Sieben Fragen an Tommie Goerz

Tommie Goerz wurde mit dem Glauser-Preis 2021 des SYNDIKATs in der Kategorie Roman ausgezeichnet. . Foto: © Jacco Kliesch

Tommie Goerz heißt im richtigen Leben Marius Kliesch. Er hat Soziologie, Philosophie und Politische Wissenschaften studiert, promoviert, war wissenschaftlich tätig, hat 20 Jahre bei einem der weltgrößten Agenturnetzwerke Kampagnen und Strategien für nationale und internationale Unternehmen entwickelt, war Lehrbeauftragter an der Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg und der Faber-Castell-Akademie Stein, Unternehmensberater und hatte eine kleine Agentur. Er gewann u.a. einen Bronzenen Löwen in Cannes (2007). Heute genießt er seinen Ruhestand und den Luxus, dass er seinen Kopf nicht mehr verkaufen muss, sondern ihn 24 Stunden am Tag nur für sich hat.

Für seinen Kriminalroman Meier wurde der Schriftsteller mit dem Glauser-Preis 2021 des SYNDIKATs in der Kategorie Roman ausgezeichnet.

Für Kriminetz beantwortete Tommie Goerz sieben Fragen.

Kriminetz: Auch an dieser Stelle herzlichen Glückwunsch zum Glauser-Preis! Dein Roman „Meier“ zieht einen vom ersten Satz an in Bann. Die knappe, reduzierte Sprache unterliegt einem Rhythmus, hat richtiggehend einen eigenen Beat. Schlägt da der Musiker durch, der seit vielen Jahren in der Band „Hans, Hans, Hans & Hans“ spielt?

Tommie Goerz: Ganz lieben Dank erstmal für die Glückwünsche – und damit zur Frage. Ich würde sie mit »jain« beantworten. Denn mit Hans, Hans, Hans & Hans spielen wir »Fränkische Kabarettmusik und kriminelle Lieder«, also eher Stubenmusik, dezent und manchmal fast volkstümlich angehaucht. Aber ich habe mit den Kollegen vorher über 20 Jahre lang auch richtige Rockmusik gemacht, mit großer Anlage und Krawall, mag sein, dass das bei »Meier« noch durchgeschlagen hat. Was aber tatsächlich zu der so reduzierten, manchmal fast rhythmischen Sprache geführt hat, ist viel banaler: Ich wollte a) nicht wieder mit aller Breite einen 300- oder 400-Seiten-Roman schreiben, also musste ich mich kürzer fassen, und b) wollte ich schlicht einmal einen anderen Sprachduktus ausprobieren. Das hat dann während des Schreibens richtiggehend eine Eigendynamik entwickelt, die die Geschichte und mich mitgerissen hat. So hatte ich die erste Manuskriptfassung auch schon nach zwei Monaten fertig »durchgerockt«.

Kriminetz: Meier sitzt unschuldig im Gefängnis. Gibt es Vermutungen darüber, wie viele Menschen in Deutschland zu Unrecht einsitzen?

Tommie Goerz: Vermutungen gibt es, echte Zahlen sind mir nicht bekannt. Aber es scheinen doch erschreckend viele zu sein, die zu Unrecht einsitzen. Der m. W. noch amtierende BGH-Richter Ralf Eschelbach hat 2013 im Spiegel einmal von geschätzten 650 Fehlurteilen täglich bundesweit gesprochen. Demnach müsste jedes vierte Urteil ein Fehlurteil sein. Da kann einem schon angst werden.

Kriminetz: Meier ist eine Figur, die, egal was er sich ausdenkt und dann auch durchführt, sympathisch wirkt. Meier ist eine Figur jenseits gängiger Moralbegriffe. Wie kamst du auf ihn? Gab es einen Auslöser für diese Figur?

Tommie Goerz: Hm ... Meier, »eine Figur jenseits gängiger Moralbegriffe«. Ja, Meier ist ambivalent. Er kommt als Guter in den Knast, lernt das Böse kennen, kommt als guter Böser wieder raus und agiert böse, bleibt aber im inneren seines Herzens ein Guter. Deswegen mag man ihn auch. Und zur Frage nach einem konkreten Auslöser: Nein, den gab es nicht. Meier ist ganz anders entstanden, aber wenn ich das jetzt ehrlich beantworte, greift sich vielleicht mancher an den Kopf ... egal. Meier ist sozusagen ein ungeplantes Kind. Ursprünglich hatte ich vor, mich einmal an so einer Art Road-Movie auszuprobieren, dafür habe ich Meier auf die Piste gesetzt. Und dann bin ich ihm einfach gefolgt, ich hatte ursprünglich keinen echten Plan oder Plot. Im Lauf des Schreibens hat die Figur dann eine starke Eigendynamik entwickelt. Natürlich war es im Detail komplizierter, ich musste mit Fortlauf der Story vorne wieder jede Menge überarbeiten und viel feilen, aber die Metastory für Meier war tatsächlich so. Vielleicht wie beim Bildermalen: Man hat ein bestimmtes Motiv vor Augen, fängt an, merkt nach der Hälfte, dass es etwas ganz Anderes wird, das einem aber besser gefällt und malt am neuen Motiv weiter, muss dann natürlich viel schon Gemaltes übermalen oder verändern ... so kam Meier in die Welt.

Kriminetz: Dein Studium hast du dir (so ist es auf deiner Website zu lesen) mit diversen Jobs finanziert, u. a. Umzugshelfer, Dachdecker, Automatenwart, Küchenkraft, Postsortierer, Schaltschrankbauer, Tankwart, Beerdigungs-, Hochzeitsmusiker (Gitarre und Klarinette) sowie als Straßenmusiker (Cello-Duo), Fenstermonteur … Die Begegnungen und Erfahrungen dieser Zeit bilden sicher einen schier unerschöpflichen Fundus fürs Erzählen?

Tommie Goerz: Das kann man so sagen, ja, da gibt es Stoff genug. Und es kommen ja noch dreißig Jahre Berufstätigkeit dazu, zumal in so unterschiedlichen Berufsfeldern wie Wissenschaftler, Werber, Unternehmensberater, Dozent. Da erlebt man so einiges an Geschichten und Charakteren. Mein Fundus ist also immens und noch lange nicht erschöpft.

Kriminetz: Deine Reihe um den Nürnberger Kommissar Friedo Behütuns spielt in Nürnberg, du lebst mit deiner Frau in Erlangen. Ist es ein Anliegen, deine Figuren in Franken anzusiedeln?

Tommie Goerz: Wart ihr mal in Franken? Ich bin Franke, habe (fast) mein gesamtes Leben hier verbracht, hier kenne ich Land und Leute und ich mag das alles sehr gerne, mit all seinen Abgründen. Und wenn ich mich hier so gut auskenne und Land und Leute liebe, warum sollte ich meine Geschichten dann woanders ansiedeln? Nein, Franken ist so ein schöner Landstrich, der hat es auch verdient, in Mordsgeschichten verwickelt zu werden.

Kriminetz: Etwas hat mich beim Lesen des Romanes am Rande beschäftigt: Meier lässt einen Fachwerkanbau hydraulisch anheben. Funktioniert das tatsächlich, ohne dass der Bau auseinander fällt, oder entspringt dieser Vorgang schriftstellerischer Freiheit?

Tommie Goerz: Das basiert tatsächlich auf einer wirklichen Begebenheit. Ich war zwischen Abitur und ernsthaftem Studium längere Zeit bei einer »Landkommune« auf einem Hof abseits von allem. Dort hatte sich aus welchen Gründen auch immer ein kompletter Gebäudeteil des Fachwerkhauses abgesenkt und alles war schief. Als ich ein paar Jahre später wieder mal dorthin kam, hatten die Freaks den Bau tatsächlich mit hydraulischen Wagenhebern angehoben, wieder ins Lot gebracht und unterfangen. Also auch hier habe ich nur wieder ins Leben gegriffen.

Kriminetz: Woran arbeitest du derzeit? Dürfen sich deine Leserinnen und Leser auf einen neuen Roman freuen?

Tommie Goerz: Schreiben macht mir so viel Spaß – klar arbeite ich wieder an einem Roman, eigentlich ist er schon fertig, ich feile nur noch daran. Und wieder probiere ich darin etwas für mich völlig Neues aus. Ich sag's mal so: Wenn »Meier« Rock war, dann ist der neue Roman ein getragenes, eher leises und eindringliches Adagio in Moll. Eine tragische, traurige Geschichte, bewusst in ganz einfachen Worten erzählt.

Kriminetz: Vielen Dank, Tommie Goerz, für die Beantwortung der sieben Fragen.

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