Sieben Fragen an Veit Heinichen

Veit Heinichen veröffentlichte mit "Die Zeitungsfrau" bereits den neunten Band der erfolgreichen Reihe um Commissario Proteo Laurenti. Foto: © Monika Loeff.

Der Schriftsteller Veit Heinichen lebt seit zwanzig Jahren in Triest. Nach einem Studium der Betriebswirtschaftslehre und der Tätigkeit bei einem großen Automobilkonzern in Stuttgart entschied er sich für einen weiteren Beruf und wurde Sortimentsbuchhändler. Auch im Verlagswesen war er tätig und arbeitete für namhafte Verlage in Zürich, Frankfurt am Main und Berlin. 1994 war er Mitbegründer des Berlin Verlags, dessen Geschäftsführer er bis 1999 war.

Hauptfigur seiner Romane, die in Triest handeln und in zahlreiche Sprachen übersetzt sowie verfilmt wurden, ist Commissario Proteo Laurenti. Veit Heinichen erhielt viele Preise, neben anderen den Radio Bremen Krimipreis für seine „feinfühlige, unterhaltsame und genaue Erforschung der historisch-politischen Verflechtungen, die Triest als Schauplatz mitteleuropäischer Kultur kennzeichnen.“ Mit Die Zeitungsfrau erscheint bereits der 9. Band der Reihe.

Für Kriminetz beantwortete Veit Heinichen sieben Fragen.

Kriminetz: Sie wohnen seit zwanzig Jahren in Triest. Was schätzen Sie an der „Stadt der Winde“ am meisten?
(Anmerkung: Triest – Stadt der Winde, heißt ein gemeinsam mit Ami Scabar verfasstes Reisebuch des Autors.)

Veit Heinichen: Diversität ist Reichtum! Triest ist geopolitisch gesehen das Bindeglied zwischen dem Herzen Europas und der mediterranen Welt, was sich auf Schritt und Tritt bemerkbar macht. Eine vielsprachige Hafen- und Grenzstadt, zu deren Wachstum die Präsenz von über 90 Ethnien beigetragen hat. Am Meer gelegen, das Karsthochplateau im Rücken, bietet sie eine hohe Lebensqualität. Eine besondere Schönheit, die sich jedem Kitsch verweigert und geschäftig gelebt wird. Diese Stadt ist der Schnittpunkt der drei großen europäischen Sprachräume: hier trifft sich die romanische Welt mit der slawischen und der germanischen. Das prägt den Alltag. Aber auch das kulinarische ist nicht zu verschweigen: Täglich entscheiden wir, ob unser Essen von der Erde oder aus dem Meer kommt, und als klassische Stadt der Einwanderer findet man in Triest auch deren Rezepturen.

Kriminetz: Ihr aktueller Roman trägt den Titel „Die Zeitungsfrau“. Mit dem Sterben der Print-Medien geht auch ein Rückgang dieses Berufes, der für die lebensfrohe Roman-Figur Teresa Berufung ist, einher. Kann diese Lücken im Sozialgefüge eines Viertels jemand schließen?

Veit Heinichen: Teresa Fonda ist unersetzlich, denn sie verkauft nicht nur gedrucktes und Tabakwaren, sondern hat eine besondere soziale Funktion. Einerseits ist sie ein optisches Phänomen, das ihre männliche Kundschaft besonders anzieht, von der Damenwelt wird sie dafür eher mit abfälligen Kommentaren und neidischen Blicken versehen. Also ist sie auch Umschlagbörse für Informationen, Tratsch, Gerüchte und Intrigen. Auch ihre drei erwachsenen Kinder sind Gegenstand von Spekulationen – sie ist eine Person mit starker sozialer Einbindung und großer Verantwortung. Dazuhin ist Teresa Trägerin von einem Jahrzehnte alten Geheimnis, darum geht’s ja: Einbildung, Wahn, Lug und Trug – oder die bittere Wahrheit?

Kriminetz: Der Finanzbeamte Lino La Rosa ist nach einem Unfall ständig auf Hilfe angewiesen. Trotzdem bleibt er weiterhin von Gier und Bosheit befallen. Er erscheint wie eine Karikatur auf ein korruptes System?

Veit Heinichen: Ist er Karikatur oder Auswuchs? Seine rücksichtslose Habgier ist leider kein seltenes Phänomen. Dass er aber trotz seines Handicaps nicht milder, sondern noch rücksichtsloser wurde, ist sein besonderer Charakterzug, zumal seine Verletzungen ihm einst nicht ohne Grund zugefügt wurden. Da er sich nicht mehr körperlich rächen kann, baute er um sich herum ein System voller Fallen und Ausführenden auf – und die Frage stellt sich lediglich, wie weit er damit kommt und ob schließlich er siegen wird, oder seine Gegenspieler. Man wünscht ihm den Triumph eigentlich nicht, weder als Leser noch als Autor.

Kriminetz: Auch die Tochter La Rosas, Daria, hat ihr Leben in den Dienst des Götzen Mammon gestellt. Ihre Edelhandtasche ist eine Fälschung, genauso, wie einem beim Lesen ihr gesamtes Leben als falsch vorkommt. Allein das Anhäufen und Horten von Geld scheint ihr eine Art von Befriedigung zu verschaffen. Hätte sie nicht ein wenig Freude außerhalb ihrer dysfunktionalen Familie verdient?

Veit Heinichen: Ach herrjeh, dem verweigert sie sich doch geradezu und macht den Rest der Welt für ihre eigene Hinterhältigkeit verantwortlich. Auch wenn sie als junges Mädchen durch ein fürchterliches Ereignis in ihrer Familie nachhaltig traumatisiert wurde, weigert sie sich vehement, auch nur einen Schritt aus dieser Falle heraus zu unternehmen. Die ungelebten Sehnsüchte ihrer Vergangenheit wurden für sie zum Alibi ihrer Gegenwart. Sie ist zynisch, grausam und extrem verletzlich – frei von Reflektionen verweigert sie, sich selbst zu begegnen. Das einzige Lebewesen, das sie um sich herum duldet, ist ein kleiner weißer Malteserrüde, den sie „Gulasch“ getauft hat. Morgens studiert sie in der Tageszeitung aus gutem Grund ausschließlich die Todesanzeigen. Freude, auch die der anderen, will sie nicht, die wäre das einzige Medikament für sie.

Kriminetz: Begünstigt die geografische Lage der Hafenstadt Triest und die Grenzlage zu Slowenien verdeckte Machenschaften?

Veit Heinichen: Triest ist sowohl auf dem Landweg, wie auf dem Seeweg ein großer, nicht nur europäischer Schnittpunkt, und nicht nur über den Freihafen kommt alles hier durch: Legale und illegale Güter jeglicher Art und Herkunft, dazu Finanzen – und Menschen. Und zwar immer in alle Richtungen. Die geostrategische Position Triests war schon immer die große Basis für die drei gesellschaftlichen Gruppierungen, deren Aktivitäten immer stärker ineinandergreifen: Wirtschaft, Politik und Organisiertes Verbrechen. Mit stets internationalen Auswirkungen. Lokale Phänomene interessieren mich als Autor bei der Wahl der Fälle nicht. Es geht darum, die Entwicklung von Delikten zu begreifen, ihre Geschichte, ihre Zukunft und ihre Akteure.
Wenn die triestiner Staatsanwaltschaft und Polizeikräfte, also auch Commissario Proteo Laurenti und sein Team, ermitteln, dann oft bei Delikten, die in jeder Hinsicht grenzüberschreitend sind, von europäischer Dimension, wenn nicht sogar wie in „Die Ruhe des Stärkeren“ global, wenn es um die Hintermänner der Finanzkrise geht.

Kriminetz: Sie haben im Rahmen ihrer schriftstellerischen Tätigkeit in den vergangenen Jahren viel recherchiert. Was regt Sie am meisten auf?

Veit Heinichen: Dass immer mehr Medien es unterlassen und sich opportunistisch zu Multiplikatoren von ungeprüften Pressemeldungen entwickeln.

Recherche ist die Basis von allem. Darin investiere ich oft Jahre und ziehe alle zur Verfügung stehenden Mittel hinzu, also nicht nur Internet und Gerichtsarchive, sondern vor allem Zeitzeugen. Ich suche oft genug das Gespräch mit Drahtziehern, was einerseits nicht einfach sondern extrem zeitaufwendig ist, anderseits mir auch schon den Schlaf geraubt hat. Als ich vor fünfzehn Jahren über den Handel mit menschlichen Organen recherchierte, brauchte ich sehr lange, bis in einem anderen Land mich eine graue Eminenz dieses grausamen Geschäfts vorgelassen hat. Man muss dazu sehr offen sein und von vorneherein klar machen, dass die Arbeit eines Autors, die des Rechercheurs ist und er nicht ermittelt wie Staatsanwaltschaft und Polizei dies tun müssen. Und man darf nicht damit rechnen, die Wahrheit zu erfahren, man muss das Gegenteil und das Ungesagte dabei begreifen, was erst möglich ist wenn man schon tief in die Materie vorgedrungen ist. Als ich danach zurück nach Triest kam, verfolgte mich das lange, was dieser Mann gesagt und nicht gesagt hat.

Was mich besonders dabei aufregt ist aber, dass unsere gängigen Nachrichtenmedien kaum mehr profunde Recherche betreiben und anscheinend das frühere Gesetz, die Presse sei die vierte Macht im Staate, vernachlässigen wenn nicht vergessen haben.
Genau hier kommt dem sich auf Authentizität berufenden literarischen Werk eine besondere Funktion zu: Spiegel einer Epoche und eines geographischen Raumes zu sein und Halbwahrheiten nicht zu dulden. Das gelingt nicht nur über die Sachkenntnis als Basis, sondern vor allem über die Psychologie der Figuren, die freien Lauf bekommen müssen. Niemand kann den Autor zensieren, ihm die Länge oder den Inhalt eines Textes vorschreiben. Zensieren kann er nur sich selbst, wenn er schlecht und oberflächlich erzählt.

Kriminetz: Haben Sie Ihren Berufswechsel hin zu Büchern je bedauert?

Veit Heinichen: Absolut nicht! Aus meinem ersten Leben in der Zentrale eines Großkonzerns habe ich das Wissen über ökonomische Zusammenhänge mitgenommen und angewandt, vor allem in den Verlagen, für die ich gearbeitet habe. Und natürlich bei meinen Recherchen: „Follow the Money“ heißt die Leitlinie um Hintergründe zu erforschen.
In meinem Berufsleben habe ich danach im Buchhandel gearbeitet, dann im Verlagswesen und jetzt also Autor – ich kenne diese Branche also um 360 Grad. Und weil ich es schon einmal gefragt wurde: Ja, die Position als Autor ist mir die liebste, da wollte ich immer schon hin. Die Freiheit aber, die das mit sich bringt, will täglich erarbeitet sein – und das mit Lust und Freude.

Kriminetz: Vielen Dank, Veit Heinichen, für die Beantwortung der sieben Fragen.

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