Der Schriftsteller Thomas Breuer wurde 1962 im westfälischen Hamm geboren. Nach dem Abitur studierte er Germanistik, Sozialwissenschaften und Pädagogik in Münster. Seit 1993 unterrichtet er als Lehrer die Fächer Deutsch, Sozialwissenschaften und Zeitgeschichte an einem Gymnasium im Kreis Paderborn. Seit 2010 veröffentlicht er Kriminalromane und kriminelle Kurzgeschichten. Der Schriftsteller ist Mitglied im Syndikat, der Autorengruppe deutschsprachige Kriminalliteratur. Thomas Breuer lebt mit seiner Familie in Büren, Kreis Paderborn.
Für Kriminetz beantwortete Thomas Breuer sieben Fragen.
Kriminetz: Weshalb hast du dich als Schriftsteller für das Genre Krimi entschieden?
Thomas Breuer: Ich interessiere mich besonders für Gesellschaftstheorien, d. h. für den Versuch, gesellschaftliche Zusammenhänge und Problemlagen zu ergründen und zu erklären. Besonders in Krimis werden die Abgründe von Menschen und von gesellschaftlichen Strukturen deutlich. Deshalb haben ja zum Beispiel auch die bedeutendsten Autoren von Gesellschaftsromanen wie Theodor Fontane und Friedrich Dürrenmatt unter anderem Krimis geschrieben. Das Autorenpaar Maj Sjöwall und Per Wahlöö hat in zehn Kommissar-Beck-Krimis die komplexen Missstände des schwedischen Gesellschaftssystems aufgedeckt. Das fasziniert mich. Krimis legen die Gesellschaft unter ein Brennglas, die Themen sind relevant und Literatur muss relevant sein. Reine Unterhaltungsliteratur ohne problematisierenden Gesellschafts- oder Geschichtsbezug hat mich noch nie interessiert. Deshalb schalte ich sonntags abends immer den „Tatort“ in der ARD ein und niemals Rosamunde Pilcher im ZDF.
Kriminetz: In deinem kürzlich erschienenen Kriminalroman „Der letzte Prozess“ ermitteln Kriminalhauptkommissar Stefan Lenz und der Journalist Fabian Heller im rechten Milieu. Was war der Auslöser, dich mit diesem Thema zu beschäftigen?
Thomas Breuer: Ich habe mich lange gegen die Forderung gewehrt, einen Roman zu schreiben, der in meinem direkten Lebensumfeld spielt, weil ich in meinen Romanen immer deutlich Stellung beziehe und Leuten mitunter auf die Füße trete. 2016 ging das aber nicht mehr: In Detmold wurde der wohlmöglich letzte große Auschwitz-Prozess gegen den Wachmann Reinhold Hannig geführt, gleichzeitig marschierte in Paderborn die AfD zu Kundgebungen auf und hetzte gegen Flüchtlinge, die nationalistische Identitäre Bewegung wurde in Ostwestfalen immer stärker und die Reichsbürger füllten mit ihren staatsfeindlichen rechtsextremen Aktionen fast täglich die Lokalseiten. Ich hatte einfach das Gefühl, mehr dagegen tun zu müssen, als an Gegenkundgebungen teilzunehmen, obwohl auch das natürlich wichtig ist. Schriftsteller erreichen Tausende von Lesern und sollten ihre Chance nutzen, die nötigen Diskussionen anzustoßen und deutlich Position zu beziehen. Am Ende geht es mir darum, aufzuzeigen, dass all die rechten Strömungen nicht neu sind. Wir bzw. unsere Eltern und Großeltern haben das alles schon einmal erlebt. Wohin das geführt hat, wissen wir und der Hanning-Prozess hat es noch einmal in Erinnerung gerufen. Wir haben die besondere Verantwortung, eine Wiederholung mit allen demokratischen und künstlerischen Mitteln unbedingt zu verhindern. Also musste Leander auf Föhr vorübergehend eine Pause einlegen, damit Lenz und Heller in Paderborn, Detmold und Büren gegen alte und neue Nazis ermitteln konnten.
Kriminetz: Gibt es die im historischen Teil des Kriminalromanes beschriebene Wewelsburg und deren Nutzung durch die SS tatsächlich?
Thomas Breuer: Ja, das Dorf Wewelsburg gehört zu meiner Heimatstadt Büren und liegt zehn Autominuten von meinem Haus entfernt. Die Burg wurde genau wie im Roman dargestellt zum Schulungszentrum für Himmlers SS ausgebaut. Zu diesem Zweck wurde das KZ Niederhagen gegründet, in dem durch das Programm „Vernichtung durch Arbeit“ mehr als 1250 Menschen umgebracht wurden. Auch die Briefe, die ich in den Roman eingebaut habe, haben eine reale Vorlage: Der Wewelsburger Wachsturmführer hat einen regen Briefwechsel mit seiner Frau unterhalten und es ist schon erstaunlich und erschreckend, was das Ehepaar darin alles offen angesprochen hat. Diese Briefe liegen heute im Giftschrank des Kreismuseums. Ich durfte sie einsehen und in künstlerisch überarbeiteter Form verwenden. Gerade bei den historischen Zusammenhängen recherchiere ich immer sehr aufwendig und gründlich, arbeite mit Historikern zusammen, halte mich streng an die Fakten und schreibe in einer Art dokumentarischer Fiktion. Das ist natürlich eine Gratwanderung, aber genau solche Herausforderungen sind mein Antrieb beim Schreiben.
Kriminetz: Du veröffentlichst neben deinen Kriminalromanen auch Kurzgeschichten. Was reizt dich an der kurzen Form?
Thomas Breuer: Eigentlich liegt mir die Langform viel näher als die Kurzform. Kurzkrimis sind sehr aufwendig. Sie verlangen im Grunde eine ähnlich intensive Plotentwicklung wie ein Roman. Die Kunst besteht darin, den Spannungsbogen in einer extremen Verdichtung aufzubauen, sprachlich noch genauer und aussagekräftiger zu arbeiten und Dialoge knackig auf den Punkt zu bringen. Das macht mir Spaß. Außerdem nutze ich Kurzkrimis auch gerne einmal, um Themen auszuprobieren. Zum Beispiel habe ich das Wewelsburg-Thema in einem Weihnachtskrimi angetestet. Das kam bei Lesungen so gut an, dass ich mich darin bestärkt gefühlt habe, den „letzten Prozess“ zu schreiben.
Kriminetz: Auf deiner Website verrätst du Brotrezepte. Worin liegt die wahre Kunst des Brotbackens?
Thomas Breuer: In der Ruhe und Geduld. Der Leitsatz lautet: Brot braucht Zeit. Ich backe mit eigenem Sauerteig, der über Jahre weitergeführt und dadurch immer besser wird. Außerdem muss der Teig über Stunden, bei manchen Rezepten bis zu drei Tage lang gehen. Das schnellste Brot, das ich backe, benötigt bei vorhandenem Sauerteig vom Mischen bis zum fertigen Brot etwa dreieinhalb Stunden. Außerdem benutze ich im Haushaltsbackofen einen Backstein, der die nötige Hitze von unten liefert. Finger weg von Backmischungen und Backautomaten! Wenn man die nutzt, kann man auch gleich beim Billigbäcker um die Ecke Brot aus dem Gebäcksolarium kaufen.
Kriminetz: Woran arbeitest du derzeit?
Thomas Breuer: Meine „Leander“-Leserinnen und -Leser drängen auf den nächsten Föhr-Krimi. Auf den Inseln hat man es nicht so gerne gesehen, dass ich mit dem „letzten Prozess“ fremdgegangen bin. Außerdem ist Henning Leander so etwas wie meine Herzensfigur, mit der bei mir alles angefangen hat. Entsprechend arbeite ich momentan an dem sechsten „Leander“-Krimi mit dem Arbeitstitel „Leander und der Blanke Hans“. Es geht dabei um den Klimawandel und die wahnsinnigen Anstrengungen, die er für den Küstenschutz bedeutet. Der Anlass dafür war ein Brief von der Insel Sylt, in dem mir Hintergrundmaterial für einen Millionen-Skandal angeboten wurde. Dann kam der Dürresommer 2018 und damit der letzte Auslöser. Im Herbst war ich auf den Nordfriesischen Inseln und habe dort recherchiert und Gespräche geführt. Der Plot steht, jetzt geht es ans Schreiben. Das dauert bei mir in der Regel ein Jahr, weil ich die Schriftstellerei momentan noch nebenberuflich betreibe. Erscheinen wird der Roman also voraussichtlich 2020.
Kriminetz: Was gibst du deinen Schülerinnen und Schülern mit auf den Lebensweg – in dieser Zeit, in der Leute scheinbar einfache Antworten auf Fragen unseres Seins in einem komplexen Umfeld geben?
Thomas Breuer: Dass nichts wirklich einfach zu beantworten ist. Wer behauptet, die großen Herausforderungen mit einfachen Antworten meistern zu können, ist ein Demagoge und Rattenfänger, dem man auf keinen Fall folgen darf. Alles ist antinomisch, hat gleichzeitig Vor- und Nachteile, birgt Chancen und Risiken, die man verantwortungsvoll abwägen muss. Und wenn man dann erkennt, dass ein Problemlösungsversuch mehr Chancen als Risiken birgt, muss man ihn auch konsequent angehen und vertreten. Ich versuche, meinen Schülerinnen und Schülern zu vermitteln, dass man sich nicht wegducken darf, wenn der Gegenwind scharf bläst. Jeder ist für seine Zukunft selbst verantwortlich. Es lohnt sich, wenn man sich für eine bessere Welt einsetzt und den Populisten die Stirn bietet.
Kriminetz: Vielen Dank, Thomas Breuer, für die Beantwortung der sieben Fragen.
Zur Website von Thomas Breuer hier klicken