Sieben Fragen an Michael Proehl

Der vielfach mit Preisen ausgezeichnete Drehbuchautor Michael Proehl war schon oft mit seinen Filmen zu Gast beim Festival des deutschen Films in Ludwigshafen. © Jürgen Schmid, Kriminetz

Michael Proehl studierte Germanistik und Kunstgeschichte in Frankfurt und Freiburg. Daran schloss er ein Studium an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg an und machte dort im Fachbereich Drehbuch mit dem Langfilmdrehbuch Der Weg allen Fleisches seinen Abschluss. Der von ihm verfasste Abschlussfilm von Regisseur Florian Schwarz Katze im Sack wurde auf dem Filmfestival Max Ophüls Preis 2005 mit den Preisen für das beste Drehbuch und die beste Filmmusik ausgezeichnet und beim First-Steps Award in der Kategorie "Abendfüllender Spielfilm" (2004).

Michael Proehl schrieb (neben zahlreichen anderen) bereits mehrere Drehbücher für die überaus beliebte Reihe TATORT in der ARD. Weil sie böse sind wurde für den Adolf Grimme Preis (2010) und beim Krimi Festival Wiesbaden (2010) nominiert und bekam dort den Preis Bester Hauptdarsteller, außerdem wurde dieser TATORT mit dem Deutschen Fernsehpreis (2010) ausgezeichnet.

Beim Festival des deutschen Films in Ludwigshafen am Rhein wurden sein Tatort Im Schmerz geboren (2014) und sein Film Das weiße Kaninchen (2016) mit dem Medienkulturpreis des Festivals ausgezeichnet. “Im Schmerz geboren“ bekam neben weiteren Preisen außerdem noch den Grimme-Preis. 2016 wurde Michael Proehl auf der Parkinsel der Ludwigshafener Drehbuchpreis für seine umfangreiche Arbeit an zahlreichen, herausragenden Filmwerken überreicht.

Michael Proehl lebt in Berlin.

Für Kriminetz beantwortete Michael Proehl sieben Fragen.

Kriminetz: Sie waren beim 15. Festival des deutschen Films in Ludwigshafen mit dem Film „Der Ort, von dem die Wolken kommen“ zu Gast. Sie waren mehrmals auf der Parkinsel am Rhein, sogar schon beim 1. Filmfestival mit ihrem Abschlussfilm im Bereich Szenische Regie, „Katze im Sack“. Ist die Parkinsel so etwas wie ein zweites Zuhause für Sie?

Michael Proehl: Formal gesehen war „Katze im Sack“ der Abschlussfilm von Regie und Produktion an der Filmakademie. Ich habe nicht einmal eine Note für den Film bekommen, weil er nicht Bestandteil meines Studienganges Drehbuch war. Fast hätte ich aus zeitlichen Engpässen mein Diplom nicht geschafft, aber in der Filmbranche zählen bekanntlich keine Noten. Am Ende zählen nur realisierte Drehbücher. Und deswegen war es für uns alle ein Riesenerfolg, dass der Film so gut angenommen wurde und Preise bekam. Eine kleine Kinoauswertung und schließlich die Einladung nach Ludwigshafen. Auf dieses kleine Filmfest mit damals einem Kino. Über die Jahre wurden wir noch dreimal eingeladen und haben sogar Preise gewonnen. Die Haare werden grauer und die Kleidergrößen verändern sich, aber mit jedem neuen Besuch wird man herzlicher von dem wunderbaren Team des Festivals empfangen. Bei unserem zweiten Besuch empfahl der gute Dr. Michael Kötz (Festivalleiter) uns Nachwuchs zuzulegen. Dieses Jahr sind Florian Schwarz und ich dann mit insgesamt drei Kindern aufs Festival gekommen. Eine Familienfeier.

Kriminetz: Mit dem Regisseur Florian Schwarz haben Sie schon oft erfolgreich zusammen gearbeitet. Wie haben Sie sich kennen gelernt?

Michael Proehl: Im zweiten Studienjahr an der Filmakademie rief Florian bei mir in der WG an (Ich hatte noch kein Handy). Mein Mitbewohner richtete aus, dass ein gewisser Schwarz mich gerne treffen wollen würde. Meine Reaktion: Kenn ich nicht und will ich nicht, da ich genug zu tun hatte. Aber schließlich hat er mich doch erreicht und hat damals das richtige Wort gesagt: Horrorfilm! Das interessierte mich. Ein gemeinsamer Dozent, Jürgen Egger (leider 2009 verstorben), hatte mich dafür empfohlen, denn Florian war auf der Suche nach einem Genre-affinen Drehbuchautor. Wir haben uns dann im Café getroffen und gefühlte 12 Stunden über Filme und das Leben gesprochen. Dabei viel gelacht und schrecklich viele Zigaretten geraucht. Wir haben dann versucht einen Horrorkurzfilm für Florians 3. Studienjahr auf die Beine zu stellen, sind gescheitert und mussten schnell einen Hardboiled-Thriller auf einer verlassen Schweinefarm im Osten drehen („Wenn Schweine sterben“). Der Film wird von uns unter Verschluss gehalten. Wir hatten trotzdem viel Spaß und darum hat dann das gesamte Kernteam „Katze im Sack“ gedreht.

Kriminetz: Als jemand der im Badischen lebt, wurde ich bei dem Film „Der Ort, von dem die Wolken kommen“, an das berühmteste Findelkind Deutschlands, Kaspar Hauser, erinnert. Gerüchten nach soll er in Karlsruhe geboren worden sein, seiner vermeintlichen Mutter wurde das Mannheimer Schloss als Witwensitz zugesprochen. Hat Sie dieses über viele Jahre „verborgene Kind“ inspiriert?

Michael Proehl: Kasper Hauser ist bei einem solchen Stoff natürlich immer Inspiration und gleichzeitig sucht man dann nach der Variation. Bezug hatten wir auch zu dem Truffaut Film „Der Wolfsjunge“ von 1970 oder dem „Wolfpack“, das sieben Geschwister bezeichnet, die isoliert in einer New Yorker Wohnung aufwuchsen. Und nicht zu vergessen der Fall „Genie“. Ein amerikanisches Mädchen, das 13 Jahre von ihrem Vater eingesperrt wurde und die meiste Zeit an einem Toilettenstuhl gefesselt war. Der Toilettenstuhl und die verkrümmte Haltung, die das Kind dadurch erlitten hat, erzählen wir in dem Polizeiruf mit unserer Figur des Polou.

Kriminetz: Mit diesem Film wird die Reihe „Polizeiruf 110“ aus München fortgesetzt. Bislang stand der feinnervige Hanns von Meuffels, dargestellt von Matthias Brandt, im Mittelpunkt. Mit Elisabeth Eyckhoff ermittelt nun ein uniformtragendes „Streifenhörnchen“, die in einer WG mit ihrem Halbbruder lebt. Die Ermittlerebene wurde „umgebrochen“, weg von ermittelnden Herren zu einer lebensbejahenden jungen Frau. Hat es Spaß gemacht, diese Figur zu erfinden?

Michael Proehl: Bestimmt sehr viel. Aber ich habe die Figur nicht erfunden. Das war der hochgeschätzte Kollege Thomas Korte zusammen mit der Redaktion des Münchner Polizeirufs. Ich habe erst später das Buch übernommen. Die Grundhandlung des Films ist keine originäre Idee von mir oder Herrn Schwarz.

Kriminetz: Sowohl die Rolle der Elisabeth Eyckhoff für Verena Altenberger als auch die für ihren Kollegen und Halbbruder Cem, gespielt von Cem Lukas Yeginer, scheint den beiden regelrecht auf den Leib geschrieben zu sein. Kannten Sie die beiden, als Sie im Auftrag des BR damit begannen, das Drehbuch zu schreiben? Wie entwickeln Sie generell Ihre Figuren?

Michael Proehl: Wie gesagt, ich kam erst später zu dem Projekt. Da standen die Schauspieler schon fest und die Figuren waren angelegt. Meine Aufgabe besteht dann darin die Figuren und ihre Eigenschaften in die Handlung besser zu verweben oder neue Ideen zu kreieren. Ein Beispiel: Wir hatten uns gefragt wie die „Frau im Pelz“ auf die Spur des Jungen im Krankenhaus kommt und dort den Weg und die Sicherheitsvorkehrungen kennt. Wir ließen die Frau schließlich den Polizisten Maurer verführen, um an Informationen zu gelangen. Dadurch erzielen wir Spannung (Nähe zum Antagonisten) und lernen gleichzeitig etwas über die Figur Maurer kennen (Familienstatus, Einstellung zu Sexualität und Frauen.) Später, nachdem Maurer erkannt hat, mit wem er geschlafen hat, beichtet er es unserer Hauptfigur Elisabeth (Vertrauensverhältnis zwischen den beiden) und sie deckt den Kollegen (Loyalität). Dass Elisabeth ihren Kollegen deckt, setzt sie unter Druck und treibt sie zu Entscheidungen, die die Handlung vorantreiben. In der Figurenbeschreibung der Elisabeth Eyckhoff wurde Loyalität gegenüber den Kollegen betont. Da haben wir dann konkret in dieser Situation umgesetzt, gleichzeitig eine weitere Figur näher beleuchtet und die Handlung vorangetrieben. Das betone ich, weil das gerade im Fall eines Krimis oder noch besser Thrillers meine Herangehensweise ist: Möglichst Figur und Plot verbinden und sogar oft gleichberechtigt entwickeln.

Kriminetz: Einige ihrer ebenfalls sehr erfolgreichen Drehbuchkollegen veröffentlichen zusätzlich Romane. Filme sind immer Resultat einer Teamarbeit, Romane werden einsam am Schreibtisch geschrieben. Wäre das für Sie eine Option?

Michael Proehl: Durchaus. Ich schreibe ja auch Romane, aber nur für mich. Ob das mal für eine Veröffentlichung reicht ist fraglich. Vor guter Prosa habe ich großen Respekt.

Kriminetz: Für welchen Film (wenn der Etat bei der Umsetzung keine Rolle spielt) würden Sie gerne das Drehbuch schreiben?

Michael Proehl: Science-Fiction wäre toll. Und damit meine ich komplexere Science-Fiction für Erwachsene. Die höchste Stufe der Kreativität in der fiktionalen Erzählung. Schade, dass dieses Genre in Deutschland nicht angemessen gewürdigt wird. Die Drehbücher zu „Die Hyperion-Gesänge“ von Dan Simmons zu schreiben wäre so ein Traum, aber da sitzen schon die Amerikaner dran.

Kriminetz: Vielen Dank, Michael Proehl, für die Beantwortung der sieben Fragen.

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