Sieben Fragen an Petra Reski

Auf dem Bild: Die Journalistin und Schriftstellerin Petra Reski. Foto: © Paul Schirnhofer

Die Journalistin und Schriftstellerin Petra Reski, geboren im Ruhrgebiet, lebt in Venedig. Seit 1989 schreibt sie über Italien – für Die Zeit, Geo, Merian, Focus und Brigitte – und immer wieder über das Phänomen Mafia. Sie drehte einen Film über Mafiafrauen und wurde für ihre Reportagen und Bücher mehrfach ausgezeichnet, in Deutschland zuletzt mit dem Journalistinnenpreis und als Reporterin des Jahres.
In Italien erhielt sie für ihr Antimafia-Engagement den Premio Civitas und den Amalfi Coast Media Award. Petra Reski hat mehrere Romane und Sachbücher veröffentlicht, zuletzt bei Hoffmann und Campe Von Kamen nach Corleone. Die Mafia in Deutschland (2010), Palermo Connection (2014) und Die Gesichter der Toten (2015) . Zeitgleich zum neuen, dritten Fall von Serena Vitale, Bei aller Liebe, erscheint 2017 im Thiele Verlag Alles über Venedig als überarbeitete Neuausgabe.

Petra Reski ist Mitglied im SYNDIKAT, der Autorengruppe deutschsprachige Kriminalliteratur.

Für Kriminetz hat Petra Reski sieben Fragen beantwortet.

Kriminetz: In „Bei aller Liebe“ stößt Serena Vitale auf Geschäfte in Verbindung mit Flüchtlingen. Für einige sind sie ein lukratives Geschäft. Was könnte man dies unterbinden und gleichzeitig Europa für Schutzsuchende zugänglich machen?

Petra Reski: Öffentliche Gelder in ihre Taschen umzuleiten, ist die Königsdisziplin der Mafia. Nach dem Gesundheitswesen, der Müllbeseitigung und der Windenergie hat sich mit der Flüchtlingskrise für die Mafia ein neues Geschäftsfeld eröffnet. Das Zauberwort heißt emergenza: Notstand. Und den gab es ja auch in Deutschland, in jenem Sommer 2015. Grundsätzlich müsste ein politischer Wille da sein, die Mafia zu bekämpfen. Und den kann ich nicht erkennen, weder in Deutschland, noch in Italien.

Kriminetz: Immer wieder verschwinden minderjährige unbegleitete Flüchtlinge – welches Ausmaß hat dies in der Realität?

Petra Reski: Als ich meine Recherchen dazu gemacht habe, war ich ganz erstaunt, wie locker damit umgegangen wird - in Deutschland und in Italien. Das BKA nannte 2016 Zahlen von über 9000 als vermisst geltenden Flüchtlingskindern - gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass sich dahinter auch Mehrfachregistrierungen etc. stecken können oder Jugendliche, die sich auf den Weg zu ihren Eltern in einem anderen Land gemacht haben. Kurz: Genaues weiß man nicht. Das lässt natürlich viele Interpretationen zu. Für Verbrecher ideal.

Kriminetz: Das Zitat auf S. 190 „… das Denkmal sollte an die beiden Richter erinnern, die in die Luft gesprengt worden waren, weil ihre Ermittlungen den Pakt zwischen Staat und Mafia gefährdet hatten“ möchte man beim Lesen gar nicht mit der Realität in Verbindung bringen?

Petra Reski: In Italien läuft seit einigen Jahren ein Prozess, der sich der unheiligen Allianz zwischen der Mafia und dem italienischen Staat widmet, es ist das erste Mal, dass Mafiosi zusammen mit Ministern, hohen Staatsbeamten und Geheimdienstlern auf der Anklagebank sitzen. Es besteht inzwischen kein Zweifel mehr daran, dass die beiden ermordeten Antimafia-Staatsanwälte nicht nur der Mafia im Weg waren, sondern auch den Politikern, die mit der Mafia ihre Geschäfte machen. Dieser Prozess hat mich für meinen ersten Roman inspiriert: „Palermo Connection“: Meine Protagonistin Serena Vitale ist eine aus der Generation der Antimafia-Staatsanwälte, die gerade von der Universität kamen, als diese Morde geschahen. Das hat ihr Weltbild nachhaltig geprägt.

Kriminetz: Dino, im Roman der Sohn und Thronfolger des Mafia-Bosses, zieht es nach Deutschland. Was macht Deutschland als Standort für die italienische Mafia so attraktiv?

Petra Reski: Die Geldwäsche ist in Deutschland ein Kinderspiel, es gibt kaum Gesetze, die der Mafia Steine in den Weg legen, und die Deutschen halten die Mafia immer noch für eine Folklore: beste Vorraussetzungen für mafiose Geschäfte.

Kriminetz: Wäre Italien – oder überhaupt ein Wirtschaftsraum – gänzlich ohne mafiöse Strukturen denkbar?

Petra Reski: Selbstverständlich ist so etwas denkbar. Es geht ja auf Kosten aller. In ganz Europa übrigens. Nicht nur in Italien. Aber der Mensch ist nun leider mal nicht gut, sondern korrumpierbar. Pecunia non olet. Das wirklich Spannende an der Mafia ist für mich nach wie vor die sogenannte „Grauzone“: Die ist literarisch unendlich ergiebig. Interessanter und facettenreicher als die Mafia. Ohne diese Grauzone hätte die Mafia nie existiert. Ohne die Unterstützung der vermeintlich Guten, ohne die Feigheit vieler und den verschlossenen Mündern all denjenigen, die für sich einen persönlichen Vorteil aus der Mafia ziehen können, ohne ihre Sympathisanten – Unternehmer, Politiker, Ehefrauen, Rechtsanwälte, Notare, Bischöfe, Bürgermeister, Polizisten und Journalisten – wäre die Mafia schon längst besiegt.
Alle diejenigen, die nur so tun, als stünden sie auf der Seite der Guten, sind literarisch unfassbar lohnend. Finde ich. Und deshalb kann Dino, der in Deutschland lebende Sohn des Mafiabosses auch sagen: "Wir sind struktureller Bestandteil des internationalen Finanzkapitalismus. Oder sehen Sie einen Unterschied zwischen uns und einem Hedgefondsmanager? Wir gehören zur Macht wie das Lenkrad zum Auto."

Kriminetz: Venedig war schon immer ein Anziehungspunkt auch für Deutsche. Schon vor mehreren Hunderten von Jahren schickten die Kaufleute ihre Söhne dorthin, damit sie die Buchführung im „Deutschen Haus“ lernten, in dem über 200 Menschen leben konnten. Was ist das Geheimnis dieser ungeheuren Anziehungskraft, die, zum Nachteil der Stadt, auch diese ungeheuren Massen an Touristen anlockt?

Petra Reski: Venedig war über die Jahrhunderte stets ein Besuchermagnet, einfach, weil die Stadt ein Weltwunder ist. Allerdings sehe ich gerade dabei zu, wie dieses Weltwunder von der Gier zugrunde gerichtet wird. Die Touristenmassen haben Venedig getötet. Seit Jahren wird ein Billigtourismus gefördert, der im Grunde nur dazu dient, ein Selfie am Markusplatz zu machen. Venedig interessiert diese Besucher nicht, es dient nur als Hintergrund. Für die Verantwortlichen des Niedergangs Venedigs, also Lokalpolitiker und andere Interessengruppen sind die letzten Venezianer nur Hindernisse, die es zu beseitigen gilt, damit die Verwandlung in ein Freilichtmuseum mit Imbissständen und Airbnb-Wohnungen perfekt ist. Leider.

Kriminetz: Syndikatsmitglieder treffen sich nicht nur einmal im Jahr bei der Criminale sondern auch regional bei verschiedenen Stammtischen. Gibt es in Venetien auch einen? ;-)

Petra Reski: Es gibt viele italienische Schriftsteller, die faszinierende Spannungsromane über die italienische Wirklichkeit schreiben. Denn die übertrifft immer noch jede Phantasie. Aber von einem Stammtisch habe ich noch nicht gehört.

Kriminetz: Vielen Dank, Petra Reski, für die Beantwortung der sieben Fragen.

Zur Website von Petra Reski

Seit etlichen Jahren ist Venedig die Wahlheimat von Petra Reski. Foto: © Claudia Schmid, Kriminetz