Sieben Fragen an Max Annas

Max Annas, aufgewachsen in Westdeutschland, nutzte die letzten Jahre der DDR, um sich dort umzusehen und Freundschaften zu schließen. Im Juli 1989 wurde ihm die Einreise schließlich verwehrt. Er arbeitete lange als Journalist, lebte einige Jahre in Südafrika und wurde für seine Romane Die Farm (2014), Die Mauer (2016), Finsterwalde (2019) und Morduntersuchungskommission (2020) viermal mit dem Deutschen Krimipreis auszgezeichnet. Sein aktuell erschienener Roman Morduntersuchungskommission. Der Fall Melchior Nikoleit landete auf der Krimibestenliste August 2020. Der erste Fall Morduntersuchungskommission ist für den Crime Cologne Award 2020 nominiert.

Max Annas war lange Zeit Journalist und Redakteur, unter anderem bei der StadtRevue in Köln. Zu seinen Veröffentlichungen zählen Bücher über Politik und Kultur. Er hat Filmfestivals und -reihen organisiert. Max Annas lebt zurzeit in Berlin.

Für Kriminetz beantwortete Max Annas sieben Fragen.

Kriminetz: Du hast bis 1989 mehrmals die DDR besucht. Was war es, was dich dazu gebracht hat?

Max Annas: Ich habe einen Brief zurück nach Ost-Berlin geschickt, der bei uns im besetzten Haus in Köln aufgelaufen war. Daraus hat sich zuerst ein Kontakt ergeben, der mich ein paar Mal nach Ost-Berlin gebracht hat. Über andere Leute bin ich dann nach Saalfeld in Thüringen gekommen, wo ich ein paar Jahre lang so oft wie möglich hingefahren bin. Ich bin später nicht immer allein gefahren, sondern oft in größer werdenden Gruppen - zum Beispiel zu einem Öko-Polit-Treffen unter dem Dach der Kirche, das als Rad-Freak-Treffen weit über Saalfeld bekannt war. Da waren dann ein paar Dutzend Leute aus Köln dabei. Das haben die Behörden der DDR natürlich mit großem Interesse betrachtet. Im Juni 1989 haben sie sich eine Person rausgepickt und einen Anwerbeversuch unternommen („Wir sind doch auf der selben Seite.“). Und als die angesprochene Person ablehnend antwortete, haben kurz darauf drei Leute keine Visa mehr erhalten, die zum Eintritt in die DDR nötig waren. Von denen war einer ich. Einer der beiden, die damals auch gebannt wurden, kommentierte das so: „Das ist das Ende der DDR.“

Kriminetz: „Ernteeinsatz“ ist der Name der Punkband, die die Jungs um Julia herum bilden. Melchior Nikoleit, ihr Bassist, ist der Fall, den die Morduntersuchungskommission untersucht. Für Punks war kein Platz in der DDR. Im Roman werden sie unbarmherzig und mit grober Gewalt unterdrückt. Wie ist es mit dem Autor: Hast du dich der Punk-Bewegung verbunden gefühlt?

Max Annas: Ich war nie Punk. Zu jener Zeit, zu der der zweite Band von MORDUNTERSUCHUNGSKOMMISSION spielt, habe ich mich eher als Hausbesetzer identifiziert. Nicht, dass es zwischen den beiden Gruppen keine Überschneidungen gegeben hat, aber von Punk waren wir doch ein paar Umlaufbahnen entfernt. Was mich an Punk interessiert hat und rückblickend immer noch interessiert, war das Dissidente, bis hin zur kompletten Verweigerung. No Future hieß ja immer: Ich will die Zukunft nicht hier und nicht unter diesen Bedingungen. Und was Musik selbst anging, war ich damals eher auf Jazz fixiert. Nichtsdestotrotz habe ich im April 1987 die Spermacombo im Keller der Jungen Gemeinde in Jena am Johannisplatz gesehen - diesen Ort setze ich ja auch ein im Buch. Und ich war aus ganz verschiedenen Gründen beeindruckt.

Kriminetz: Auf einem Foto, das für die Handlung eine Rolle spielt, ist ein Kriegsverbrechen dokumentiert, an dem ein Major der NVA beteiligt war. Das Bild erzählt eine Geschichte in der Krimi-Handlung, die zurückliegt. Gab es nach offizieller Lesart Kriegsverbrechen in der DDR?

Max Annas: Die DDR hatte in einem ähnlichen Maß wie die BRD zahllose Leute zu integrieren, die zwischen 1933 und 1945 innerhalb und außerhalb des Landes die schwersten vorstellbaren Verbrechen begangen hatten. Das wird aber in der DDR schon allein deshalb anders gelaufen sein, weil sich eine große Zahl hochrangiger Nazis aus naheliegenden Gründen eher im Westen niedergelassen hat, wenn die nicht gleich ihr Heil in der Flucht gesucht haben. Trotzdem gab es in der DDR natürlich ganz unvermeidlich viele Nazi-Verbrecher, und Josef Blösche, der im Buch genannt wird, ist einer von ihnen gewesen. Nach außen hin ist die DDR radikaler mit ihnen umgegangen als die BRD - es gab mehr Verurteilungen und auch Hinrichtungen, bevor in der BRD die Justiz überhaupt aktiv geworden ist. Tatsächlich aber war die SED bestrebt, möglichst viele alte Nazis zu guten Bürgern des neuen Staates zu machen.

Kriminetz: Was hilft dir beim Schreiben in die vergangene Welt der DDR, die du beschreibst, einzutauchen?

Max Annas: Wichtig ist für mich, dass ich mit dem Buch, das ich gerade schreibe, lebe - und das Buch mit mir. Vor dem Einschlafen habe ich noch den letzten halben Gedanken ans Schreiben, nach dem Aufwachen mache ich genau da weiter. / Wo es um die DDR als Recherchegegenstand geht, verlasse ich mich auf zwei Freunde, die in Saalfeld aufgewachsen sind. Sie lesen in unterschiedlichen Rhythmen alles, was ich produziere und kommentieren dann.

Kriminetz: "Morduntersuchungskommission", der erste Band mit Otto Castorp, steht auf der Shortlist des Crime-Cologne-Award. Laut Klappentext handelt der Krimi von einem historischen Fall. Wie bist du bei der Recherche vorgegangen?

Max Annas: Ich kenne den Fall Manuel Diogo schon seit einigen Jahrzehnten, musste da nicht bei Null beginnen. Vereinfacht dargestellt war das während der Recherche zum Buch so: Ich habe mir alles herangeholt zum Fall, was mir interessant erschien, um es wieder beiseite zu legen, die meisten Dinge zu vergessen und dann eine Fiktion zu schreiben. Trotz einiger Überschneidungen zum Fall Manuel Diogo ist die ganze Geschichte ein Roman, alle handelnden Figuren sind Produkt meiner Imagination. Auch Ort und Zeit habe ich verändert, um mich freier zu fühlen beim Schreiben. Ich folge allerdings bis heute den Entwicklungen, die der Fall nimmt. Im Moment beschäftigt sich die Polizei in Potsdam mit der Frage, ob sie wieder ermitteln soll - und will.

Kriminetz: Südafrika war für einige Jahre dein Zuhause. Was hat dich dort nachhaltig gedanklich beschäftigt?

Max Annas: Auf der einen Seite waren es die geraden Linien, an denen entlang die mitunter brutalen Konflikte im Land ablaufen. Und auf der anderen die doch recht komplexen Ursachen für diese Konflikte. Ich hatte schon lange vor meinem Leben in Südafrika die Idee, Fiktion zu schreiben. Und nachdem ich dort angekommen war, wusste ich schnell, dass ich das nun ernsthaft starten werde.

Kriminetz: Eine Frage, die unsere LeserInnen sicherlich interessiert: Wird Otto Castorp weiter ermitteln?

Max Annas: Die Reihe MORDUNTERSUCHUNGSKOMMISSION ist auf fünf Bände ausgelegt. Das Buch, das ich gerade schreibe, spielt allerdings in der Bundesrepublik. Erst danach gibt es den dritten Teil der Reihe.

Kriminetz: Vielen Dank, Max Annas, für die Beantwortung der sieben Fragen.