Sieben Fragen an Werner Pflug

Werner Pflug schildert in seinem Buch »Verräterische Gene. True Crime – Sternstunden der Kriminaltechnik«, wie er in seiner Tätigkeit beim Landeskriminalamt in Stuttgart 1989 erstmals den »genetischen Fingerabdruck« und kurz darauf die hochsensitive DNA-Analyse nach dem PCR-Verfahren angewendet hat.

Werner Pflug, geboren 1949 in Lauffen/Neckar, studierte an der Universität Stuttgart-Hohenheim Biologie mit dem Schwerpunkt Mikro- und Molekularbiologie. 1977 promovierte er »summa cum laude« zum Thema Vitamin-B6-Biosynthese. 1979 wurde er Mitarbeiter am Kriminaltechnischen Institut des Landeskriminalamtes in Stuttgart. Bei seiner Pensionierung leitete er den Fachbereich Molekulargenetische Untersuchungen mit 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

In seinem Buch »Verräterische Gene. True Crime – Sternstunden der Kriminaltechnik« schildert der Autor, wie er in seiner Tätigkeit beim Landeskriminalamt in Stuttgart 1989 erstmals den »genetischen Fingerabdruck« und kurz darauf die hochsensitive DNA-Analyse nach dem PCR-Verfahren angewendet hat. In seinem Gutachten betrat er als Erster in Deutschland die neue DNA-Welt und damit Neuland im Bereich der Kriminaltechnischen Institute. Mit der DNA-Analyse verfügte die Polizei Ende der achtziger Jahre über eine völlig neue Methode mit einer großen Aussagekraft und einem hohen Beweiswert. Dies in ein Gutachten einführen zu können, das damit so gut wie keinen Interpretationsspielraum mehr offenließ, war geradezu revolutionär. Im Laufe der Jahre gelangen, zusammen mit seinem engagierten Team, viele weitere Meilensteine, an deren Entwicklung Werner Pflug entscheidend mitgewirkt hat. Der Blick hinter die Kulissen der Polizeiarbeit und ins Labor erweist sich dabei als ebenso spannend wie die Aufklärungsarbeit der Fahnder selbst. Geschildert werden wahre Fälle in ihrer gesamten Breite - vom Tathergang bis zur Gerichtsverhandlung.

Das Buch »Verräterische Gene« hat ein Begleitwort des amtierenden Präsidenten des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg, Andreas Stenger.

Für Kriminetz hat Werner Pflug sieben Fragen beantwortet.

Kriminetz: Die Landeskriminalämter haben eine sehr wichtige Abteilung: Das Institut für Kriminaltechnik. Das PCR-Verfahren, das die DNA-Analyse ermöglicht, hat die Möglichkeiten der Kriminaltechnik revolutioniert. Wie kam es dazu?

Werner Pflug: Die »Zeitenwende« in der Kriminaltechnik wurde Mitte der 80er Jahre durch den englischen Genetiker Alec Jeffreys eingeleitet. In seiner Publikation zeigte er komplexe DNA-Strichcode-Muster, die für jede Person (außer bei eineiigen Zwillingen) einzigartig sind. Er nannte diese DNA-Muster „Genetischer Fingerabdruck« (in Anlehnung an den daktyloskopischen Fingerabdruck). Allerdings ist bei dieser Methode eine relativ große Menge an gut erhaltenem Erbmaterial erforderlich. Dies war auch der Grund dafür, dass diese Methode hauptsächlich bei Sexualdelikten zum Einsatz kam ( s.a.erster Fall in meinem Buch). Ebenfalls in den 80er Jahren entwickelte der amerikanische Biochemiker Kary Mullis die Polymerase-Ketten-Reaktion (englisch: Polymerase-Chain-Reaction = PCR).

Anfang der 90er Jahre hatte ich mich erstmals mit der PCR-Analyse vertraut gemacht und eigene Erfahrungen gesammelt.Im Austausch mit einer Kollegin vom bayrischen LKA waren wir im Stuttgarter LKA dabei, das ApoB-Merkmalsystem für den Routineeinsatz mit der neuen PCR-Methode vorzubereiten. Bei diesem Merkmalsystem handelt es sich um einen sogenannten DNA-Längenpolymorphismus auf dem Erbstrang, der aus gleichartigen DNA-Teilstücken aufgebaut ist. Innerhalb einer Population kann die Anzahl der vorhandenen Teilstücke variieren. Wenn ich dann die Anzahl der Teilstücke, das heißt die Gesamtläge des DNA-Merkmals bestimme, kann ich verschiedene Personen voneinander unterscheiden.

Im Vergleich zum »Genetischen Fingerabdruck« sind bei der PCR-Methode viel geringere DNA-Mengen erforderlich, um gerichtsverwertbare Befunde zu bekommen.

Der Grund dafür ist ganz einfach: Bei der PCR-Analyse werden die für eine Differenzierung geeigneten Längenpolymorphismen zunächst millionenfach im Reagenzgefäß kopiert und anschließend die Länge der DNA-Teilstücke bestimmt. (s.a. Abb. 3, Seite 204 in meinem Buch).

Mir wurde schnell klar, dass die PCR-Methode bestens geeignet ist, selbst bei minimalen, zum Teil mikroskopisch kleinen Tatspuren noch aussagekräftige Befunde zu liefern. Dies hat mich fasziniert und in meinen angewandten Forschungen / methodischen Weiterentwicklungen beflügelt.

Kriminetz: In Ihrem Buch »Verräterische Gene« stellen Sie exemplarisch sechs wahre Fälle vor. Nach welchen Kriterien haben Sie diese ausgewählt?

Werner Pflug: Die Kriterien sind von mir so ausgewählt, dass ich chronolgisch vom ersten bis zum letzten Fall die jeweils von mir und meinem DNA-Team eingeführten Neuerungen darstellen wollte. Dem ersten Fall, einem schweren Sexualdelikt, bei dem erstmals der »Genetische Fingerabdruck« zum Einsatz kam. Dem zweiten Fall, einem Sexualmord, bei dem erstmals eine PCR-Analyse an minimalen Blutspuren maßgeblich zur Verurteilung des Täters geführt hat. Dem dritten Fall (Torso),der vor einem amerikanischen Militärgericht in Frankfurt / Air-Base, verhandelt wurde und zu lebenslanger Haft des Täters geführt hat. Dem vierten und fünften Mordfall, bei denen ich bei der Aufklärung ganz neue Wege beschreiten musste, um mit mikroskopisch kleinen Hautabriebspuren (damals eine Weltneuheit) die Fälle aufklären zu können. Und dem sechsten Fall, einem Sexualmord an einem 12jährigen Mädchen, der nach 20 Jahren über Hautabriebspuren von uns aufgeklärt werden konnte und der Täter zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.

Kriminetz: Werden mit einem Brand tatsächlich alle Spuren ausgelöscht oder kann ein Ermittler-Team dann immer noch Verwertbares finden?

Werner Pflug: In vielen Fällen, wenn ein menschlicher Körper mit Brand-Beschleuniger angezündet wird und nur teilweise starke Brandspuren aufweist, kann oft noch gut erhaltene DNA, z.B. aus Muskelgewebe, Organen, Röhrenknochen und Beckenknochen für eine DNA-Analyse gewonnen werden (s.a. Torso-Fall in meinem Buch).Gegebenenfalls kann eine Identifizierung der Person auch über den Zahnstatus durchgeführt werden.

Kriminetz: Je höher der Grad der Verwandtschaft von Personen, desto ähnlicher ist die DNA. Wie verhält sich das bei eineiigen Zwillingen?

Werner Pflug: Eineiige Zwillinge gehen beide aus derselben befruchteten Eizelle hervor und sind deshalb genetisch identisch. Im Laufe des Lebens können aber durch Punktmutationen oder epigenetischen Methylierungen des Erbmaterials Unterschiede entstehen. Mir ist aber keine Routinemethode bekannt, die eine eindeutige Unterscheidung eineiiger Zwillinge durch Analyse der Punktmutationen oder epigenetischen Methylierungen bei tatrelevanten Spuren vor, allem Minimal-spuren, erlaubt.

Kriminetz: Mithilfe selbst winziger Spuren können Täterinnen und Täter heute überführt werden. Der „perfekte Mord«, der unaufgeklärt bleibt, wird somit immer unwahrscheinlicher?

Werner Pflug: Mein engagiertes DNA-Team und ich waren von Anfang an die Vorreiter was die Untersuchung mikroskopisch kleiner Spuren betrift, vom Diebstahl über alle Deliktsbereiche bis zum Mehrfachmord. Allerdings kann der Aufwand bei schweren Verbrechensdelikten einen erheblichen Mehraufwand an Arbeitskraft und Material erfordern, bis zahlreiche Einzelspuren zuerst mit großem Aufwand präpariert und anschließend ausgewertet sind. Den perfekten Mord gibt es vielleicht gar nicht. Man muss einfach die tatrelevanten Spuren an den richtigen Stellen suchen, auch wenn sie mikroskopisch klein sind.

Manchmal braucht es aber auch eine zündende Idee, die sich plötzlich wie aus dem Nichts auftut und den gordischen Knoten auflöst (s.a. Fallbeispiele »Beretta« und »Boutique«).

Kriminetz: Welcher der vielen Fälle, zu deren Aufklärung Sie während Ihres Berufslebens gemeinsam mit Ihrem Team beitragen konnten, hat Sie besonders beschäftigt?

Werner Pflug: Es ist nicht nur ein einziger Fall. Es sind viele Fälle, wenn man sieht, wie schmal der Grat ist, wenn ein Täter für ein paar Mark oder Euro mehrere Menschen tötet (geschehen in Heidelberg in einer Arztpraxis, zwei Tage vor Weihnachten) oder wenn es Kinder betrifft, die sexuell mißbraucht und danach getötet werden (s.a. Fallbeispiel 6).

Kriminetz: Wenn Sie heute über Ihre Zeit beim Landeskriminalamt resümieren – würden Sie sich erneut für diesen Berufsweg entscheiden?

Werner Pflug: Wenn ich heute vor der Wahl stünde, an einer der Wegkreuzungen einen anderen Weg einzuschlagen, würde ich alles wieder genauso machen.

Ich war zur rechten Zeit am rechten Ort und bin sehr dankbar dafür.

Kriminetz: Vielen Dank, Werner Pflug, für die Beantwortung der sieben Fragen.