Sieben Fragen an Stefan Schweizer

Stefan Schweizer hat im Gmeiner Verlag "Die Akte Baader" veröffentlicht.

Stefan Schweizer wurde in Ravensburg geboren. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in Stuttgart und in Pittsburgh/USA. Nach der Promotion und dem Zweiten Staatsexamen arbeitete der Autor im Bildungswesen. 2017 zog er nach Potsdam, wo er sich voll und ganz dem Schreiben zuwandte. Schweizer ist erfolgreicher Autor von Sachbüchern über Terrorismus, Politik und Geschichte, aber auch im Bereich Literatur- und Kulturwissenschaft. Seine große Leidenschaft gilt aber dem Schreiben von Kriminalromanen.

Aktuell ist von ihm Die Akte Baader im Gmeiner Verlag erschienen.

Für Kriminetz beantwortete Stefan Schweizer sieben Fragen.

Kriminetz: Soeben ist im Gmeiner Verlag dein biografischer Roman mit dem Titel „Die Akte Baader“ erschienen. Was interessiert dich besonders an dem Menschen Andreas Baader, dessen Lebenszeit sich mit deiner kurz überschnitten hat? Welche Rolle hatte er innerhalb der ersten Generation der Terrororganisation RAF?

Stefan Schweizer: Andreas Baader fand ich schon als Heranwachsender eine interessante, schillernde Figur. Dass er voller Widersprüche steckte, war mir damals schon klar. Fasziniert hat mich die Tatsache, wie sich jemand dermaßen radikal und ohne Rücksicht auf Verluste gegen eine ganze Gesellschaftsordnung stellen kann. Er hatte den Mut, der BRD den Krieg zu erklären. Baaders Rolle in der ersten RAF-Generation war wohl die des Machers. Intellektuell waren ihm Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin deutlich überlegen. Aber er war der Typ, der sich ums Praktische kümmerte. Organisieren von Waffen und Sprengstoff. Durchführen von Attentaten. Damit möchte ich nicht sagen, dass er nicht die politischen Diskussionen mitbestimmte. Aber seine Hauptaktivitäten lagen wohl eher im praktischen Bereich.

Kriminetz: Du hast bereits mehrere Bücher, darunter auch Sachbücher, zur RAF veröffentlicht. Was ist für dich das Relevante an diesem Thema?

Stefan Schweizer: Die Geschichte der Roten Armee Fraktion ist für mich eines der zentralen Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte von 1970 bis zur Wiedervereinigung. Anhand der RAF können viele die BRD bestimmenden Themen exemplarisch verdeutlicht werden. Die Rolle des Vietnamkrieges, die Emanzipation der Frau, die nichtstattgefundene Entnazifizierung in weiten Teilen der deutschen Gesellschaft, der Linksruck in der Gesellschaft in den 60er Jahren auf Seiten der Studierenden und gleichzeitig die Konsolidierung der Reaktion in der „normalen“ Gesellschaft. Bei allem verbrecherischen Tun, das die RAF zweifellos begangen hat, hat sie doch immer wieder der deutschen Gesellschaft einen Spiegel über ihre Unzulänglichkeiten vorgehalten. Das hat bis heute Spuren hinterlassen, auch wenn es die RAF seit 20 Jahren nicht mehr gibt. Wer die Veranstaltungen und Diskussionen über das „Jubiläum“ des Deutschen Herbsts letztes Jahr verfolgt hat, dürfte erstaunt gewesen sein über die Vehemenz und Verbitterung mit der diese zum Teil geführt wurden. Dass ein Tatort von Dominik Graf über die Todesnacht von Stammheim vom Feuilleton bis ins Bundeskanzleramt dermaßen hohe Wellen schlägt, ist für mich bezeichnend.

Kriminetz: Die Figur Andreas Baader in deinem Roman ist eine komplexe Person. Wie hast du dich an sie herangetastet, dich beim Schreiben in deine Romanfigur eingefühlt?

Stefan Schweizer: Das war in der Tat ein interessanter und langwieriger Prozess. Dabei habe ich viel über Andreas Baader und auch mich selbst gelernt. Die Gretchenfrage lautete aber: War Andreas Baader ein Mensch, den es zu bewundern galt oder war er das Monster, als das die Staatsschutzorgane und Medien ihn zeichneten? Für einen Nachgeborenen ist das nicht so leicht zu entscheiden. Letztlich blieben aber die menschenverachtenden Bombenattentate gegen Beamte, die Presse und gegen die damalige Besatzungsmacht USA. Letztlich glaube ich, dass Baader für viele, die ihn näher kannten, ein Mensch war, mit dem der Umgang sehr schwierig war. Er übte aber insbesondere auf diejenigen eine besondere Faszination aus, denen er einmal ein Bier ausgab, die ihn nur aus der Ferne, aus dem Fernsehen oder aus dem Gerichtssaal kannten.

Kriminetz: Wie schwierig war es, an Recherche-Material zu gelangen? Konntest du auch mit Menschen sprechen, die ihn gekannt haben?

Stefan Schweizer: Ich hatte das Glück mit mehreren Personen sprechen zu können, die Andreas Baader persönlich gekannt haben. Die Einschätzungen über ihn gingen dabei weit auseinander. Ein Ehemaliger der 2. RAF-Generation spricht heute noch mit allergrößter Hochachtung von dem Menschen Andreas Baader. Eine Frau, die sich damals im Umfeld der Kommune I in Berlin bewegte, und die durchaus Sympathien für die RAF an sich hatte, fand den Menschen Andreas Baader einfach nur widerlich, da er ein Macho par excellence und ein menschliches Ekel gewesen sei. Für einen Autor ist es nicht einfach, aus diesen widersprüchlichen Informationen, ein homogenes Ganzes zu formen. Zum Glück ist sehr viel über Baaders Leben dokumentiert, sodass es nicht schwierig war, an die Grundinformationen heranzukommen.

Kriminetz: Haben zur Zeit der 1. Generation der RAF-Terroristen V-Männer eine Rolle gespielt?

Stefan Schweizer: Ja, es gab auch V-Männer im Umfeld der 1. RAF-Generation. Der als S-Bahn-Peter bekannte Spitzel Peter Urbach war maßgeblich daran beteiligt, dass Baader nach seinem Abtauchen bei einer Aktion, die der Waffenbeschaffung diente, geschnappt wurde. Danach gelang es aber der RAF wohl, V-Männer aus ihrem Umfeld fern zu halten. Dann gab es erst wieder mit Verena Becker ab 1975 jemanden, der aller Wahrscheinlichkeit nach vom Bundesverfassungsschutz als Spitzel gegen die RAF eingesetzt wurde. Spannend ist hier die Frage, inwieweit die staatlichen Stellen über die Anschlagsplanungen der RAF informiert waren. Hätten also die Attentate auf Generalbundesanwalt Siegfried Buback, den Vorstandssprecher der Dresdner Bank Jürgen Ponto und die Entführung und Ermordung von Hanns-Martin Schleyer verhindert werden können? Alleine diese Fragen liefern schon wieder genug Material für ein neues Buch. In der 3. RAF-Generation war es der Spitzel Klaus Steinmetz, der zur Verhaftung von Birgit Hogefeld und zum Tod von Wolfgang Grams geführt hat.

Kriminetz: Welche Auswirkungen und langfristigen Folgen hatte die RAF für die Bundesrepublik Deutschland?

Stefan Schweizer: Die RAF ist für mich eine Art „Self-fulfilling Prophecy“. Sie hatte prophezeit, dass der Staat, wenn man ihn denn angriffe, sein wahres Gesicht zeigen würde. Ob das das wahre Gesicht ist, weiß ich nicht, in jedem Fall hat die RAF uns alle viele bürgerliche Freiheiten gekostet, die in der Folge der Terroranschläge vom Gesetzgeber einkassiert wurden. Das hätte meines Erachtens nicht passieren dürfen, denn eine freiheitlich-demokratische Grundordnung muss in der Lage sein, mit terroristischen Bedrohungen umzugehen, ohne die Freiheit aller Bürger zu beschneiden. Das ist leider nicht gelungen. Und heute akzeptieren wir beinahe ohne zu murren jegliche Einschränkung unserer Privatsphäre, ob es nun um das Speichern oder Mitlesen von Mails, WhatsApp oder SMS geht. Das sind für mich nicht akzeptable langfristige Folgen der RAF.

Kriminetz: „Lebt“ die RAF immer noch?

Stefan Schweizer: Die RAF „lebt“ nicht mehr. Sie hat im April 1998 in ihrer Auflösungserklärung bekannt gegeben, dass es sie als Organisation nicht mehr gibt. Gleichwohl lebt die RAF in unserem kulturellen Gedächtnis weiter. Daran wird sich auch so schnell nichts ändern. Und dann gibt es noch die drei Untergetauchten, die verdächtigt werden, der RAF angehört zu haben: Burkhard Garweg, Daniela Klette und Ernst-Volker Staub. Mich erstaunt es, dass die drei trotz gestochen scharfer Fahndungsfotos seit Jahren nicht gefasst werden können. Leider begehen sie einen Raubüberfall nach dem anderen – bisher zum Glück ohne Tote, was ja aber nicht so bleiben muss.

Kriminetz: Vielen Dank, Stefan Schweizer, für die Beantwortung der sieben Fragen.

Stefan Schweizer: Ich habe zu danken.

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