Sieben Fragen an Sebastian Fitzek und Michael Tsokos

Das Foto zeigt Michael Tsokos und Sebastian Fitzek. Es entstand vor ihrer Lesung in der Alten Feuerwache in Mannheim. Foto: © Jürgen Schmid, Kriminetz

Sebastian Fitzek gilt als der Meister des deutschen Thrillers. Der Schriftsteller ist promovierter Jurist und veröffentlichte die Bestseller „Die Therapie“, „Amok-Spiel“, „Das Kind“, „Der Seelenbrecher“, „Splitter“, „Der Augensammler“ und „Der Augenjäger“. Die Bücher von Sebastian Fitzek werden in vierundzwanzig Sprachen übersetzt; als einer der wenigen deutschen Thrillerautoren schaffte der Autor den Sprung nach USA und England, der Heimat des Spannungsromans. Sein dritter Roman “Das Kind” wurde mit internationalen Stars verfilmt.
Gemeinsam mit Michael Tsokos, der das Institut für Rechtsmedizin der Charité und das Landesinstitut für gerichtliche und soziale Medizin in Berlin leitet, veröffentlichte Sebastian Fitzek nun den Thriller „Abgeschnitten“. Michael Tsokos ist Verfasser der Fallsammlungen „Dem Tod auf der Spur“ und „Der Totenleser“.
Im November 2012 stellten die beiden ihren Thriller in Mannheim vor. Vor der Lesung fand im Backstage-Bereich der Alten Feuerwache ein Interview mit Kriminetz statt. Die Kriminetz-Redaktion traf zwei entspannte Autoren, die am Vortag in Stuttgart aufgetreten waren.

Für Kriminetz beantworteten Sebastian Fitzek und Michael Tsokos sieben Fragen.

Kriminetz: Jeder von euch beiden ist sehr erfolgreich mit seinen Büchern. Von wem kam jetzt die Idee zu einem gemeinsamen Buch?

Michael Tsokos: Also die Idee zum gemeinsamen Buch ist tatsächlich gemeinsam entstanden. Die Grundidee für den Plot von „Abgeschnitten“ kam mir schon vor Jahren und Sebastian hat mich Mal beim Small Talk gefragt, da er meine Sachbücher kannte - damals haben wir uns noch gesiezt: „Haben Sie eigentlich Mal eine Idee für etwas Fiktionales?“ Denn das Leben schreibt ja fast spannendere Geschichten, als sich ein Autor vorstellen kann. Wir haben die Grundidee besprochen, Sebastian nahm den Ball auf und wir haben das gemeinsam entwickelt. Die Idee kam von uns gemeinsam.

Kriminetz: Wie darf man sich eure gemeinsame Arbeit am Manuskript vorstellen: ging der Text immer per Mail kapitelweise hin und her oder habt ihr gemeinsam am Computer gesessen?

Sebastian Fitzek: Zunächst einmal ist ja wahnsinnig viel Arbeit im Vorfeld für einen Thriller und für einen Krimi nötig. Zumindest sehen wir das so. Es ist ja eher vergleichbar mit einem Witz. Wenn man einen Witz erzählt, muss man im Vorfeld die Pointe kennen. Wen man anfängt, den zu erzählen ohne die Pointe zu kennen, wird es am Ende schwierig, Lacher zu erzeugen. Genauso ist es mit einem Thriller oder Krimi. Wenn man den erzählt, braucht man auch eine gute Pointe und gute Figuren. Da muss man, neudeutsch gesagt, plotten. Und das haben wir sehr lange gemeinsam gemacht. Wir haben uns oft getroffen, auch zuhause. Dann habe ich einen ersten Entwurf geschrieben. Der Text ging ständig hin und her und dann ans Lektorat. Aber wir saßen nicht nebeneinander und haben geschrieben. Aber am Anfang, so ein halbes Jahr, war die gemeinsame Geschichten- und Figurenentwicklung.

Kriminetz: Fand zur Recherche an „Abgeschnitten“ eine gemeinsame Obduktion statt?

Michael Tsokos: Ja. Es fand viel zur Recherche statt. Wir waren auf Helgoland, haben uns die Schauplätze angeschaut, wo was spielt, haben Häuser und einen Leuchtturm angeschaut, auch die Gänge darunter. Und dann ist Sebastian zu mir ins Institut gekommen und hat bei einer Obduktion zugeschaut. Das dachte er zumindest, aber es waren dann tatsächlich zwölf Obduktionen an diesem Tag.

Zwischenfrage Kriminetz: Habt ihr euch die geteilt?

Sebastian Fitzek: Nein, nein, natürlich nicht. Ich habe nicht selber … Das darf ich gar nicht. Ich will ja nicht unser Rechtssystem gefährden.

Zwischenfrage Kriminetz: Aber als Jurist kann man schon während der Ausbildung in der Referendarzeit bei einer Obduktion dabei sein.

Sebastian Fitzek: Das könnte man machen. Aber dazu muss ich sagen, ich bin zwar Jurist und habe nach dem ersten Staatsexamen promoviert, das zweite Staatsexamen habe ich aber nie gemacht. Deshalb war das meine allererste Obduktion, die ich dann an dem Tag miterlebt habe.

Kriminetz: Sind weitere gemeinsame Projekte mit euch beiden in Planung oder geht nach diesem Buch jeder wieder literarisch einzeln seinen Weg?

Michael Tsokos: Erst mal gehen wir jeder literarisch wieder seinen eigenen Weg weiter. Wir bleiben uns weiterhin freundschaftlich verbunden, wir werden uns auch weiterhin sehen. Es passt alles ganz gut zusammen, unsere Familien verstehen sich, wir wohnen in der gleichen Ecke. Wir haben jeder eigene neue geplante Projekte, Verträge. Aber wenn wir Mal wieder eine gemeinsame Idee haben, die mindestens so gut ist wie die für „Abgeschnitten“, ist das nicht ausgeschlossen.

Sebastian Fitzek: Im Moment ist nichts geplant. Wenn uns wieder eine gemeinsame Idee kommt, dann machen wir das. Aber eine Fortsetzung um der Fortsetzung willen wird es nicht geben.

Kriminetz: Die Frage geht jetzt an Michael Tsokos. Medizinstudenten werden sicherlich langsam an ihre erste Obduktion herangeführt. Erinnern Sie sich an Ihre erste eigene Obduktion, die Sie durchgeführt haben?

Michael Tsokos: Ja, ich erinnere mich an meine erste Obduktion in der Rechtsmedizin. Das war in Hamburg in den neunziger Jahren. Da habe ich eine Neunzehnjährige obduziert, die sich suizidiert hat. Die nahm ein blutverdünnendes Mittel ihres Vaters, hat sich dann die Pulsadern aufgeschnitten. Das ganze war nicht effektiv, sie ist nicht gestorben. Sie ist dann noch mit dem Auto durch die halbe Stadt gefahren zu einem Hochhaus und ist da aus dem 19. Stock gesprungen. Und das mit neunzehn Jahren. Ich erinnere mich aus zwei Gründen an diesen Fall: Ich habe mir damals gedacht, wenn die diese ganze Energie in etwas Sinnvolles umgewandelt hätte, etwas Positives aus ihrem Leben gemacht hätte, dann hätte die mit dieser Kraft, die sie offenbar hatte, um etwas umzusetzen, viel erreichen können. Und weil ein sehr guter Schulfreund von mir grade in Hamburg war, der in derselben Firma arbeitete und die kannte. Deshalb erinnere ich mich sehr genau daran. Aber wahrscheinlich wird es jedem meiner Kollegen so gehen, dass er sich an seine erste Obduktion genau erinnert.

Kriminetz: Ist Schockierendes ein Transportmittel für gesellschaftliche Themen wie beispielsweise Pädophilie oder Selbstjustiz?

Sebastian Fitzek: Gute und schwierige Frage. Ich würde sagen, grundsätzlich ist der Thriller auf jeden Fall dazu geeignet, solche Themen einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren. Und sie dazu zu bringen, sich damit auseinander zu setzen. Weil tatsächlich auch schockierende Artikel in der Tageszeitung häufig überblättert werden, man setzt sich nicht damit auseinander. Der Verdrängungsmechanismus, der ja wichtig und richtig ist, der funktioniert da einfach sehr gut. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen denken, dass beispielsweise Kindesmissbrauch oder Pädophilie ein Einzelfalldelikt ist. Angesichts der Kriminalliteratur müsste es ja sehr viel mehr Serienmörder geben als Menschen, die Kindern missbrauchen. Aber es gibt alleine in Deutschland schätzungsweise 300.000 Pädophile. Das ist also ein Massendelikt. Dadurch, dass es in der populären Literatur so selten aufgetaucht ist, ist es auch zum Teil verdrängt worden. Insofern finde ich es sehr wichtig, und ich finde es fast schädlich, wenn solche Themen ausgegrenzt werden, weil man sagt, nein, das mach ich lieber nicht, da beschreibe ich lieber den zweihunderttausendsten Serienmörder, der intelligent Frauen zerstückelt, aber ich beschäftige mich nicht mit den Kernproblemen. Aber das entscheidet jeder Autor selbst.
Uns lagen bestimme Themen auf dem Herzen. Wir haben uns aber auch nicht hingesetzt und haben gesagt, wir wollen mit erhobenem Zeigefinger etwas zu diesem Thema schreiben. Es hat sich einfach von selbst geschrieben. Als wir mit dem ersten Entwurf fertig waren, merkten wir, da steckt ja diese explosive Mischung drin. Die haben wir ein bisschen mehr heraus gearbeitet, aber eigentlich hat unser Unterbewusstsein gesagt, das bewegt dich und da müsst ihr was dazu machen.

Kriminetz: Der Bestseller „Das Kind“ wurde für das Kino verfilmt. Was war für dich, Sebastian, persönlich das Spannendste bei der Verfilmung?

Sebastian Fitzek: Das Spannendste war wirklich bis kurz vor Drehbeginn die Frage, ob das überhaupt stattfindet. Denn auch noch während des Drehs stehen Filmproduzenten mit einem Bein in der Insolvenz und mit dem anderen Bein im Grab und können sich dann aussuchen, welchen der beiden Tode sie sterben werden. Denn das ganze ist ein absolutes Hochrisikogeschäft, ich ziehe meinen nicht vorhandenen Hut vor allen hauptberuflich arbeitenden Filmproduzenten. Wenn es zum Beispiel nur an einem einzigen Tag ununterbrochen regnet und man kann nicht drehen, aber die Schauspieler müssen am nächsten Tag schon wieder woanders drehen und können nicht mehr da sein, dann platzt der ganze Film. Ob die zugesagte Finanzierung auch wirklich kommt, und und und. Millionen von Rädchen müssen ineinander greifen. Und bis die erste Klappe fällt, kann man sich nicht sicher sein, ob das auch wirklich funktioniert. Also das war wirklich die spannendste Phase.

Zwischenbemerkung Kriminetz: Ich fand Dieter Hallervorden im Film hervorragend, das war eine ganz tolle Besetzung. Es war mutig von ihm, die Rolle des Pädophilen zu spielen.

Sebastian Fitzek: Ich fand es sehr, sehr mutig von ihm. Er hat das Buch schon 2008 gelesen und von daher wusste ich, dass er den Roman mochte. Und als wir so eine Person gesucht haben, der man das auf den ersten Blick nicht ansieht, die man für einen netten Kerl hält und der zudem auch noch ein guter Schauspieler ist, wurde er gefragt. Er hat sich 24 Stunden Bedenkzeit erbeten und hat dann sofort ja gesagt. Man sieht es ja nie jemanden an. Die Nationalsozialisten haben, so weit ich weiß, in der Universität Kiel die „Killer-Täter-Typen-Lehre“ erforschen lassen - das hat mein Strafrechtsprofessor erzählt -, ob man anhand der Physiognomie erkennen kann, ob jemand gut oder böse ist. Das war nationalsozialistisches Gedankengut, das war natürlich völliger Quatsch und Schwachsinn. Hinter einem netten Menschen können sich Abgründe auftun und ein Mensch, bei dessen Anblick man die Straßenseite wechselt, kann derjenige sein, der einem hilft, wenn man in Bedrängnis kommt.

Vielen Dank, Sebastian Fitzek und Michael Tsokos, für die Beantwortung der Fragen.

Zur Website von: Sebastian Fitzek

Claudia Schmid im Gespräch mit Sebastian Fitzek und Michael Tsokos. Die beiden Thriller-Autoren beantworteten für Kriminetz sieben Fragen. Foto: © Jürgen Schmid, Kriminetz