Sieben Fragen an Regina Schleheck

Die Schriftstellerin Regina Schleheck. Foto: © Henrik Reimann

Die Schriftstellerin Regina Schleheck ist im Krimi und in der Phantastik zuhause. Neben dem Friedrich-Glauser-Preis der deutschsprachigen Krimiautoren und dem Deutschen Phantastikpreis gewann sie bereits viele andere Preise. Hauptberuflich ist sie Oberstudienrätin. Sie wurde 1959 geboren und ist fünffache Mutter. Außerdem ist die Autorin auch als Herausgeberin und Lektorin tätig. Sie veröffentlicht seit 2002. Neben zahlreichen Kurzgeschichten hat sie einen Roman, einen kriminellen Freizeitführer, Hörspiele, Lyrik, Theaterstücke und Drehbücher veröffentlicht. Seit 1996 wohnt Regina Schleheck in Leverkusen. Sie gehört den »Mörderischen Schwestern«, dem »Syndikat« und »PAN«, dem Phantastik-Autoren-Netzwerk, an.

Für Kriminetz beantwortete Regina Schleheck sieben Fragen.

Kriminetz: Wenn man sich anschaut, was du alles machst, drängt sich die Frage auf, wann du schläfst. Hast du ein extrem gutes Zeitmanagement?

Regina Schleheck: In meiner Jugend war ich Leistungsturnerin. Später musste ich fünf Kinder alleine durchbringen. Da lernt man Schmerzfreiheit, Disziplin, Durchhaltevermögen, Organisieren und viele Dinge gleichzeitig erledigen. Außerdem habe ich über viele Jahre, die ich rund um die Uhr nur noch für andere funktioniert habe, ein derartiges Bedürfnis angestaut, endlich wieder etwas für mich tun zu können, dass ich davon, glaube ich, immer noch zehre.

Kriminetz: Du hast einen Roman über den sog. „Kirmesmörder“ Jürgen Bartsch veröffentlicht. Was hat dich an diesem wahren Fall gereizt, dass du einen Roman darüber verfassen wolltest?

Regina Schleheck: Zunächst ist er jemand, der mich seit meiner frühesten Jugend begleitet hat. Wir waren ja immer auf der Straße unterwegs. Dass uns immer eingeschärft wurde, nur ja von einem Mann keine Süßigkeiten anzunehmen und schon gar nicht zu ihm ins Auto zu steigen, hatte mit dem Fall Bartsch zu tun. Obwohl der ja nur hinter Jungen her war. Aber so genau konnte man das nicht wissen, bis sie ihn geschnappt hatten, und dann wusste man einfach, was möglich war. Ganz besonders hat mich an ihm fasziniert, dass er als Opfer begann, zum Täter wurde und am Ende wieder Opfer war. Die Grausamkeit, die er an den Tag gelegt hat. Die Offenheit, mit der er später Auskunft gegeben hat. Man kann, wenn man sich mit ihm beschäftigt, nicht umhin, mitzufühlen. Zu seinen familiären Problemen kam die Nachkriegszeit, die von Verdrängung, Tabus, dem fortwirkenden Nazi-Ethos, Entbehrungen und der Konfrontation mit dem Lebensstil der Besatzungsmächte geprägt war. Die Zeit spielt eine wichtige Rolle in dem Roman. Viel später habe ich noch eine ganz verrückte Beziehung zu ihm festgestellt. Ich bin bei der Recherche auf eine Aufnahme von seinem Grabstein gestoßen. Er war auf einem Friedhof in einer Großstadt beigesetzt worden, weit weg von seiner Heimatstadt, weil man natürlich fürchtete, dass das Grab geschändet würde. Ein großer Stein mit einem Kreuz, auf dem nur sein Nachname stand. Als ich das Foto sah, wusste ich, dass ich das Grab ganz oft gesehen haben musste. Auf dem Weg zum Grab meines Vaters. Es war aber nicht mehr da und auf Nachfragen erhielt ich auch keine Auskunft. Vielleicht bilde ich es mir ein. Aber als ich das Bild einem meiner Söhne gezeigt und ihn gefragt habe, ob er den Grabstein kennt, sagte er sofort, er stehe auf dem Weg zum Grab seines Opas.

Kriminetz: Du schreibst sehr viele Kurzgeschichten. Wie lange brauchst du in der Regel für eine?

Regina Schleheck: Oh, unterschiedlich. Grundsätzlich nicht lang. Von anderen höre ich, dass sie viel länger dran sitzen. Mein Rekord waren vier Geschichten an einem Tag. Die hatten aber auch einen Umfang um die fünf Normseiten. Mittlerweile habe ich mehr Anfragen zu Geschichten, die einen größeren Umfang haben. Da schreibe ich auch schon mal einen oder zwei Tage. Wenn eine aufwändige Recherche dran hängt, kann es auch länger dauern. Da ich das Schreiben in meine sehr knapp bemessene Freizeit packen muss, kann es auch passieren, dass ich eine Geschichte beginne und erst Wochen später dazu komme weiterzuschreiben. Das ist total doof, weil ich das Gefühl für die Geschichte verloren habe und mich neu einfädeln muss. Sie wird auf jeden Fall anders, als sie im ersten Anlauf geworden wäre.

Kriminetz: In „Wer mordet schon in Köln“ flechtest du in elf Kurzgeschichten 125 Freizeittipps mit ein. Verrätst du deinen Lieblingsplatz in Köln?

Regina Schleheck: Eine ähnlich schwierige Frage wie die nach einem Lieblingsbuch. Ich sag mal, es gibt einen Ort, den ich bestimmt schon dreißig Mal besucht habe und der mich immer wieder total begeistert. Auch wenn es vollkommen abgegriffen klingt: die Dächer des Kölner Doms. Mich haut die gotische Bauweise um, die etwas unglaublich Erhebendes hat. Sie zieht den Blick in die Höhe, zu Gott. Auch wenn ich nicht religiös bin: Es funktioniert. Ein riesiges steinernes Monument, das zugleich total filigran wirkt. Wenn du aufsteigst, siehst du erst, was für ein Labyrinth das ist. Die Stützwerke sind wie eine Gebirgslandschaft und überall gibt es etwas zu entdecken. An Stellen, die nie jemand zu sehen bekommt, sind Skulpturen angebracht, die in monate- und jahrelanger Arbeit gefertigt wurden. Irrsinnige Details. Diese Energie, die Menschen darauf verwenden, etwas so Wunderbares zu schaffen, das gleichzeitig vollkommen überflüssig ist, flasht mich jedes Mal. Gleichzeitig steckt so viel Blut in jedem Stein. Jahrhundertelang wurde daran gebaut, sind Menschen dafür gestorben, mussten riesige Summen aufgebracht werden. Menschen sind schon vollkommen verrückt und großartig.

Kriminetz: Du bist in verschiedenen Genren unterwegs. Bevorzugst du eines davon?

Regina Schleheck: Ich habe lange gesagt, ich schreibe keine Krimis. Genauso wenig passe ich in die Phantastik-Schublade. Aber ich schätze vieles an beidem. Der Krimi ist eine wunderbare Möglichkeit menschliche Verwerfungen aufzuzeigen, Gesellschaftskritik zu üben, Konflikte voranzutreiben. Die Phantastik kann dem Geschehen einen großartigen Krawumm geben, den Konflikt noch eine Windung weiter treiben, ins Surreale. Ich neige, wenn, dann am ehesten dem magischen Realismus zu. Egal, was ich schreibe, es muss einen Realitätsbezug geben. Sonst ist es irrelevant.

Kriminetz: Was bedeutet dir die Mitgliedschaft in Netzwerken wie das Syndikat und die Mörderischen Schwestern?

Regina Schleheck: Sehr viel. Menschen sind, was ihr Gehirn angeht, eine monströse Fehlentwicklung der Natur, die dazu führt, dass sie ein Bewusstsein ihrer selbst haben und damit nicht klar kommen, sondern immer versuchen, sich anderen mitzuteilen, um aus diesem Gefangensein in sich auszubrechen. Deswegen schreiben sie Bücher, stehen an Criminale-Theken herum und schwätzen dummes Zeug. Die „Mörderischen Schwestern“ sind mir ein ernsthafteres Anliegen, weil ich sehe, dass es noch ein verdammt langer Weg ist, ehe Frauen ähnliche Rechte und Wertschätzung zugestanden wird wie Männern, auch als Autorinnen. Natürlich auch eine Frage der Disposition. Ich bin übrigens seit letztem Jahr außerdem im PAN, dem Phantastik-Autoren-Netzwerk. Was mir auch am Herzen liegt, weil die Phantastik ebenfalls viel ernster genommen werden und aus der Schmuddel-Ecke raus muss. Im Ernst: Ich liebe den Austausch und Projekte mit anderen.

Kriminetz: Du bist Mutter von fünf Kindern. Ein bekennendes Plädoyer für die Großfamilie?

Regina Schleheck: Absolut. Die Kinder sind das Größte, was ich im Leben zustande gebracht habe. Die Erfahrung kann ich jedem nur wünschen. Es relativiert das Ego sehr. Ich bin selbst mit drei Geschwistern groß geworden, fand das aber zu wenig. Gleichzeitig kann ich nur davor warnen. Wir leben in einer extrem kinderfeindlichen Gesellschaft. Das Konzept Familie, Partnerschaft ist out. Ich habe die Kinder mehr schlecht als recht durchgebracht. Das ist alleine halt kaum zu schaffen. Es empfiehlt sich sehr, dass sich mindestens zwei solche Bekloppte wie ich zusammenfinden. Sonst ist es sauschwer.

Kriminetz: Vielen Dank, Regina Schleheck, für die Beantwortung der sieben Fragen.

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