Sieben Fragen an Kirsten Reimers

Kirsten Reimers, freie Kritikerin für den Deutschlandfunk sowie für weitere Medien. Foto: © Jürgen Schmid, Kriminetz

Kirsten Reimers ist freie Kritikerin für den Deutschlandfunk sowie für weitere Medien. Sie studierte in Göttingen, Hamburg und Gießen Germanistik und Geschichte und hat im Anschluss daran in Gießen am Institut für Neuere deutsche Literatur promoviert. Das Thema ihrer Doktorarbeit lautet „Das Bewältigen des Wirklichen. Ernst Tollers dramatisches Schaffen zwischen den Weltkriegen“. Sie war Stipendiatin der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Sie ist seit fast 25 Jahren in der Verlagsbranche tätig, darunter mehrere Jahre als Lektorin beim Campus Verlag, Frankfurt/New York. Heute arbeitet sie als freie Geistesdienstleisterin für verschiedene Buchverlage und Agenturen, gibt Seminare, rezensiert Bücher und macht noch einiges mehr, zum Beispiel gibt sie den KrimiDetektor heraus, eine internationale Presseschau für Kriminalliteratur. Seit 2011 ist Kirsten Reimers Mitglied der Jury des Deutschen Krimi Preises, ab 2019 ist sie die Sprecherin und Organisatorin der Jury des Deutschen Krimi Preises, da Reinhard Jahn sich nach 33 Jahren zurückzieht.

Für Kriminetz beantwortete Kirsten Reimers sieben Fragen.

Kriminetz: Gibt es einen sog. klassischen Werdegang, um Literaturkritikerin zu werden? Wie war dein persönlicher Weg dahin?

Kirsten Reimers: Ich glaube, einen klassischen Weg gibt es eher nicht. Die meisten Kritiker*innen sind übers Lesen und darüber Schreiben eingestiegen, manche haben vorher Literaturwissenschaften studiert, andere kommen über den Journalismus da rein, sehr viele andere irgendwie anders. Bei mir ähnlich gewesen: Ich habe schon immer viel gelesen und gern darüber gesprochen und bin irgendwann eher zufällig ins Gespräch mit jemandem von einer Literaturzeitschrift geraten („Listen“ hieß die Zeitschrift, eine Frankfurter Literaturzeitschrift, ich fürchte, sie gibt es gar nicht mehr). So hat es angefangen; ich habe erst für „Listen“, später für verschiedene Online-Magazine, dann für Zeitungen geschrieben und jetzt für den Deutschlandfunk, was mir wahnsinnig viel Freude bringt.

Kriminetz: In deiner Dissertation setzt du dich mit dem dramatischen Schaffen Ernst Tollers zwischen den Weltkriegen auseinander. Was hat dich daran so „gefesselt“, dass du eine wissenschaftliche Arbeit darüber verfassen wolltest?

Kirsten Reimers: An Ernst Toller hat mich von Anfang an die Verbindung von Politik und Literatur fasziniert. Toller hat nicht nur engagierte Literatur geschrieben, sondern sich auch persönlich eingesetzt: gegen Krieg, gegen Ungerechtigkeit, später im Leben – er ging 1933 ins Exil – gegen den Faschismus. Er stand mit seiner ganzen Person hinter seinen Überzeugungen und hat sich in jeder Form, die ihm möglich war, dafür engagiert. Das finde ich bewundernswert. Bei allem Engagement verkürzt Toller aber auch nicht: Populismus oder Dogmatismus lehnte er stets ab. Es gibt bei ihm keine einfachen Antworten, und er lässt sich nicht von irgendeiner Richtung vereinnahmen, auch das schätze ich sehr an ihm – und zwar so sehr, dass ich mich bis heute mit ihm beschäftige: 2015 ist eine kommentierte Studienausgabe seiner Werke erschienen (im Wallstein Verlag, Göttingen), Anfang 2018 eine kommentierte Buchausgabe seiner Briefe (ebenfalls im Wallstein Verlag), an beiden habe ich mitgearbeitet, nächstes Jahr ist eine Toller-Konferenz in New York City, auf der ich einen Vortrag halten werde (und wegen der ich jetzt schon sehr aufgeregt bin …).

Kriminetz: Bei der letzten Frankfurter Buchmesse beschrieb Dominique Manotti anlässlich einer Veranstaltung, die du moderiert hast, den Kriminalroman als DEN Roman des 21. Jahrhunderts. Schließt du dich dieser Meinung an?

Kirsten Reimers: Oja! Da stimme ich Dominique Manotti voll und ganz zu – na, obwohl: zu eingeschränkt sollte man das vielleicht auch nicht sehen. Das, was heute um uns herum passiert –das Erstarken des Populismus, der Hass auf jede*n, die/der anders ist und eine andere Meinung vertritt, der ja nicht nur im Internet immer lauter wird, oder auch der Dieselskandal –, lässt sich meiner Meinung nach am besten im Kriminalroman schildern und hinterfragen – aber vielleicht gibt es auch andere Formen und Genres, ich will da gar nicht dogmatisch werden. Für mich ist der Kriminalroman die überzeugendste Form, um die Verflechtungen von Politik, Wirtschaft und Verbrechen zu zeigen, um nach Ursachen zu fragen, um die Auswirkungen auf die Gesellschaft darzustellen.

Kriminetz: Mit dem von dir herausgegebenen „KrimiDetektor“ gibst du einen Überblick über Kriminalliteratur. Was muss einen Krimi auszeichnen, um von dir erwähnt zu werden?

Kirsten Reimers: Da der KrimiDetektor sich als Presseschau durch die überregionalen Medien gräbt, muss eine Rezension eigentlich nur dort erschienen sein, damit der KrimiDetektor darauf verweist. Es muss auch gar keine Rezension sein – ich nehme ja auch Interviews oder Hintergrundartikel auf, also alles, was sozusagen Richtung „Sekundärliteratur“ geht. Das heißt dann auch: Auf Leseproben oder Veranstaltungshinweise verlinkt der KrimiDetektor nicht, aber jeder Beitrag, der sich in der überregionalen Presse (inkl. Hörfunk und TV) mit einem Krimi oder eine*r Krimiautorin auseinandersetzt, findet seinen Weg in die nächste Ausgabe.

Kriminetz: In Zeiten von Online-Portalen, wo jede/r ihre oder seine Meinung hinterlassen kann, gibt es eine Flut von Rezensionen. Was zeichnet deiner Ansicht nach eine gute Rezension aus?

Kirsten Reimers: Das ist gar nicht so einfach zu beantworten, da dies auch immer vom besprochenen Buch abhängt – aber ich versuch’s mal. Ich erwarte von einer Rezension, dass sie mir ein Bild des Buches vermittelt – gar nicht mal so sehr vom tatsächlichen Inhalt. Eine ausführliche Inhaltsangabe ist eher kein Kriterium – mir ist das Thema eines Buches wichtiger und wie die Autorin, der Autor damit umgeht. Außerdem möchte ich erfahren, wie das Buch geschrieben ist, was es sich von anderen Büchern unterscheidet und auch, was die Rezensentin oder der Rezensent von dem Buch hält – und gerade beim letzten Punkt möchte ich wissen, warum: Nach welchen Kriterien beurteilt jemand das Buch? Warum hält die Rezensentin es für einen guten Krimi, warum findet der Rezensent, das sei ein schlechter Krimi? Mir reicht dabei nicht die Aussage: „Der Krimi ist spannend“ – Spannung ist kein Hinderungsgrund, aber sie allein macht einen Krimi nicht gut. Auch wichtig: In welcher „Tradition“ steht das Buch, der Roman, der Krimi? Ich glaube kurzgesagt: Ich möchte wissen und verstehen, was das für ein Buch ist und was die/der Rezensent*in davon denkt und warum. Das ist dann für mich eine gelungene Rezension.

Kriminetz: Wie liest du selbst bevorzugt – gedruckte Bücher oder E-Book?

Kirsten Reimers: Im Prinzip lese ich beides, mir kommt es mehr auf den Inhalt an als aufs Veröffentlichungsformat. Allerdings: Wenn ich ein Buch mag, dann möchte ich es als Print haben, um immer wieder hineinschauen zu können – und das dürfte über Jahre hinweg einfacher bei gedruckten Büchern sein, da die sich nicht so schnell verändern wie Dateiformate und Lesegeräte. Außerdem hat das einen ganz pragmatischen Grund: Wenn ich ein Buch mag, dann möchte ich darin Sätze unterstreichen, Gedanken notieren, Absätze kommentieren. Das geht am einfachsten handschriftlich – zumindest für mich.

Kriminetz: Du bietest auf deiner Website neben anderen Leistungen Ghostwriting an. Was war dein spannendstes Projekt?

Kirsten Reimers: Ghostwriting klingt aufregender, als es letztendlich ist. Ich mache keinerlei Ghostwriting im wissenschaftlichen Bereich, das lehne ich entschieden ab. Ich schreibe auch keine Biografien für Promis oder normale Menschen. Zumeist verfasse ich Sachbücher für Menschen, die zum Beispiel als Coach arbeiten und mithilfe eines Buches ihr Vorgehen bzw. ihre Methode darlegen wollen. Vor kurzem habe ich einen Ratgeber über wertschätzende Kommunikation für zwei Unternehmensberater geschrieben. Es geht also immer eher um berufliche Themen. Einmal allerdings war ich Ghostwriterin für ein True-Crime-Buch – das war sehr interessant (das Buch hat es sogar auf die Spiegel-Bestsellerliste geschafft). So etwas würde ich gern wieder machen.

Kriminetz: Vielen Dank, Kirsten Reimers, für die Beantwortung der sieben Fragen.

Zur Website von Kirsten Reimers hier klicken. Weitere Seiten: Krimidetektor und
Deutscher Krimipreis.

Claudia Schmid traf Kirsten Reimers (re.) bei der Buchmesse in Frankfurt. Foto: © Jürgen Schmid, Kriminetz