Sieben Fragen an Susanne Ziegert

Das Foto zeigt die Schriftstellerin Susanne Ziegert beim Läuten der Glocke am Leuchtturm. Foto: © Yani

Susanne Ziegert wurde im Erzgebirge geboren und wuchs in Leipzig und Plauen im Vogtland auf. Zwei Tage vor dem Mauerfall floh sie in den Westen, um endlich Paris zu sehen. Nach ihrem Studium in Aix-en-Provence in Südfrankreich arbeitete sie mehrere Jahre in Brüssel und zog dann nach Berlin, wo sie eine Stelle als Reporterin bei der Berliner Morgenpost antrat. Seit 2019 lebt Susanne Ziegert mit ihrem Ehemann und den gemeinsamen Pferden und Eseln in einem alten Bauernhof im Landkreis Cuxhaven und in Berlin. Sie arbeitet als Journalistin für die Neue Zürcher Zeitung am Sonntag und Dolmetscherin für Französisch. Schreiben war ihr von klein auf ein Bedürfnis. Als Kind verfasste sie Briefe in alle Welt, Tagebücher sowie einen Roman über die Stadt der Liebe. Schon damals träumte sie davon, Schriftstellerin zu werden.

Für Kriminetz beantwortete Susanne Ziegert sieben Fragen.

Kriminetz: Deine Kriminalromane handeln an der Nordsee. Was begeistert dich selbst an dieser Gegend?

Susanne Ziegert: Die Nordsee war unser Urlaubsort, als wir noch in Berlin wohnten.
Durch eine Zeitungsreportage kam ich auf die kleine Insel Neuwerk, die im Wattenmeer vor Cuxhaven liegt. Mich faszinierte das Leben im Rhythmus von Ebbe und Flut. Wenn der Meeresboden freiliegt, kann man mit der Pferdekutsche hinüberfahren oder wandern. Dort spielt mein erster Kriminalroman. Bei der Recherche für weitere Folgen haben wir das ehemalige Land Wursten bei Cuxhaven entdeckt mit kleinen Kutterhäfen, wo noch Krabbenfischer ankern, grünen Wiesen soweit das Auge reicht. Die Gegend heißt wegen der Wurten so, den Landaufschüttungen als Schutz vor der Überflutung. Hügel mit alten Reetdachhäusern, Wasserläufe und bis zu sieben Deiche hintereinander prägen die Landschaft. Wir haben uns in ein Haus von Anno 1786 verliebt und wohnen jetzt dort. Ein Traum, den wir uns erfüllt haben. Die Menschen im Norden sind übrigens gar nicht so kühl, wie ihnen nachgesagt wird. Wir sind von den Nachbarn herzlich aufgenommen worden, man hilft sich gegenseitig. Die Kehrseite der Medaille sind die Dunkelheit im Winter, beängstigend starke Stürme, oder wochenlanger Regen.

Kriminetz: Wie ist Kommissarin Friederike von Menkendorf in deine Fantasiewelt getreten? War sie ganz plötzlich da oder hast du diese Figur nach und nach entwickelt?

Susanne Ziegert: Ich habe Friederike schon beim Schreiben des ersten Romans vor meinem geistigen Auge gesehen. Eine blonde, große und sportliche Frau, mit großem Gerechtigkeitssinn, die immer ein wenig distanziert und kühl wirkt. Damit schützt sie sich nach einer schlimmen persönlichen Enttäuschung vor zu engen Beziehungen. Bisher habe ich ihre private Vorgeschichte nur angedeutet, in Küstendorf können die Leser endlich nachlesen, was damals geschah und entdecken, wo Rike herkommt. Ihr Vorfahren bewohnen ein schlossartiges Anwesen in der Lüneburger Heide und rümpfen die Nase über die Arbeit bei der Polizei. Ihrem Hund Prinz lässt sie allerdings einiges durchgehen und liest ihm jeden Wunsch von den Augen ab. Lustigerweise habe ich kürzlich eine junge Frau kennengelernt, die exakt so aussieht, wie meine Kommissarin aus der Phantasie. Ein bisschen Ähnlichkeit hat sie mit einer früheren Reitlehrerin, natürlich ganz zufällig.

Kriminetz: In „Küstendorf“, dein Kriminalroman, der in Bälde im Gmeiner-Verlag erscheint, kommt ein Reichsbürger ums Leben. Wie kamst du auf dieses Thema?

Susanne Ziegert: Schuld war ein Dachbodenfund in einem alten Haus am Moor, das ein Freund im Norden Niedersachsens für eine Mark gekauft hatte. Das Gebäude war eine Ruine, die erbärmlich stank, überall auf dem Grundstück lagen Hundekadaver. Der frühere Bewohner lebte dort mit 40 Hunden, die an einer mysteriösen Krankheit starben. Aus seinen Unterlagen ging hervor, wie er selbst die Ursache herausfand, ihm jedoch niemand glaubte. Er kämpfte zuerst um Anerkennung, die ihm versagt blieb, da er ein sehr einfacher Mann war. Vom Tierarzt und Veterinäramt wurde er abgewiesen, seine Versicherung lehnte Hilfe ab.
In den Schreiben konnte man verfolgen, wie er immer verbitterter wurde, gegen sämtliche Ämter und Institutionen kämpfte. Er lebte isoliert mit seinen Tieren, ließ niemanden auf sein Grundstück. Steuern hielt er für überflüssig, da der Staat auch nicht für ihn da war. Ihm wurde Unrecht getan und er hat auf extreme Weise darauf reagiert. Am Ende verlor er Haus und Hof. Jahre später stellte sich heraus, dass seine Forschungsergebnisse zutreffend waren. Eine tragische Geschichte, die ich schon seit langem aufschreiben wollte. Natürlich ist sie verfremdet und zugespitzt.

Kriminetz: Du hast deine Studienzeit in Aix-en-Provence verbracht hast. Die Landschaft der Provence ist ja schon ein Kontrast zur Küstenregion an der Nordsee. Fährst du dort heute noch in Urlaub hin?

Susanne Ziegert: Ich liebe die Landschaft der Provence, das Klima, den Duft nach Lavendel, Thymian und Rosmarin, das besondere Licht. Momentan reisen wir seltener. Da wir mit unseren Pferden und Eseln auf dem Resthof wohnen, brauchen wir bei Abwesenheit eine Vertretung. Im Sommer bleiben wir aber sowieso am liebsten an der Nordsee und gehen im Meer schwimmen oder Wattwandern.

Kriminetz: Hast du dich in der Camargue, der Schwemmlandebene in der Provence, in Pferde verknallt und wolltest letztendlich dann auch selber welche halten?

Susanne Ziegert: Ich war tatsächlich in der Camargue zum ersten Mal auf dem Sattel unterwegs und liebe diese wunderschönen weißen Ponys. Ich hatte schon damals den Wunsch, das Reiten richtig zu lernen und ein paar Jahre später in der Lüneburger Heide ergab sich diese Möglichkeit. Dem Pferdehof in Soltau habe ich ein Denkmal gesetzt, dort leben die Eltern meiner Kommissarin. Zum ersten eigenen Pferd kam ich ziemlich spontan, da mein liebstes Schulpferd verkauft werden sollte. Ich hatte eine Nacht zum Überlegen und habe mich dann für meine Hanna entschieden. Sie ist mittlerweile eine 32-Jährige rüstige alte Haflingerdame, die mich seit über 20 Jahren begleitet. Das zweite Pferd Ramses, ein Vollblüter, war ein ‚Scheidungskind‘, der etwas verloren in unserem Brandenburger Pensionsstall stand. Er hatte zwei Esel, Sandiego und Antonio, als beste Freunde. Nach dem Tod ihres Zweibeiners beschlossen wir, die beiden in die Familie aufzunehmen. 2019 sind wir alle gemeinsam umgezogen.

Kriminetz: Hat es dich im Nachhinein geärgert, just zwei Tage vor dem Mauerfall in den Westen geflohen zu sein oder verbuchst du das unter „Erfahrung sammeln“?

Susanne Ziegert: Nein, im Gegenteil. Das war eins der größten Abenteuer meines Lebens und erlebte Geschichte. Mit einem Freund bin ich über Tschechien am Grenzübergang Marktredwitz ausgereist. Eigentlich sollten wir in ein Flüchtlingslager fahren, aber wir hatten eine Adresse von entfernten Bekannten. Dort klingelten wir um gegen 22 Uhr und wurden freundlichst empfangen, fast die ganze Nacht haben wir über die politische Lage diskutiert. Dann fuhren wir zu den nächsten Bekannten nach Stuttgart, Autofahrer winkten und hupten, wir wurden überall begeistert von den Westdeutschen begrüßt. ‚Wo kommt Ihr her? Wie seid Ihr rausgekommen?‘ Wir bekamen ständig Einladungen. Die Nachricht vom Mauerfall haben wir wegen eines Abendessens mit angeregten Gesprächen mit den nächsten Gastgebern verpasst. Erst als um 6 Uhr früh der Radiowecker versehentlich schellte, hörten wir das Unglaubliche. Was für eine Freude. Ich finde es schade, dass dies bei Vielen in Vergessenheit geraten ist und dass Montagsdemonstrationen heute missbraucht werden. Vor der Flucht war ich im Oktober 1989 bei einer Demonstration in Dresden dabei, wo uns bewaffnete Soldaten gegenüberstanden, erst nach langen Verhandlungen senkten sie die Gewehre. Zum Glück blieben damals alle besonnen, es hätte auch in einem Massaker enden können.

Kriminetz: Nachdem die Corona-Epidemie weitgehend überwunden wurde, können endlich wieder Lesungen stattfinden. Worauf können sich deine Leserinnen und Leser freuen?

Susanne Ziegert: Am 1.4.2023 findet die Buchpremiere von Küstendorf im Moorinformationszentrum Ahlenmoor statt. Da die Handlung im Moor spielt, passt die schaurige Atmosphäre perfekt zum Inhalt. Ebenso die musikalische Begleitung durch einen Solomusiker. Weiteres ist geplant, die Details folgen in Kürze auf meinen Kanälen. Ich freue mich sehr über die Möglichkeit, wieder Lesern zu begegnen und ins Gespräch zu kommen.

Kriminetz: Vielen Dank, Susanne Ziegert, für die Beantwortung der Fragen.

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Schriftstellerin Susanne Ziegert mit ihren Tieren. Foto: © Heike Leuschner