Sieben Fragen an Stephan Urbach

Das Foto zeigt Stephan Urbach. © Peter Wenz

Stephan Urbach, 1980 im hessischen Lautenbach geboren, studierte Deutsch und Geschichte für Lehramt, was er jedoch zugunsten einer Ausbildung zum Bank- und Sparkassenkaufmann nicht abschloss. Stephan Urbach war von 2010 bis 2013 Mitglied der Aktivistengruppe Telecomix, die während des Arabischen Frühlings international bekannt wurde. Er unterstützte die Opposition in Tunesien, Ägypten, Libyen und Syrien. Sein Ziel war es, dazu beizutragen, Menschen trotz staatlicher Zensur an weltweiter Kommunikation teilhaben zu lassen.

Stephan Urbach engagiert sich ohne Rücksicht auf sich selbst und gerät an seine eigenen Grenzen. Als einer seiner Freunde in Syrien, den er über das Internet kennt, während eines Video-Chats ermordet wird und die Abschiedsformel ihrer Nachrichten „Let’s meet in better times“ unwiderruflich nicht mehr eingelöst werden kann, steht er selbst vor dem Aus. Freunde helfen ihm, diesen geschlossenen Kreis aufzubrechen und in ein neues Leben zu starten. Seine Geschichte erzählt er in Neustart – aus dem Leben eines Netzaktivisten, erschienen bei Knaur.

Für Kriminetz beantwortete Stephan Urbach sieben Fragen.

Kriminetz: In Ihrem Buch beschreiben Sie sehr persönlich Ihren Weg zum Netzwerkaktivisten. Warum wollten Sie es schreiben?

Stephan Urbach: Weil ich musste. Ich lag mit einem schweren Bandscheibenvorfall im Krankenhaus und während ich im Schmerzmittelrausch meine Emails las, sagte ich aus versehen zu, das Buch zu machen. Als ich nach geglückter Operation wieder zu Hause war, bekam ich Mails vom Verlag und fragte mich, was die von mir wollen. Ich schaute dann in meine gesendeten Emails und plötzlich sah ich, dass ich einen Buchvertrag habe. Dann wollte ich aber auch keinen Rückzieher mehr machen.

Kriminetz: Ein Digital Native ist was?

Stephan Urbach: Ein Digital Native ist jemand, der mit der Vernetzung, mit dem Computer, dem Smartphone und/oder Spielekonsolen aufgewachsen ist. Für diese Menschen ist das Netz kein Neuland, sondern Erweiterung des Handlungsraums. Im besten Falle vergessen sie, dass hinter ihrer Vernetzung Technologie steckt. Digital Native bewegen sich im Netz genauso wie auf der Straße.

Kriminetz: Bank- und Sparkassenkaufmann klingt nicht so wirklich prickelnd. Haben Sie zu irgendeinem Zeitpunkt gedacht, Sie ziehen das bis zur Rente durch?

Stephan Urbach: Nein, natürlich nicht. Ich weiß ja meistens noch nicht einmal, was ich nächste Woche machen will, da weiß ich ganz sicher nicht, was ich bis zur Rente machen möchte :)

Kriminetz: Als der „Arabische Frühling“ ausbrach, schöpften viele die Hoffnung, die Lebensbedingungen für Millionen Menschen könnten sich ändern. Es muss ein Hammergefühl gewesen sein, selbst helfen zu können, indem man dazu beiträgt, dass die Opposition trotz abgeklemmten Internets kommunizieren kann?

Stephan Urbach: Jedes Datenpaket, dass über unsere Leitungen gelangte, war ein kleiner Adrenalinstoß. Aber nach dem Hoch kommt auch immer ein Tief. Der Fall ist schlimm. Noch schlimmer ist der Aufprall.

Kriminetz: Das Internet bietet neben den Möglichkeiten des Austausches auch die der Überwachung durch entsprechende Technologie. Aber wie lässt sich dem entgegen wirken?

Stephan Urbach: Einerseits technisch mit TOR, PGP und anderen Verschlüsselungsmethoden. Andererseits durch das Abschaffen von Geheimdiensten. So einfach ist das :)

Kriminetz: Der Mord an Muhammad, den sie via Bildschirm mit erlebten, hat etwas in ihrem Leben ver-rückt. Haben Sie heute das Gefühl, bei sich selbst angekommen zu sein oder zumindest an einer Stelle, die es Ihnen ermöglicht, nach diesem traumatischen Erlebnis weiter zu leben?

Stephan Urbach: Sagen wir es: Ich bin in einem fragilen Frieden mit mir und der Welt. Wie lange der hält? Keine Ahnung. Mittlerweile ist klar, dass Muhammads Sterben umsonst war. Es gibt nur noch Verlierer in Syrien, egal wer diesen Bürgerkrieg jemals gewinnt.

Kriminetz: Sie wirkten eine Weile bei den Piraten mit. Sind Sie heute noch in einer Partei politisch aktiv?

Stephan Urbach: Nein, ich gehöre keiner Partei mehr an. Im Augenblick finde ich alle schlimm. Auch wenn die Parteien behaupten, dass man innerhalb selbiger am besten Politik machen könnte, ist das natürlich Unfug - es geht auch außerhalb.

Kriminetz: Vielen Dank, Stephan Urbach, für die Beantwortung der sieben Fragen.

Link zur Website von Stephan Urbach.