Sieben Fragen an Thomas Wörtche

Der Literaturkritiker und Publizist Thomas Wörtche im Gespräch bei der Frankfurter Buchmesse. Foto: © Jürgen Schmid, Kriminetz

Der Literaturkritiker und Publizist Thomas Wörtche wurde in Mannheim geboren. Dem Studium der Germanistik und Philosophie in Bochum und Konstanz folgte die Promotion an der Universität Konstanz mit dem Thema „Phantastik und Unschlüssigkeit“. Er gilt als Experte für Kriminalliteratur, schreibt zudem neben anderem auch über Jazz und Comics. Thomas Wörtche publizierte Literaturkritiken und Essays unter anderem in: Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Rundschau, taz, Freitag, Die Woche und Weltwoche. Seit 2010 gibt Thomas Wörtche das CrimeMag im Online-Magazin CULTurMAG heraus, für das Alf Mayer und Anne Kuhlmeyer redaktionell verantwortlich sind. Im Deutschlandradio Kultur sind regelmäßig seine Beiträge zur Kriminalliteratur zu hören.

Thomas Wörtche war auch als Herausgeber für verschiedene Verlage tätig, zur Zeit gibt er für Suhrkamp ein eigenes Krimi-Programm heraus.

Gemeinsam mit Tobias Gohlis initiierte er die Veranstaltungsreihe Krimis machen. Thomas Wörtche war Juror der KrimiZEIT-Bestenliste, ist Jury-Mitglied des Deutschen Krimi Preises und Juror der Bestenliste Weltempfänger der LitProm. Er lebt in Berlin.

Für Kriminetz beantwortete Thomas Wörtche sieben Fragen.

Kriminetz: Dominique Manotti bezeichnete kürzlich bei der Buchmesse in Frankfurt den Krimi als DEN Roman unseres Jahrhunderts. In einer Zeit, in der multinationale Konzerne mehr Bedeutung haben als die Staaten könne man etwa die Klimakrise nicht in der Form eines Liebesromanes erzählen. Ist dem etwas hinzuzufügen?

Thomas Wörtche: Grundsätzlich nein, obwohl ich bei All-Aussagen immer ein wenig nervös werde. Kriminalromane sind sicherlich sehr probate literarische Mittel, um sich ins Handgemenge mit den Zeitläuften zu begeben. Gewalt und Verbrechen sind konstitutiv für alle Gesellschaften, aber wenn die verehrte Dominique Manotti zum Beispiel den Klimawandel anspricht, fällt mir zum Beispiel Science Fiction ein, die das Thema auch erzählerisch bearbeiten kann. Kriminalromane sind tatsächlich extrem relevant, aber daraus eine Hierarchie abzuleiten, ist mir zu gefährlich. Der Anarchist in mir hat sowieso etwas gegen Hierarchien.

Kriminetz: Du bist neben anderem als Herausgeber tätig, zur Zeit für den Suhrkamp-Verlag. Welche Bücher willst du dabei der Leserschaft zugänglich machen?

Thomas Wörtche: Natürlich arbeite ich dabei an der Quadratur des Kreises: Riskante Bücher, die dennoch breitenkompatibel, sprich verkäuflich sind. Riskant in dem Sinn, Autorinnen und Autoren zu finden, die nicht ausgetretenen Pfaden folgen, sondern neue Wege ausprobieren, mit dem Genre umzugehen, die eine eigene Stimme haben und einen eigenen Kopf. Und natürlich habe ich den Ehrgeiz, spannende Autorinnen und Autoren möglichst früh, am besten mit dem ersten Buch, zu entdecken und dann zu sehen, wie sie wachsen und gedeihen und beim Lesepublikum freudig aufgenommen werden. Aber das ist nur ein Aspekt. Grundsätzlich möchte ich Bücher herausgeben, die man herausgeben muss, nicht solche, die man halt mal so herausgeben kann. Dann ist mir auch egal, ob Autorinnen und Autoren schon etabliert sind oder nicht. Hauptsache, das Buch passt. Bloß nicht dogmatisch werden, obwohl ich mich schon grundsätzlich nicht an der grassierenden Re-Launch-Welle von „Klassikern“ beteiligen möchte. Ich möchte schon strategisch nach vorne denken. Aber wer weiß … Ich verstoße hin und wieder gerne gegen eigene Prinzipien. Und siehe – es funktioniert.

Kriminetz: Wir beide haben am selben Tag Geburtstag. Den im August Geborenen werden einige besondere Eigenschaften nachgesagt wie Charme, Teamgeist und Sinn für Schönes. Findest du dich in dieser Beschreibung wieder?

Thomas Wörtche: Mit den richtigen Leuten kann ich freudig Teamplayer sein, bilde ich mir wenigstens ein. Zu den anderen Punkten müssen andere Leute etwas sagen. Böse (?) Zungen behaupten aber schon, dass ich ein typischer Löwe bin – was auch immer das heißen mag.

Kriminetz: Du hast eine Arbeit über die Phantastik geschrieben und damit den Doktorgrad erworben. Welche Schriftsteller und Schriftstellerinnen haben dich dabei besonders interessiert?

Thomas Wörtche: Mon dieu, ist das lange her. Mich hat damals interessiert, ob man eine „Schreibweise“ wie „Phantastik“ erzähltechnisch beschreiben kann. Ein Problem, das auch für andere Genres und Erzählkonventionen relevant ist, bis heute. Ausgesucht habe ich mir damals zwei eher problematische Autoren, Hanns Heinz Ewers und Gustav Meyrink, deren Strukturen ich, ohne Empathie zu entwickeln, mit dem „kalten Blick“ untersuchen konnte. „Gefühligkeit“ im Umgang mit Texten halte ich allerdings bis heute für eine fatale Option.

Kriminetz: Ein bekannter Sendeplatz im öffentlich-rechtlichen Fernsehen für Kimis ist der Sonntagabend in der ARD. Bleibt dein Fernseher zur TATORT-Zeit kalt?

Thomas Wörtche: Lange Jahre, gar Jahrzehnte habe ich den TATORT völlig ignoriert. In den letzten Jahren schau ich mir öfters an, was die da so treiben, nennen wir´s „Marktbeobachtung“.
Und ein paar mag ich richtig gerne: Die WEIMAR-TATORTE von Freund Andreas Pflüger & Murmel Clausen, die meinem Komik-Verständnis ziemlich entsprechen, die Wiener-Teile (ach, Bibi) und natürlich den Rostocker POLIZEIRUF mit den großartigen Anneke Kim Sarnau und Charly Hüber .. oder wenn Friedrich Ani mal wieder was geschrieben hat; bin zur Zeit von der PROTOKOLLANTIN ziemlich begeistert, die ja eine Ani-Idee ist.

Kriminetz: Gelingt es dir hin und wieder, das „Kritiker-Gen“ zu überlisten und rein zur Entspannung zu lesen?

Thomas Wörtche: Ach, wär das schön, Du ahnst gar nicht, wie ich mich danach sehne. Aber meine Déformation professionnelle ist leider ziemlich fortgeschritten. Nur ganz hin und wieder (wenn Grippe oder so) kann ich mich guilty pleasures hingeben, die aber so abscheulich sind, dass ich sie nicht verrate. Jeder anständige Leser hat seine Schmutzecken.

Kriminetz: Du wurdest in Mannheim geboren, im Spannungsdreieck zwischen Ludwigshafen und Heidelberg, der heutigen UNESCO City of Literature. Du lebst seit etlichen Jahren in Berlin. Könntest du dir vorstellen, erneut in der Metropolregion Rhein-Neckar zu wohnen?

Thomas Wörtche: Naja, ich bin jetzt fast dreißig Jahre am Stück in Berlin. In Mannheim war ich gerade mal die ersten acht Jahre meines Lebens, dann habe ich da und dort gelebt. Nennenswerte Wurzeln in Mannheim habe ich nicht, wenn ich (leider selten genug) in der Gegend bin, dann eher in Heidelberg, aber die Region ist schon sehr reizvoll. Ich müsste sie allerdings erst mal wieder neu entdecken. Am meisten vermisse ich anständigen Ochsenmaulsalat, was das KaDeWe dafür hält, ist ein schlechter Witz.

Kriminetz: Vielen Dank, Thomas Wörtche, für die Beantwortung der sieben Fragen.

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