich jetzt eine Gegenfrage stellen: Ist man damals wirklich so viel anders mit Kindern umgegangen? Vieles von damals hat mich schmerzhaft an das Heute erinnert …

Bei der Recherche zum Thema frühkindliche Erziehung bin ich auf das »Fatschen« gestoßen und dachte an ein historisches Phänomen. Ich musste jedoch feststellen, dass es leider hoch aktuell ist. Der Kinder- und Jugendpsychologe Ralph Frenken hat 2011 die Auswirkung des strammen Wickelns auf die Entwicklung des Kindes untersucht. Heute sagt man, wie Frenken ausführt, auch »Pucken« oder »Swaddling« dazu. In Ratgeberbüchern und auch auf Internetplattformen und -foren zur Säuglings- und Kinderpflege habe ich zur Kenntnis nehmen müssen, dass das traditionelle Wickeln nach wie vor empfohlen wird, was mich genauso schockiert hat wie die aktuelle Renaissance strenger Erziehungsmethoden, die unter anderem auch wieder Schläge bei sogenannten Verfehlungen propagiert.

Um zu meinem Roman zurückzukommen: Ich habe mich beim »Fatschen« gefragt, wem nützt dieses Art des Wickeln, aber vor allem, welche Folgen hat es für das Kind?

Kriminetz: In einem alten schwäbischen Koch- und Backbuch hast du ein Rezept für eine Chocoladentorte mit 22 Eiern gefunden. Hast du die nachgebacken?

Jutta Weber-Bock: Um ehrlich zu sein, habe ich mich bislang nicht getraut, die Torte nachzubacken. 22 Eier schrecken mich, aber ich fand dieses Rezept so faszinierend, dass es mich nicht mehr losgelassen hat. Da ich aber eine sehr intuitive Köchin bin und mich kaum an genaue Angaben und Vorgehensweisen in Rezepten halte, ist es mir nicht schwer gefallen, mir die Herstellung dieser Chocoladentorte in allen Einzelheiten auszumalen und sie quasi im Kopf in etwas veränderter Form so lange »nachzubacken«, bis sie mir für die Handlung »essbar« erschien.

Kriminetz: Du unterrichtest per Lehrauftrag kreatives Schreiben. Wo liegt hierbei dein Schwerpunkt?

Jutta Weber-Bock: Es geht für die Studierenden zunächst darum, die Angst vor dem weißen Blatt zu überwinden und Lust am Schreiben (gleich welcher Art) zu entwickeln. Gemeinsames Fundament ist ein handwerkliches Verständnis vom Schreibprozess. Entsprechend lassen sich methodische Regeln aufzeigen, mit denen das Schreiben erleichtert und die Texte überarbeitet werden können. Mit Hilfe verschiedener Schreibimpulse lernen die Studierenden zunächst, ihre rationalen Wahrnehmungsmuster auszuschalten und intuitiv Einfälle zu verschiedenen Themen zu sammeln. Ungewöhnliche Verbindungen und Grenzüberschreitungen sind dabei ausdrücklich erwünscht. Das Warmschreiben ist wichtig, um den Kreativitätsmotor anzuheizen und Hemmungen beim Schreiben abzubauen. Wenn wir aber dabei stehen bleiben, riskieren wir, dass das Wasser im Durchlauferhitzer verdampft und die Kreativität durchbrennt oder verpufft. Die Kreativität braucht also ein Ziel: den (literarischen) Stoff, den Text ... Es geht mir darum, dass die Studierenden sich auf den kreativen Prozess einlassen, sich auf der anderen Seite aber auch handwerkliche Grundlagen des Schreibens aneignen. Ich kann niemandem sagen, wie sie oder er schreiben soll, sondern jeder und jedem am besten an den eigenen Texten Wege zur Weiterarbeit aufzeigen.

Kriminetz: Du bist mit dem Lyriker und Fotografen Wolfgang Haenle verheiratet. Ergänzt und bestärkt ihr euch gegenseitig beim Schreiben?

Jutta Weber-Bock: Dazu vorweg ein Zitat von Albert Schweitzer: »Das Glück ist das einzige, das sich verdoppelt, wenn man es teilt.« Wolfgang und ich leben als Künstlerpaar zusammen. Wir schreiben beide jeden Tag und manchmal schreiben wir auch zusammen. Als wir uns kennengelernt haben, entstanden in acht Wochen über 1.100 Haiku, die wir uns per Mail geschickt haben. Wir möchten das gerne noch in ein gemeinsames Buchprojekt einbringen. Jeder von uns liest die Texte des anderen und merkt kritisch an, was aufgefallen ist. Der Austausch ist stets befruchtend, auch und weil wir oft nicht einer Meinung sind. Wolfgang hat in den letzten zehn Jahren meine Okkupation unserer Wohnung mit Mindmaps an den Türen des Kleiderschranks und Stadtplänen im Flur geduldig ertragen und mich mit seinem kritischen Blick stets ermuntert, das Projekt »Christiane Ruthardt« weiterzuverfolgen. Seine Fotos von den Schauplätzen waren mein Recherchegedächtnis. Ohne ihn würde es »Das Mündel des Hofmedicus« nicht geben.

Kriminetz: Wegen Corona können derzeit viele Veranstaltungen nicht stattfinden. Was vermisst du selbst am meisten in dieser Pandemie?

Jutta Weber-Bock: Mir fehlen vor allem die persönlichen Begegnungen in kleineren Kultureinrichtungen wie zum Beispiel dem Stuttgarter Schriftstellerhaus, das nur noch Veranstaltungen bis vier Besucher durchführen darf. Schmerzlich vermisst habe ich auch den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen. Ich bin sehr froh, dass jetzt zumindest im Freien wieder der Stuttgarter Autorenstammtisch vom BVjA stattfinden kann und es in der Gedok Galerie Stuttgart möglich ist, erneut zum Forum für literarischen Austausch persönlich zusammenzukommen.

Dankbar und glücklich bin ich auch, dass am 8. September im Evangelischen Bildungszentrum Hospitalhof Stuttgart meine Premierenlesung stattfinden kann. Damit geht für mich ein weiterer langgehegter Traum in Erfüllung.

Premierenlesung: 8.9. um 19:30 Uhr, Hospitalhof Stuttgart, Evangelisches Bildungszentrum

Zur Webiste von Jutta Weber-Bock hier klicken und zu mehr Informationen zum Buch hier.