Sieben Fragen an Marcus Seibert und Sebastian Ko

Marcus Seibert und Sebastion Ko. Die beiden schrieben das Drehbuch zum Film "Wir Monster". Sebastian Ko führte auch Regie.

Marcus Seibert und Sebastian Ko haben gemeinsam das Drehbuch zum Film Wir Monster geschrieben, Sebastian Ko führte auch Regie. Im Film fasst Teenager Sarah einen folgenschweren Plan. Die Eltern wollen verzweifelt ihre Tochter schützen und versuchen gemeinsam, den gebeichteten Mord an ihrer Freundin zu vertuschen. Das Ganze entwickelt jedoch eine Eigendynamik und hat nicht vorhersehbare Folgen. Diese Familie, die längst keine mehr ist, kann nichts einen. Brüchigkeiten werden aufgedeckt - die Monster sind los gelassen.

„Wir Monster“ lief beim 36. Filmfestival Max Ophüls Preis 2015, dem 18. Shanghai International Film Festival, dem 40. Toronto International Film Festival 2015, dem 51. Chicago International Film Festival 2015, dem 12. Reykjavik International Film Festival 2015 und beim 11. Festival des deutschen Films in Ludwigshafen. Produziert wurde er von Ester.Reglin.Film in Koproduktion mit WDR und ARTE.

Für Kriminetz beantworteten Marcus Seibert und Sebastian Ko sieben Fragen.

Kriminetz: „Wir Monster“ zeigt einen Teenager, der mit der Trennung der Eltern nicht klar kommt. Sarah hegt den unrealistischen Wunsch, ihre Eltern kämen wieder zusammen. Aber sie sehnt sich auch nach Aufmerksamkeit und wählt eine drastische Methode. Was war der Auslöser, diese Thematik filmisch darzustellen?

Marcus Seibert: Diese Antwort kann Sebastian am besten geben. Es gab ein auslösendes Ereignis, als er mit seinem Freund auf der Veranda saß. Dessen Tochter war gerade durch brachiale Versuche aufgefallen, sich Aufmerksamkeit zu verschaffen und ihre Hormone an Gegenständen abzureagieren. Es kann sich aber, glaube ich, jeder an Situationen aus der Pubertät erinnern, wo er oder sie erstaunlich und unangemessen auf Krisen reagiert hat. Das als Auslöser eines Familiendramas zu nehmen, fand ich sehr reizvoll.

Kriminetz: Sarahs Eltern sehen sich damit konfrontiert, dass ihre Tochter ein Verbrechen begangen hat. Ist es, frei nach Schiller, unweigerlich der „Fluch der bösen Tat“, dass sie selbst wiederum Böses „gebiert“?

Marcus Seibert: In gewisser Hinsicht ja. Es ging uns aber immer darum, dass sie diese „böse Tat“ in aller ichbezogenen Unschuld und als Dummemädelsstreich mit ihrer Freundin zusammen begeht, drastisch, aber nie mit der Absicht zu schaden, sondern der, den Eltern eine Lektion zu erteilen. Man könnte sagen, selbst das scheinbar harmlose Spiel mit dem Verbrechen gebiert Ungeheuer. Es gibt ja auch den Straftatbestand der Vortäuschung einer Straftat.

Kriminetz: Das Drehbuch zu „Wir Monster“ entstand in gemeinsamer Arbeit mit Sebastian Ko. Haben Sie abwechselnd einzelne Szenen bearbeitet oder saßen Sie beide nebeneinander am Schreibtisch und haben die Szenen gemeinsam geschrieben?

Marcus Seibert: Wir haben sehr viel nebeneinander auf Treppen und in Cafés gesessen und uns Szenen und Szenenverläufe ausgedacht oder gemeinsam über Fassungen gesprochen. Diese Fassungen geschrieben hat dann immer einer, meist ich, und sie dem anderen, meist Sebastian, zugeschickt zur Weiterverarbeitung. Erst die Regiefassung hat Sebastian dann alleine in Abstimmung mit dem Kameramann geschrieben. Wir standen aber da noch in engem Kontakt und ich sollte unbedingt sagen, was ich von den Änderungen denke. Die meisten Figuren waren durch Sebastians Grundidee gegeben. Die mochte ich von vornherein, habe aber sicher dazu beigetragen, dass Manches anders erzählt worden ist.

Kriminetz: Sebastian Ko, Sie haben nicht nur Regie geführt, sondern gemeinsam mit Marcus Seibert das Drehbuch verfasst. Vereinfacht es die Arbeit als Regisseur, gleichzeitig auch am Drehbuch mitgewirkt zu haben, weil man dann tiefer im Stoff drin steckt und nicht etwas umsetzt, was ausschließlich im Kopf von jemand anderen entstanden ist?

Sebastian Ko: Natürlich stecke ich anders drin, wenn ich die Geschichte von Anfang an mitentwickele. Beim Schreiben ist der Fantasieraum für mich hoch und weit – und eben so geduldig wie Papier. Entsprechend hatte ich also beim Drehbeginn von 'Wir Monster' einen ganzen Schatz an Möglichkeiten und Alternativen, wie sich die Geschichte anders entwicklen könnte – und noch wichtiger: Genug Gründe, weshalb ich eben diese parallelen Erzählpfade NICHT betreten wollte.
Das liegt auch am Stoff, 'Wir Monster' läuft ja ein wenig wie ein Uhrwerk ab, da gibt es eine Mechanik, die die Figuren unbarmherzig weiterzwingt. Damit das präzise ineinandergreift, mussten wir sehr vorsichtig und sehr genau am Set arbeiten. Das gilt natürlich in erster Linie für die Psychologie der Figuren – Christine und Paul und Sarah werden erst durch Ulrike, Mehdi und Janina zu Menschen aus Fleisch und Blut. Sie bekommen ein Eigenleben jenseits von all dem, was sich Marcus und ich am Schreibtisch ausdenken könnten – und trotzdem unterliegen sie der Zwangsläufigkeit der Geschichte. So gesehen wurden die Figuren erst beim Drehprozess ausformuliert, während die Handlung dem sehr präzisen Bauplan des Drehbuchs folgt. Damit das aufgeht, ist es natürlich hilfreich, wenn sich die Vorstellung des Drehbuchs mit der Vorstellung des Regisseurs deckt.

Kriminetz: Die im Film vorgestellte Familie entwickelt sich immer mehr zu einer Keimzelle des Bösen, sie wird zu einer Bedrohung für ihre Umwelt. Trennungen sind in unserem Alltag Realität, der Film bietet keine Lösung an. Es ist ein Film entstanden, den man nicht so nebenbei konsumiert, vielmehr geht er unter die Haut und lässt einem eine Weile nicht los. Hat es Mut erfordert, einen Film ohne Happy-End zu realisieren?

Sebastian Ko: Das diese Geschichte nicht gut ausgehen würde, stand schon im Exposé Stadium fest. Das ist aber glaube ich keine Frage des 'Muts', eher eine der Folgerichtigkeit.

Kriminetz: Die Darsteller des Films sind passend und sehr überzeugend besetzt. Hatten Sie selbst Wünsche für die Besetzung oder haben Sie einer Casting-Agentur vertraut?

Sebastian Ko: Sowohl als auch. Im Fall von Ulrike Tscharre, die als erstes dabei war, kam der Kontakt über meine Produzentin Roswitha Ester zustande. Mit Mehdi Nebbou hatte kurz zuvor Franz Müller, ein befreundeter Regisseur gedreht. Ohne seine Fürsprache hätten wir uns wahrscheinlich nicht gefunden. Janina Fautz ist dagegen über die Zusammenarbeit mit Clemens Erbach (OUTCAST) zum Projekt gekommen, so wie auch Britta, Ronald und Daniel.

Kriminetz: Die Musik ist bei diesem Film auch deshalb besonders wichtig, weil Sarahs Vater Paul Musiker ist und seine Freundin Sängerin. Ab wann wurden Dürbeck & Dohmen, die die Filmmusik gemacht haben, in die Arbeit mit einbezogen? Schon während der Zeit des Drehbuchschreibens, da Liedtexte vertont wurden oder kamen die später hinzu?

Sebastian Ko: Erst etwa zwei Monate vor Drehbeginn kamen Dürbeck und Dohmen dazu. Da war allerdings schon klar, welche Songs Britta Hammelstein singen würde. Beide Songs sind ja Cover Versionen. 'Le Chant de Cigales' von der belgischen Band 'Blaudzun fand ich großartig, weil er so nach vorne geht - eine echte Aufbruchsmusik, die gut zu Paul und Jesses Selbstverständnis als Musiker passt. Und dann das vermeintliche Kinderlied, das Jesse zum Abschied singt. Das 'Abendlied' ist im Original von dem verstorbenen Kaberettisten Hans-Dieter Hüsch, also nur oberflächlich ein Einschlaflied.

Das Klaviertrio- Thema dagegen, dass den Film quasi in Kapitel unterteilt, ist eine reine Dübeck/Dohmen Eigenkomposition, die erst während der Schnittzeit entstanden ist.

Kriminetz: Vielen Dank, Marcus Seibert und Sebastian Ko, für die Beantwortung der Fragen!

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