Sieben Fragen an Stefan Dettlinger

Stefan Dettlinger, Autor von "Linds letzte Laune", erschienen im Wellhöfer-Verlag, Mannheim.

Stefan Dettlinger, geboren 1965 in Stuttgart, ist Feuilletonchef einer regionalen Tageszeitung. Er studierte Klavier, Gesang, Komposition und Musikwissenschaft in Stuttgart, Paris und Berlin. Er schrieb Gedichte, arbeitete für deutsche, französische und Schweizer Magazine und Zeitungen. Mit Linds letzte Laune legt er im Wellhöfer-Verlag, Mannheim, seinen ersten Roman vor.

Für Kriminetz beantwortete Stefan Dettlinger sieben Fragen.

Kriminetz: In Ihrem Krimi wird der Chef-Redakteur einer Tageszeitung zerteilt, ein Universitätsprofessor verschwindet spurlos. Gab es Auslöser für diesen Plot?

Stefan Dettlinger: Meinen Sie jetzt so in der Art: Ich habe das geschrieben, weil ich selbst manchmal Lust habe, den Chefredakteur zu zerteilen? Ach was! Überhaupt nicht! Übrigens stimmt Ihre Frage gar nicht. Wenn Sie „Linds letzte Laune“ lesen, werden Sie bemerken, dass alles anders ist. Und letztlich war die Sache mit dem Mord auch nur ein Vehikel, um die Geschichte, die aus mir raus musste, zu erzählen. Ein lupenreiner Krimi, bei dem ja der Ermittler im Mittelpunkt steht, ist „Linds letzte Laune“ ohnehin nicht.

Kriminetz: Hat es Spaß gemacht, nach all den Jahren ihrer beruflichen Tätigkeit, nun etwas Fiktionales zu schreiben?

Stefan Dettlinger: Total – obwohl es ja nicht so ist, dass ich erst jetzt mit dem fiktionalen Schreiben begonnen habe. Das fing in Paris an mit kleinen Geschichtchen, die ich Frauen zuschickte. Dann, in meiner Berliner Zeit, habe ich damit begonnen, einen richtig dicken Roman zu schreiben, der sich am Ende in einem großen entropischen Urknall auflöst. Nur wollte ich damals auch ein bisschen Geld verdienen und bin in den Journalismus gerutscht und habe den belletristischen Faden ein wenig aus den Augen verloren. Als ich vor ein paar Jahren dann plötzlich merkte: Verdammt, du gehst streng auf die 50 zu, habe ich mir gesagt: Jetzt oder nie. Also habe ich mich hingesetzt und dieses Buch geschrieben. Und wie Sie sagen: Das ist schon auch eine Befreiung, also im Sinne von Be-Freiung, weil man journalistisch natürlich immer auf einen zu behandelnden Gegenstand festgelegt ist und in diesem Rahmen Freiheit hat. Beim Roman hat man aber die totale Freiheit. Das ist schon ein super Gefühl.

Kriminetz: Hatten Sie bei der Veröffentlichung eines Regional-Krimis keine Bedenken bezüglich des „U“? Es wird im Bereich der Unterhaltung in Feuilleton-Kreisen ja immer so gerne in „E“ und „U“ unterschieden.

Stefan Dettlinger: Ich persönlich würde mein Buch, aber auch mein journalistisches Arbeiten, als EU bezeichnen. Also im Journalismus finde ich Infotainment nicht unbedingt ein Schimpfwort. An meinen Kritiken, Texten, Betrachtungen und Kommentaren sollen die Leute natürlich auch ein bisschen Spaß haben. Und mein Buch ist keine reine Unterhaltung, denke ich, und ein Regionalkrimi ja eigentlich auch nicht. Mein Verleger und ich, wir wussten lange nicht, ob wir das Ding überhaupt Kriminalroman nennen sollen. Insofern: Angst hatte ich keine. Im Übrigen denke ich, dass jedes gute Buch, sei es nun Platon, Victor Hugo oder T.C. Boyle, auch immer unterhaltende Aspekte hat. Mozarts Musik hat auch Tiefe, obwohl sie an der Oberfläche vielleicht auch unterhaltsam sein kann, und hinter der glatten Oberfläche eines Gerhard-Richter-Gemäldes können sich tiefe psychologische Felsspalten öffnen. Insofern: Was mich interessiert, ist die Mehrschichtigkeit in die Tiefe hinein.

Kriminetz: Sie haben bei der Buchmesse in Frankfurt Ihren Roman vorgestellt. Welche Eindrücke bringen Sie von dort mit?

Stefan Dettlinger: Too much of all. Das Frustrierende an der Buchmesse ist, dass sie einem klarmacht, dass man nur ein Staubkörnchen im literarischen Universum ist. Ich hatte zwar keine Illusionen, also ich dachte nicht: Du gehst da hin und sie werden sich auf dich stürzen wie die Massen am Ende von „Das Parfum“ auf Jean-Baptiste Grenouille. Aber ein bisschen mehr inhaltliches Interesse hatte ich ehrlich gesagt von den dort herumwandelnden Menschen trotzdem erwartet.

Kriminetz: Sterben die Print-Medien unaufhaltsam weiter? Gibt es rein gar nichts, was diesen Prozess aufhalten könnte?

Stefan Dettlinger: Das einzige Mittel, das aufzuhalten, ist: Die Leute müssen uns kaufen! Die Leute müssen wieder einen Wert an der Tageszeitung sehen – ob gedruckt oder digital. Die Leute müssen erkennen, dass Informationen von Menschen gemacht und aufbereitet werden, und dass es da Profis gibt, die man Journalisten nennt, und andere, die auf sozialen Netzwerken alles Mögliche treiben. Die Leute müssen erkennen, dass sie nicht die Zeit haben, selbst auf dem unendlichen Strom an weltweiten Nachrichten das herauszufiltern, was Relevanz hat und dass es dafür Journalisten gibt. Die Leute müssen sich wieder daran erinnern, wie wertvoll es ist, eine freie Presse zu haben, Journalisten zu haben, die unabhängig sind, die unabhängig analysieren und bewerten. Und dass kein Unternehmen auf der Welt Menschen anstellt, die ein Produkt herstellen, was sie dann Millionenfach verschenken. All das soll nicht heißen, dass auch der Journalismus in den Printmedien sich nicht ändern müsste. Aber ein Rezept ist derzeit nicht gefunden. Die einen sagen: Mehr Tiefe, mehr Ausführlichkeit, mehr Regionalisierung. Die anderen sagen: Bunter und boulevardesker. Ich persönlich rechne mich ganz klar zu den ersten.

Kriminetz: Die berühmte Midlife-Crisis - ereilt sie jeden von uns unausweichlich? Oder gäbe es vorbeugende „Maßnahmen“?

Stefan Dettlinger: Es gibt nur ein Mittel: Weitermachen!

Kriminetz: Der Nobelpreis für Literatur wurde in diesem Jahr Bob Dylan verliehen. Hat Sie das überrascht?

Stefan Dettlinger: Na ja, er war ja seit langem im Gespräch. Insofern: Überrascht hat es mich nicht. aber ich weiß bis heute nicht, ob ich es gut finde oder nicht. Ich verstehe die, die sagen: Jetzt hält die Popkultur auch noch Einzug ins letzte Refugium für den reinen Geist, nämlich ins Wort. Ich verstehe aber auch die anderen, die sagen: Es ist nur logisch, dass er ihn bekommt, weil die literarische Qualität seine Song- und Prosatexte so hoch ist, wobei – da brauchen wir uns nichts vorzumachen - über seine Prosa wohl heute niemand sprechen würde, wenn es nicht „Blowin‘ in the Wind“ oder „The Times they are a-changin‘“ gäbe. Aber aufzuregen braucht sich keiner, denn Frauen oder Männer mit dieser Fallhöhe in der sogenannten Popularkultur gibt es ja kaum welche. Insofern dürfte der Preis an Dylan für sehr lange Zeit ein Solitär bleiben und mehr oder weniger bekannte und lesbare Schriftsteller und Theaterautoren werden folgen wie seit Jahrzehnten, von denen man teils kein Buch gelesen hat.

Stefan Dettlinger bei Facebook